1. Mai in Berlin: Der Aufruhr hat schon begonnen
Parolen, brennende Autos: Berlins linke Szene macht vor dem 1. Mai stärker mobil als zuvor. Ihr Thema: Gentrifizierung. Guggenheim-Lab war nur Anfang.
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Berlin - So früh rollte die Welle aggressiver Aufrufe in den vergangenen Jahren nicht an: Die linksextreme Szene läuft sich offenbar bereits warm für den 1. Mai in Berlin, möglicherweise beflügelt durch den vermeintlichen Sieg über das Guggenheim-Lab, das nun doch nicht nach Berlin-Kreuzberg zieht.
Bereits an diesem Wochenende wurden zahlreiche Parolen im Internet veröffentlicht, und erstmals wieder seit längerer Zeit standen in der Nacht zu Sonntag im Stadtteil Prenzlauer Berg zwei BMW in Flammen. Ein nach eigenen Angaben loser Zusammenschluss von Menschen wirbt für „Insurrection Days“, also „Tage des Aufruhrs“, in der Woche vor dem 1. Mai. Dabei sei es egal, ob man – Zitat – „einen Bundesstaatsanwalt kidnappt oder das erste Mal bei Aldi klauen geht“. Begründet wird diese dezentrale Taktik so: „Am 1. Mai wissen die Bullen, wann und wo es knallen könnte, und waren in den letzten Jahren bestens darauf vorbereitet. Die Nächte und Tage davor wollen wir uns jedoch selbst gestalten“ – und zwar „mit feuriger Wut“. Konkret wird zum Zerstören von Überwachungskameras an Gebäuden aufgerufen. Im Internet kursiert eine Liste mit Standorten.
Für die Polizei bedeutet dies, schon eine Woche vor dem 1. Mai deutliche Präsenz zeigen zu müssen. Erstmals nach vielen Jahren ist in diesem Jahr ein CDU-Politiker Innensenator, thematisiert wird dies in der Szene jedoch nicht, auch wird sich die Taktik der Polizei deshalb nicht ändern. Wie in den Vorjahren werden 6000 bis 7000 Polizisten im Einsatz sein. Erschwert wird die Lage durch den Sport: Am 29. April trifft der 1. FC Union in Berlin auf den FC Hansa Rostock. Alleine für dieses Hochrisikospiel zwischen den Clubs mit ihren verfeindeten Fangruppen müssen mehr als 1000 Polizisten eingeplant werden – die dann anderswo fehlen. Dem Vernehmen nach versuchen die Sicherheitsbehörden, eine Verlegung des Spiels zu erreichen, groß ist die Hoffnung aber nicht.
Zu den Internetaufrufen des Wochenendes gehört auch der Drohbrief einer neuen Gruppe namens „Standortrisiko“, gerichtet an die Eigentümer des Grundstücks an der Schlesischen Straße in Kreuzberg, auf dem das Guggenheim-Lab entstehen sollte. „Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass aus Ihren hochtrabenden Plänen nichts werden wird“, heißt es darin, und weiter: „Wir werden eine öffentliche, für alle zugängliche, nichtkommerzielle Nutzung durchsetzen.“ Eine Münchener Immobilienfirma plant dort einen Luxusneubau. Der Name „Standortrisiko“ spielt auf eine Äußerung von Innensenator Frank Henkel (CDU) im Tagesspiegel an, der nach dem Aus für das Kreuzberger Guggenheim-Lab die „Chaoten“ so bezeichnet hatte.
Gentrifizierung ist in diesem Jahr das beherrschende Thema für den 1. Mai – wo demonstriert wird, ist jedoch noch unklar. „Berlin für alle – Gentrifizierung und Privatisierung stoppen“, heißt es im Aufruf für den abendlichen Autonomenmarsch (die sogenannte 18-Uhr-Demo). Als Treffpunkt wird der Lausitzer Platz genannt, also der Ort, an dem vor 25 Jahren die erste Kreuzberger Mai-Randale ihren Ausgang nahm. Angemeldet wurde eine Demo durch die Wilhelmstraße zum Brandenburger Tor – und nicht eine der bekannten Runden durch Kreuzberg und Neukölln. Das Polizeipräsidium hatte schon durchblicken lassen, dass die Route vorbei an Finanzministerium und Britischer Botschaft voraussichtlich verboten wird. Nach der Krawalldemo in Frankfurt am Main am Sonnabend dürften die Chancen für diese Route weiter gesunken sein. Dort hatten Chaoten nach einer antikapitalistischen Demo Banken und Geschäfte mit Steinen attackiert – die Berliner Szene feierte dies am Sonntag auf ihren Internetseiten. Eine Entscheidung über die Demonstration dürfte erst kurz vor dem 1. Mai fallen. Zuletzt hatten linke Gruppen 2009 einen Zug durch die Friedrichstraße durchsetzen wollen, ein Gericht hatte das Verbot damals bestätigt.
Auch szeneintern wird über die Route gestritten. Mitte sei am 1. Mai menschenleer, „dieses Gebiet ist das ideale Umfeld für die Bullen“, heißt es in einem Beitrag bei „Indymedia“. In der Vergangenheit hatten Störer regelmäßig nach Ende der 18-Uhr-Demo versucht, Randale anzuzetteln. Dies ist am Brandenburger Tor kaum möglich, heißt es gleichlautend in der Szene und im Präsidium. Es bliebe also nur der spontane Angriff aus der Demo heraus auf Ministerien oder Botschaften. Auch Polizisten müssen Attacken befürchten. Mindestens dreimal sind im März Beamte in Friedrichshain-Kreuzberg aus der Deckung heraus unvermittelt mit Flaschen oder Steinen angegriffen worden. Zu einem Fall wurde ein Bekennerschreiben veröffentlicht: „Wir hoffen auf Nachahmung.“ Im Aufruf zum 1. Mai heißt es: „Die Polizei ist nicht dein Freund und Helfer, sondern Richter und Henker.“
Auch am Tag vor dem 1. Mai will die linke Szene nach Jahren in Friedrichshain den Bezirk wechseln. Statt am Boxhagener Platz soll die „antikapitalistische Walpurgisnacht“ am S-Bahnhof Wedding stattfinden, am Abend ist eine Demo durch Wedding geplant.
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