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Gedenkstätten: „Dass es 20 Jahre dauert, hätte ich nicht gedacht“

Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten feiert ihr 20-jähriges Bestehen. Der Direktor Günter Morsch über langwierige Projekte, sein Verhältnis zur Landesregierung und den Konflikt an der Gedenkstätte Leistikowstraße

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Herr Morsch, die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten feiert ihr 20-jähriges Bestehen. Sie waren schon 1993 als Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen, später als Direktor der Stiftung dabei. Was haben sie 1993 in Oranienburg beziehungsweise Fürstenberg vorgefunden?

Wir haben nationale Mahn- und Gedenkstätten vorgefunden, die die DDR antifaschistisch überformt und politisch instrumentalisiert hatte. Zudem waren die Denkmale sehr stark sanierungsbedürftig, teils sogar baufällig. In den Gedenkstätten hat so gut wie keine wissenschaftliche Forschung stattgefunden, die pädagogischen Konzepte waren veraltet. Die Ausstellungen waren teilweise seit 40 Jahren nicht mehr überarbeitet.

Wie viele Jahre haben Sie gebraucht, um all das zu ändern?

Man kann nicht sagen, dass der Prozess schon abgeschlossen ist. Wir haben 1994 sogenannte Zielplanungen entwickelt. Dabei kamen wir auf Summen von 110 bis 120 Millionen D-Mark für Sachsenhausen und etwa 60 bis 80 Millionen D-Mark für Ravensbrück. Das sind natürlich Summen gewesen, wie sie sich Brandenburg, das ja nicht zu den reichen Bundesländern gehört, so nicht vorgestellt hat. Auch der Bund, der uns damals bereits gefördert hat, war von diesen Summen etwas überrascht. Deshalb einigte man sich auf eine Art Stufenprogramm. Dass dieses 20 Jahre und länger dauert, damit hat keiner gerechnet – ich auch nicht.

Warum dauerte es länger, als man dachte?

Das hat viele Gründe, aber der Hauptgrund ist, dass das kleine Land Brandenburg mit zwei großen KZ-Gedenkstätten an seine finanziellen Grenzen stieß.

Hätten Sie sich manchmal mehr Unterstützung durch das Land gewünscht?

Ich möchte den Direktor kennenlernen, der sich nicht mehr finanzielle Unterstützung wünschen würde. Aber die Realitäten im Land Brandenburg waren so, wie sie sind, und wenn man sich im Rückblick anschaut, dass insgesamt 61 Millionen Euro durch Land, Bund und EU investiert wurden, dann muss man trotzdem zufrieden sein. Das war schon eine gewaltige Kraftanstrengung für dieses kleine Land Brandenburg.

Wie sieht das mit der politischen Unterstützung aus?

Die politische Unterstützung der Stiftung war von Anfang an groß. Brandenburg war Vorreiter, nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern auch in den alten, sowohl in den Ideen der Neukonzeption als auch in der Organisation der Stiftung.

Allerdings gab es doch Verstimmungen bezüglich des Jahrestages von 1933. Sie hatten die Ausstellung "Früher Terror" geplant, die dann nicht gefördert wurde. Haben Sie das Gefühl, dass es eine neue Entwicklung gibt, die mit Frau Kunst zu tun hat?

Nein, sicherlich nicht. Das hat vermutlich mit dem knappen Haushalt sowie möglichen anderen Prioritäten zu tun, die das Kulturministerium setzt.

Hätten Sie anlässlich des 80. Jahrestages der Machtübernahme durch Hitler mehr von Brandenburg erwartet?

Der 80. Jahrestag der Machtergreifung ist gerade vor dem Hintergrund von Demokratiemüdigkeit, Rechtsextremismus und Rassismus außerordentlich wichtig. Ich halte diesen Jahrestag für eine große Chance zur Festigung des demokratischen Bewusstseins. Gemessen an dem, was in Berlin getan wird, ist das relativ geringe Engagement des Landes umso bedauerlicher. Es hat Ansätze gegeben und interessante Konzepte, aber leider wurden diese nur zu einem geringen Teil aufgegriffen. Das letzte Wort über unseren Antrag ist noch nicht gesprochen. Allerdings ist die Zeit bereits weit fortgeschritten.

Beim diesjährigen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus waren das erste Mal keine Zeitzeugen dabei. Gibt es denn gar keine mehr?

Doch, die gibt es natürlich noch. Aber grade hier im Raum Berlin-Brandenburg sind es schon sehr wenige geworden. Sie müssen bedenken: Die Deutschen waren die ersten in den Konzentrationslagern, die deutschen KZ-Überlebenden sind heute um die 90 Jahre alt. Aber auch in anderen Ländern wird die Zahl der Überlebenden leider immer geringer.

So ein Gespräch zwischen einem jungen Menschen und den Überlebenden doch aber in Emotionalität und Nachhaltigkeit nicht zu übertreffen. In absehbarer Zeit wird es aber keine Zeitzeugen mehr geben. Wie kann man es dann schaffen, die Jugendlichen zu erreichen?

Zunächst einmal sind die Begegnungen und Gespräche mit Überlebenden nicht zu ersetzen, das ist gar keine Frage. Aber dass das Ende der Zeitzeugenschaft kommt, das war uns schon vor zwanzig Jahren klar. Wir haben moderne Museen eingerichtet und versucht, das Ende der Zeitzeugenschaft aufzufangen, indem wir zum Beispiel einen biografieorientierten Ausstellungsansatz realisierten. Wir haben damals wie viele andere auch große Oral-History-Projekte durchgeführt, indem wir Zeitzeugen mit Video und Audio aufgenommen haben. Auch die pädagogischen Konzepte haben wir überarbeitet. Anstelle von Betroffenheit und emotionaler Überwältigung setzen wir auf historisches Lernen, Kontextualisierung und Diskussion, wobei auch der Empathie mit den Opfern ein großer Stellenwert zukommt.

Im April 2012 wurde in Potsdam die Gedenkstätte Leistikowstraße eröffnet, die die Stiftung treuhändisch verwaltet. Hat sich der Konflikt dort beruhigt?

Zunächst einmal muss man feststellen, dass die Kritik an der Ausstellung von fachkundigen Experten weitgehend einhellig zurückgewiesen wird. Zudem ist es gelungen, gemeinsam mit dem Gedenkstättenverein ein Veranstaltungsprogramm zu erarbeiten. Mittlerweile organisiert der Verein in der Gedenkstätte mehr Veranstaltungen als die Stiftung. Trotzdem gibt es nach wie vor Meinungsunterschiede, die mit unterschiedlichen Vorstellungen zur Erinnerungskultur generell zu tun haben. Sind Gedenkstätten Orte, die in erster Linie Betroffenheit und einfache Lehrmeinungen erzeugen sollen, oder sind sie offene Lernorte, an denen auch kontrovers über Geschichte diskutiert werden muss? Geschichte ist nicht eindimensional, sondern vielfältig. Und diese Vielfältigkeit und Widersprüchlichkeit von Geschichte muss man aushalten.

Wie sehen die nächsten Jahre bei der Stiftung aus?

Wir haben zahlreiche Bau- und Ausstellungsprojekte, die in den kommenden Jahren anstehen. Außerdem müssen wir die ersten Ausstellungen auch wieder erneuern. Die derzeit älteste in Sachsenhausen stammt von 1994 und behandelt das Konzentrationslager Oranienburg. Damals ging es vor allem darum, das "gläserne KZ" mitten in der Stadt darzustellen und zu zeigen, wie sehr Oranienburg von dem KZ profitiert hat. Das wurde zu DDR-Zeiten totgeschwiegen und musste in den 1990er Jahren aufgearbeitet werden. Heute würde man den Schwerpunkt eher darauf legen, wie es überhaupt zu der Diktatur kommen konnte, wie der Terror etabliert und das KZ-System durchgesetzt wurde.

Wie hat sich das Verhältnis der Stadt zur Stiftung entwickelt in den vergangenen Jahren?

Das Verhältnis zwischen einer Stadt und einer Gedenkstätte ist immer konfliktbeladen. Eine Stadt lebt von Lokalpatriotismus, und dieser ist definiert durch die Überhöhung positiver Seiten der Geschichte. Es gab und gibt Schwierigkeiten, aber auch Beispiele guter Zusammenarbeit wie das Oranierjahr oder die Open-Air-Ausstellung am Klinkerwerk. Man kann Oranienburg auf jeden Fall nicht vorwerfen, sich nicht auch mit den dunklen Seiten seiner Geschichte auseinanderzusetzen. Schwer tut man sich aber im Umgang mit der Gedenkstätte. Als ich 1993 hierher gezogen bin, erhielt ich als Neubürger eine Begrüßungsbroschüre. Darin war Sachsenhausen mit keiner Silbe erwähnt. Das würde heute sicher nicht mehr passieren.

Das Gespräch führte Katharina Wiechers

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