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Tatort Familie: Brandenburg verzeichnet mehr Gewalt gegen Kinder

Im vergangenen Jahr hat die Polizei in Brandenburg doppelt so viele Straftaten gegen Kinder und Jugendliche registriert wie im Jahr 2010. Die Ursache sehen Experten nicht nur in der größeren Aufmerksamkeit für das Thema.

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Potsdam - Es ist eine kurze Nachricht aus dem Bericht der Polizeidirektion Nord vom Montag, die das Ausmaß der Gewalt in Brandenburgs Familien nur erahnen lässt. Demnach verständigte eine junge Mutter am vergangenen Freitag in Hennigsdorf ihre Hebamme, weil sie am Kopf ihres acht Monate alten Säuglings einen Bluterguss und Rötungen festgestellt hatte. Ein Rettungswagen brachte das Kind in ein Berliner Krankenhaus. Die Polizei ermittelt und kann vorerst nicht ausschließen, dass der Vater sein Kind „mehrfach gegen Schädel und Thorax geschlagen“ hatte. Er darf sich der Wohnung für zehn Tage nicht nähern, das Kind kommt in die Obhut des Jugendamtes.

Fakt ist: Kinder und Jugendliche in Brandenburg sind immer häufiger Opfer von Gewalt in der eigenen Familie. 2016 registrierte die Polizei 373 Straftaten gegen Kinder, 157 mehr als 2010, wie das Jugendministerium auf eine Anfrage der CDU-Landtagsfraktion mitteilte. Die Delikte gegen Jugendliche nahmen im gleichen Zeitraum sogar um mehr als das Doppelte zu – von 119 auf 243. Die Zahl der jungen Menschen im Alter bis zu 18 Jahren, die die Jugendämter außerhalb der eigenen Familie unterbrachten, stieg fast um das Zweifache, von 1522 auf 2930. Bei insgesamt rund 2400 Kindern und Jugendlichen gingen die Behörden im vergangenen Jahr von einer Gefährdung aus. 2011 lag diese Zahl noch bei 1150. Nach Angaben der Brandenburger Fachstelle Kinderschutz ist der Anstieg bei den Strafanzeigen wegen häuslicher Gewalt auch auf die erhöhte öffentliche Sensibilisierung zu diesem Thema zurückzuführen.

Soziale Verhältnisse wirken sich auf das Familienleben aus

„Aber auch gesellschaftliche Zuspitzungen wirken sich negativ auf die Familien aus“, sagt der Geschäftsführer der Beratungsstelle, Hans Leitner. Der Verlust des Arbeitsplatzes habe oft langfristig gravierende Auswirkungen auf die ökonomische und soziale Lage der Familie. Beengte Wohnverhältnisse und weniger Teilhabe der Kinder am gesellschaftlichen Leben führten meist zu mehr Gewalt. Laut Ministerium stiegen die Fälle, in denen Kinder und Jugendliche wegen Wohnungsproblemen in die Obhut der Jugendämter kamen, von 36 im Jahr 2011 auf 108 im Jahr 2016. In bestimmten Wohnquartieren mit geringen Mieten gebe es wegen fehlender sozialer Kompetenzen der Einwohner weniger Nachbarschaftshilfen für Familien, hat Leitner beobachtet.  „Kinder nehmen heute viel mehr als früher ihre Rechte wahr“, sagt er mit Blick auf verstärkte Aufklärung in den Schulen. „Das kann zu Spannungen und Gewalt in der Familie führen, wenn Eltern ihren Kindern diese Rechte nicht zubilligen wollen.“

Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen mit Gewalt in der eigenen Familie prägen nach dem Urteil von Experten ihr späteres Sozialverhalten. Nach einer Expertise des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen steigern Gewalterfahrungen in Familien das Risiko eines Kindes, später selbst gewalttätig zu werden.  In der letzten bundesweiten Befragung von 16.000 Schülern der 9. und 10. Klassen von 1998 berichteten 17 Prozent von Züchtigungen, hartem Anpacken, Stößen vor ihrem zwölften Lebensjahr. Jeder Zehnte erlitt auch Faustschläge und Tritte. (mit dpa)

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Informationen und Hilfe:

Für Kinder, die von ihren Eltern vernachlässigt oder misshandelt werden, bietet die Fachstelle für Kinderschutz im Land Brandenburg Hilfe an

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e. V. (BVKJ) - Landesverband Brandenburg und die Fachstelle Kinderschutz im Land Brandenburg informieren in einem Leitfaden über die Früherkennung von Gewalt gegen Kinder und Jugendliche.

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