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Brandenburg: Boykott, „bis der Preis stimmt“

In Berlin schütteten Rostocker Bauern Milch auf die Straße, Landwirte aus dem Elbe-Elster-Kreis blockieren eine Molkerei in Elsterwerda – Der Milchstreit weitet sich aus

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Berlin/Elsterwerder - Sie können hier nicht durchfahren“, sagt der Polizist und der kleine Pizzahändler auf dem Motorroller blickt entgeistert auf die weiße Schicht, die sich auf die Jägerstraße vor dem Haus Mendelssohn mitten in Berlin-Mitte gelegt hat. Gegen 19 Uhr hatten gestern Bauern aus der Nähe von Rostock die frische, fette Rohmilch auf die Straße gekippt.

„Hier im Haus sitzt der Milchindustrieverband. Das sind die Vertreter der Molkereien. Die sollen gemeinsam mit dem Bund deutscher Milcherzeuger jetzt sofort mit den Handelsketten zusammenkommen, um höhere Preise zu erzielen“, sagt Milchbauer Siek Postma: „Wir müssen jeden Tag die Milch wegkippen, das tut uns so weh.“ Deshalb hätten sich er und seine Kollegen gedacht, die Milch können wir auch in Berlin ausschütten, damit auch andere sehen, wie das ist, wenn man Lebensmittel vernichten muss.

Die spontane Aktion reiht sich ein in den bundesweiten Kampf um höhere Milchpreise. Seit gestern machen auch die Landwirte im Süden Brandenburgs ernst. Nachdem sich zunächst mehrheitlich die Milchwirte im Norden des Landes am seit einer Woche laufenden Milchliefer-Boykott beteiligten, blockieren die Südbrandenburger gemeinsam mit Bauern anderer Länder Großmolkereien in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Und in den ersten Einkaufsmärkten der Region sind nach gezielten Hamsterkäufen, zu denen der Landesbauernverband Brandenburg am Freitag aufgerufen hatte, die Milchregale bereits fast leer.

Um kurz vor 11 Uhr bezogen gestern Bauern aus dem Elbe-Elster-Kreis Stellung vor der Molkerei der Campina-Kooperative in Elsterwerda. Seither ist das große Eingangstor durch zwölf Traktoren samt Anhänger blockiert. Kein Tanklaster, der den Milchnachschub für die rund 160 Artikel umfassende Produktpalette bringt, kommt durch.Vorräte erlaubten es dem Campina-Werk gestern noch, voll zu produzieren. Beteiligt sind Landwirte der Region auch an den Blockaden der Sachsenmilch-Molkerei im sächsischen Leppersdorf und der Großmolkerei im sachsen-anhaltinischen Jessen.

Matthias Schubert, der die Gemeinschaftsaktion des Bundes Deutscher Milcherzeuger und des Kreisbauernverbandes Herzberg/Bad Liebenwerda vor Ort koordiniert, ist sichtlich zufrieden mit der Resonanz. Am Morgen hatte es sich unter den Landwirten schnell herumgesprochen, dass sich der Protestaktion vor der Müller-Milch-Molkerei in Leppersdorf eine Blockade der Molkereien in Elsterwerda und Jessen anschließen sollte. Die Bauern haben sich auf eine lange Protestaktion eingerichtet. Die dauern soll bis der Preis stimmt, so Waldemar Dietrich. Und das sei bei 43 Cent pro Liter Milch der Fall, so der Geschäftsführer der Stolzenhainer und Prösener Landwirtschaftsbetriebe.

Neben den Stolzenhainer und Prösener Landwirtschaftsbetrieben sind Landwirte von der Röderland GmbH aus Bönitz, der Agroland GmbH Saxdorf, der Agrar GmbH Prestewitz, den Agrargenossenschaften Schraden, Züllsdorf, Beyern, Mühlberg, Friedersdorf, Hirschfeld und Jeßnigk nach Elsterwerda gekommen. Mit ihren Traktoren riegeln sie zwar die Molkerei ab, aber die Straße ins nahe Gewerbegebiet bleibt passierbar. Die Polizei greift nicht ein, steht aber in Kontakt mit Campina Betriebsleiter Uwe Bucken.

Doch es kommen nicht nur keine Laster zur Molkerei – es kommen auch keine mehr weg. Ein Fahrer aus Bayreuth, der auf dem Gelände wartet, bis seine 30 000-Liter-Milch-Lieferung abgepumpt ist, ist sauer auf die Blockadebauern. Er überlegt, sich einen Leihwagen zu nehmen, um nach Hause zu kommen. Er schimpft: „Denken sie, uns geht es mit den Dieselpreisen anders als den Bauern?“

Als die Bauern es sich am Nachmittag unter den Carports eines benachbarten Holzzentrums gemütlich gemacht haben, bekommen sie Besuch Campina-Betriebschef Uwe Bucken. Der lässt vor dem Tor an die verdutzten Bauern Yoghurt und Milch verteilen – mehr als eine nette Geste: Durch ein herausgenommenes Zaunfeld werden gleichzeitig Laster vom Molkereigelände gelotst. Ein kleiner Sieg für die Großmolkerei.

Er könne die Bauern verstehen, erklärt Molkereichef Bucken. Vorräte erlaubten es den Campina-Werkern, gestern noch voll zu produzieren. Auf Prognosen, wie es weitergehen werde, wollte sich der Betriebsleiter jedoch nicht einlassen. Campina-Pressesprecherin Ria van der Peet sagte den PNN, dass von den sechs Standorten der Campina-Gruppe in Deutschland neben Elsterwerda noch Gütersloh und Köln blockiert sind. In Holland, dem Stammland des Unternehmens, jedoch nur eines. Wir verstehen, was die Bauern meinen. Aber wir können um Deutschland und Europa keine Mauern bauen. Campina versucht, so hohe Milchpreise auf dem Markt zu verdienen wie möglich. Aber die Milch kann von überall herkommen, meint van der Peet. Die Bauern müssten sich daran gewöhnen, dass es künftig schärfer zugehen werde.

Vor dem Campina-Tor in Elsterwerda sagt Landwirt Waldemar Dietrich: „Es geht ums Überleben“ und erntet zustimmendes Kopfnicken von den anderen Milchbauern. Sie haben sich auf eine lange Protestaktion eingerichtet. Mit einem schnellen Ergebnis bei den Verhandlungen zwischen Molkereien und Einzelhandel rechnen sie nicht. Deshalb wollen auch die Rostocker Bauern heute wieder nach Berlin kommen. Mehr verraten sie noch nicht.

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