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Brandenburg: Bierprämie und Tortenschlacht

Nach teils skurrilem Wahlkampf wählen die Cottbuser am Sonntag ein neues Stadtoberhaupt – vielleicht

Von Sandra Dassler

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„Ich bin betrogen worden“, sagt Fred Conrad. Der 42-jährige Umzugsunternehmer sitzt im Cottbuser „Pressecafé Doppeldeck“ und stiert in sein Bierglas. „Die haben meine Wahlliste 24 Stunden zuvor einkassiert“, klagt er.

24 Stunden, die Conrad seiner Ansicht nach genügt hätten, um doch noch die notwendige Zahl an Stützunterschriften zu bekommen. Dann hätte er bei der morgigen Wahl um das Oberbürgermeisteramt in der zweitgrößten Stadt Brandenburgs mitmischen können. Dabei hatte der „Schweijk von Cottbus“ schon jedem, der unterschrieb, eine Flasche Bier in die Hand gedrückt – es hat nichts genutzt. Conrad konnte nicht antreten, aber auch ohne ihn trug der Wahlkampf teilweise skurrile Züge.

Das lag nicht an den beiden Kandidaten. Brandenburgs Verkehrsminister Frank Szymanski (SPD), den auch die Grünen unterstützen, und Holger Kelch (CDU), der von FDP, Frauenpartei, einem freien Wählerverein und pikanterweise der PDS empfohlen wird, hatten einen fairen Wahlkampf versprochen. Und sich zumindest bei ihren öffentlichen Auftritten daran gehalten.

Ihre Sympathisanten aber gingen zum Teil ungewöhnliche Wege: Einer manipulierte am vergangenen Wochenende gar den Wahl-Ted der in Cottbus erscheinenden Tageszeitungen „Lausitzer Rundschau“ und „20 Cent“. Innerhalb weniger Stunden wurden mehr als tausend Stimmen für Holger Kelch abgegeben - die Wahrscheinlichkeit, dass er gewählt werden würde, stieg auf 70 Prozent.

„Die tausend Klicks kamen von der gleichen IP-Adresse“, sagt der Chefredakteur von „20 Cent“, Andreas Oppermann: „Da muss sich jemand viel Mühe gemacht haben, denn eigentlich ist der Ted gegen solchen Missbrauch geschützt.“

Nun hoffen die Cottbuser, dass wenigstens ihre Wahlcomputer von hackenden Parteigängern verschont bleiben. Die stammen von der Firma Nedap und waren wegen angeblicher Sicherheitslücken in die Kritik geraten. Experten der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt überprüften deshalb noch einmal alle 70 Computer, an denen die 88 000 wahlberechtigten Cottbuser abstimmen können.

Zum Wahlkampf-Thema wurde sogar eine Tortenschlacht, die ein Radiosender veranstalten wollte. Das Ordnungsamt wies dem Sender dafür den Oberkirchplatz zu. Der sollte ohnehin demnächst gereinigt werden. Verantwortlich für das Ordnungsamt ist letztlich CDU-Kandidat Kelch. Er führt seit der Abwahl der parteilosen Oberbürgermeisterin Karin Rätzel kommissarisch die Rathausgeschäfte.

Als nun die Torten am vergangenen Sonnabend vor der Tür der ehrwürdigen Oberkirche zerdeppert wurden, schlug das nicht nur dem Pfarrer auf den Magen. Auch die Cottbuser Landtagsabgeordnete und stellvertretende SPD-Landesvorsitzende Martina Münch beschwerte sich bei Kelch über eine solche Pietätlosigkeit in Zeiten wachsender Armut.

Dass der Sender die Hälfte der Torten – die Teilnahme an der Schlacht hielt sich in Grenzen – an Einwohner und die Cottbuser Tafel für Bedürftige verschenkte, machte die Sache nicht besser. Im Gegenteil: Weil die Zutaten für die Torten offenbar jenseits der Haltbarkeitsdauer verbacken worden waren, stellte dieser Tage auch noch das Cottbuser Amt für Lebensmittelkontrolle klar, dass die Stadt nicht verantwortlich sei, wenn nach dem Verzehr der Torten gesundheitliche Schäden auftreten sollten.

Ob all diese Kapriolen mit dem morgigen Sonntag ein Ende finden, ist längst nicht ausgemacht. Obwohl es nur zwei Kandidaten gibt, könnte der Wahlkampf noch weitergehen. Das Brandenburgische Kommunalwahlgesetz schreibt nämlich vor, dass der Sieger mindestens 15 Prozent der Stimmen aller wahlberechtigten Bürger auf sich vereinen muss.

Würden also wie bei der letzten Kommunalwahl nur 28 Prozent der Cottbuser an die Urnen treten und ihre Stimmen mit je 14 Prozent auf beide Kandidaten gleichmäßig verteilen, müsste am 12. November erneut gewählt werden. Bekommt auch dann wieder keiner der Kandidaten 15 Prozent, werden die Stadtverordneten ihren Oberbürgermeister wählen. Da Holger Kelch von 39 der derzeit 50 Stadtverordneten unterstützt wird, wäre der Ausgang klar.

Aber da ist ja noch Fred Conrad. Der wurde – wie einige Journalisten berichten – tatsächlich um seine Teilnahme am Kampf um das Amt des Oberbürgermeisters betrogen, weil die Wahllisten zu früh verschwanden. Und Conrad hat dem SPD-Kandidaten Szymanski immer wieder versprochen: „Wenn Du nicht gewählt wirst, Frank – dann fecht“ ich die Wahl an.“ Rein theoretisch, sagen Anwälte, wäre das möglich.

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