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Von Thorsten Metzner: Bittere Kronzeugen

In der Enquete-Kommission zur SED–Diktatur wird immer deutlicher, was man nach Versäumnissen seit 1990 jetzt ändern muss

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Potsdam - Die leisen, bitteren Sätze verfehlten ihre Wirkung nicht. In Brandenburgs Enquete-Kommission zur SED-Diktatur traten am Freitag zwei Frauen als Zeitzeugen auf, die beide einst im Potsdamer Stasi-Gefängnis inhaftiert waren, das im Volksmund den sarkastischen Beinamen „Lindenhotel“ trug. Birgit Willschütz und Sybille Schönemann schilderten, wie das Trauma immer noch nachwirkt, wie politisch Verfolgte gerade in Brandenburg einen würdigen Umgang bislang vermissten, was inzwischen auch eine Expertise nach der anderen bestätigt.„Ich habe heute noch ein ungutes Gefühl, wenn ich nach Potsdam komme“, sagte Willschütz, die etwa nach der Ablehnung ihres Entschädigungsantrages durch das Innenministerium auf einen Widerspruch verzichtete. „Ich habe keine Kraft, hier etwas durchzuziehen.“ Für die frühere DEFA-Regisseurin Schönemann war die Zeit im Stasi-Knast „die schlimmste“ ihres Lebens. Erst vor fünf Jahren zog sie, nach 20 Jahren in Hamburg, wieder zurück in ihre Heimatstadt. „Es ist ein schwerer Weg, wieder hier zu sein.“ Da kam vom Arzt, der sie als Voraussetzung für eine Entschädigung begutachtete, gleich zu Beginn der Spruch: „Na ja, an Scheinerschießungen haben sie ja nicht teilgenommen.“ Spätere Diagnose: Kein Hafttrauma. Da seien am „Lindenhotel“ die Gitter abgeschraubt worden, überhaupt gebe es in der Stadt kaum Hinweise auf die Gedenkstätte.

Beide Auftritte gaben der Sitzung zusätzliche Brisanz, auf der es nämlich gerade um die Rolle von Zeitzeugen zu heftigen Auseinandersetzungen kam. Auslöser war der Potsdamer Historiker Jürgen Angelow, der in seinem Gutachten zur „Würdigung von Opposition und Widerstand“ gegen Führungen durch „ungeschulte“ Zeitzeugen plädierte, konkret die Berliner Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen offen kritisierte. „Das ist ungeheuerlich“, sagte dazu Jörg Kürschner, Enquete-Mitglied und Vorsitzender des Fördervereins. „Sie lassen den Vorhang runter: Sie wollen Zeitzeugen unter Kuratel systemgeneigter Wissenschaft stellen.“ Für den Grünen-Fraktionschef Axel Vogel wird so „ein Bild von traumatisierten Opfern gezeichnet, die nur unter wissenschaftlicher Aufsicht in der politischen Bildung tätig sein dürfen“. Jeder „Filter ist Zensur“, sagte Wolfgang Merkel, Experte für Transformationsprozesse. Man könne deren „subjektiven Blick auf Geschichte nicht verbessern auf Normen und Standard“. Merkel: „Wenn man Zeitzeugen schult, wird Ihre Authentizität zerstört.“ Mit seiner Zeitzeugenkritik an Hohenschönhausen liefere er „Brandenburger und Ostberliner Lehrern eine billige Legitimation, warum man dort nicht hingehen muss“, sagte Klaus Schroeder vom Forschungsverbund SED-Staat, der Angelow ein „Weichzeichnen“ der Diktatur vorwarf, wogegen der sich verwahrte.

Trotzdem nähert sich die Enquete-Kommission mittlerweile durchaus Empfehlungen, wie man konkret Versäumnisse der vergangenen zwei Jahrzehnte im Umgang mit der SED-Diktatur beheben kann. Ein weites, weißes Feld ist danach die Erforschung von Opposition und Widerstand in der DDR, der „in Brandenburg mit Abstand am wenigsten thematisiert wurde“, wie Rainer Eckert, der Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig mit nüchternen Zahlen belegte. So gibt es zur DDR-Opposition im Osten mittlerweile 217 Bücher, davon vier über Brandenburg. Zum 17. Juni gebe es 47 Publikationen, vier aus Brandenburg. Zur friedlichen Revolution, zur Stasi-Auflösung sind laut Eckert in den neuen Ländern mittlerweile 483 Arbeiten erschienen, 227 in Sachsen, in Brandenburg aber nur 32. Allerdings wolle die Potsdamer Uni die Erforschung der DDR-Geschichte weiter zurückschrauben. Eckert regte zudem eine „weit stärkere Profilierung der Gedenkstätte in der Potsdamer Lindenstraße an“.  Mit welchen Schwierigkeiten diese zu kämpfen hat, schilderte Gabriele Schnell, die Koordinatorin der Gedenkstätte. Diese sei immer noch ein „missachteter“ Ort der Erinnerung, „ohne eigenes Personal“, getragen allein durch das Ehrenamt. Gabriele Schnell verwies auf den „Roten Ochsen“, das berüchtigte frühere Gefängnis in Halle, das heute ein Museum mit sieben Mitarbeitern ist: „Es geht auch anders.“

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