Brandenburg: Blamage
Der Schallschutz-Kompromiss von BER-Aufsichtsratschef Matthias Platzeck ist vor Gericht gescheitert. Die Mehrkosten für Flughafengesellschaft und Steuerzahler sind noch gar nicht zu beziffern
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Potsdam - Es waren Brandenburgs Infrastrukturminister Jörg Vogelsänger (SPD) und der Flughafen-Staatsssekretär Rainer Bretschneider, die am Freitag kurzfristig vor die Presse traten – einen Tag nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg (OVG). Doch obwohl das Gericht auch das nachgebesserte Schallschutzprogramm am Donnerstag für nichtig erklärt hatte und nun höhere Kosten auf die Flughafengesellschafter zukommen, sieht Brandenburgs Landesregierung bei sich keine Fehler. Vogelsänger wies Versäumnisse seines Ministeriums beim Schallschutz für die BER-Anrainer zurück. Dabei sind die Konsequenzen des Urteils noch nicht absehbar.
Matthias Platzeck (SPD), Chef des Aufsichtsrats der Flughafengesellschaft und Brandenburgs Ministerpräsident, hatte nach dem OVG-Urteil bislang lediglich eine zügige und kurzfristige Prüfung zugesagt – mehr auch nicht. Allerdings hatte er öffentlich im vergangenen Jahr den Kurs Brandenburgs verteidigt, mit dem das von 2004 bis 2014 mit 139 Millionen Euro nie ausfinanzierte, rechtswidrige BER-Schallschutzprogramm – er war Vizeaufsichsratschef – lediglich um 305 Millionen Euro nachgebessert worden wäre. Nun sind, wenn frühere Zahlen der Flughafengesellschaft stimmen, 591 Millionen Euro zusätzlich fällig. Die Gesamtkosten könnten damit auf bis zu 730 Millionen Euro steigen, die zum Teil nicht gedeckt sind. Es gibt Hinweise, dass der in dem 1,2 Milliarden Euro schweren Zuschuss der drei Gesellschafter Berlin, Brandenburg und Bund für den jetzt vom OVG vorgeschriebenen Maximalschallschutz eingeplante Finanzpuffer bereits anderweitig verplant ist. Für Brandenburg könnte dies auch Folgen für den Haushalt haben. Linken-Landtagsfraktionschef Christian Görke schloss nicht aus, dass der erneute Kostenanstieg beim BER durch den Schallschutz einen Nachtragshaushalt nötig machen könnte.
„Wir haben mit dem Urteil eine neue Rechtslage“, sagte Vogelsänger nur. Er deutete an, sich damit abzufinden, dass das Gericht eine Revision nicht zuließ. „Es spricht vieles dafür, den Streit nicht weiterzuführen, sondern auf die Anwohner zuzugehen.“ Das höchste Verwaltungsgericht der Region hatte am Donnerstag bekräftigt, dass der vom Flughafen in dieser Frage – keine Überschreitung des Gesprächslautstärke-Pegels von 55 Dezibel – exakt so beantragte, vom Bundesverwaltungsgericht bestätigte Planfeststellungsbeschluss – eindeutig sei. Dagegen erklärte Flughafenchef Hartmut Mehdorn, dass diese Forderung „in weiten Teilen aus lärmphysikalischer Sicht nicht umsetzbar“ sei. „Es hat zur Folge, dass für viele Anwohner gar keine Schutzmaßnahmen realisiert werden können, sondern sie mit Entschädigungen vorliebnehmen müssen.“ Das alles war nach Unterlagen dem Flughafen bereits vor dem Start des Schallschutzprogramms 2009 bekannt, das bis 2012 trotz vorheriger Hinweise der Behörden mit dem rechtswidrigen Billigstandard – sechs Pegel-Überscheitungen – praktiziert wurde.
Linke-Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi begrüßte das Urteil. Berlin, Brandenburg und der Bund hätten „zulasten der vom Lärm betroffenen Bürger sparen“ wollen. Diese Dreistigkeit sei nun unterbunden worden. Brandenburgs CDU-Landtagsfraktionschef Dieter Dombrowski warf dem Verkehrsministerium vor, als Aufsichtsbehörde geduldet zu haben, dass die Schutzvorgaben systematisch unterlaufen wurden. Trotz des OVG-Urteils im Sommer 2012 seien die Lärmschutz-Interessen betroffener Bürger nicht gewahrt worden. Der Grünen-Abgeordnete Michael Jungclaus nannte das Urteil ein Fiasko für das Ministerium und Platzeck. FDP-Landeschef Gregor Beyer forderte eine generelle Debatte über Schallschutz und dessenVerhältnismäßigkeit. „Null mal 55 Dezibel sind etwa für Bürger an vielen Straßen auch ohne Flughafen reine Utopie.“ (mit axf/dpa)
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