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Brandenburg: Bis zum Freitod im Kampf gegen Nazis

Köln/Potsdam - „Was würde passieren, wenn wir Deutschland den Neonazis überlassen“, fragt Noel Martin in die Runde. „Wer arbeitet dann bei Mercedes am Fließband?

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Köln/Potsdam - „Was würde passieren, wenn wir Deutschland den Neonazis überlassen“, fragt Noel Martin in die Runde. „Wer arbeitet dann bei Mercedes am Fließband? Aus welchem Land stammt das Gummi für die Reifen? Woher holen die Nazis die Baumwolle für ihre Kleidung?“ Noel Martin, der einst als britischer Bauarbeiter nach Mahlow kam und vor zehn Jahren von zwei rechten Schlägern zum Pflegefall gemacht wurde, nutzt gern solch lebensnahe Beispiele, um die Rechtsradikalen zu überführen. Er kann dabei sogar lächeln, wie Dienstagnacht in der ARD-Talkshow „Menschen bei Maischberger“. Der 47-jährige Rollstuhlfahrer aus Birmingham diskutierte unter anderem mit Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), Nazi-Aussteigerin Tanja Privenau und Michel Friedman über die Gefahren durch Rechtsextreme im Parlament wie jetzt in Mecklenburg-Vorpommern.

Der gelähmte Noel Martin hat, wie berichtet, vor kurzem ankündigt, sich an seinem nächsten Geburtstag, dem 23. Juli 2007, das Leben zu nehmen. Der Mann im schicken blauen Anzug war zur Aufzeichnung der Sendung in aller Stille mit einem Team von Helferinnen nach Köln gereist. Seine Pflegerin stand während der Talkshow neben ihm, wischte ihm mit dem Handtuch den Schweiß ab. „Ich schwitze vormittags 17 Handtücher voll, verliere Blut, werde ohnmächtig“ – vom Leiden habe er genug. „Ich werde mein eigenes Waterloo ausrufen“, sagt Martin.

Doch vorher werde er noch ein Buch herausgeben über die Leistungen von Schwarzen, und über sich selbst. Er hoffe, mehr Begegnungen mithilfe des „Noel und Jacqueline Martin Fonds“ organisieren zu können – für rechtsorientierte Jugendliche aus Mahlow und Teenager aus Birmingham. „Die verstehen sich dann so gut, dass die Schwarzen aus Birmingham sagen, wir wollen wieder nach Mahlow, da ist es toll.“ Das ist aber nur die eine Seite der Realität, wie ein Filmbeitrag bewies. „Ach Gott ist das traurig, ich zerfließe ja vor Mitleid“, sagt darin ein Brandenburger zynisch zum angekündigten Freitod. Noel Martin hat ebenso verletzt, dass der Mahlower Bürgermeister bei seinem letzten Besuch geleugnet habe, dass es noch Neonazis dort gebe. Martin sprach sich dafür aus, den Auftritt von Rechten im Internet zu beschränken. Und Asylbewerbern die Erlaubnis zu erteilen zu arbeiten, damit sie nicht unfreiwillig dem Staat auf der Tasche liegen müssen.

Jörg Schönbohm zog symbolisch den Hut vor Martin: „Ihre Haltung ist großartig.“ Anfang Oktober wird Noel Martin voraussichtlich auch Ministerpräsident Matthias Platzeck bei den „Brandenburg-Tagen“ in London treffen. Sandra Maischberger sagte: „Ich hoffe, Sie nächstes Jahr um diese Zeit wieder hier zu sehen.“ Doch für Martin steht der Entschluss fest: „Sie werden mich vielleicht vor Juli sehen. Aber nicht mehr danach.“ Annette Kögel

Annette Kögel

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