zum Hauptinhalt

Von Alexander Fröhlich: Der bizarre Fall eines Stasi-Lehrers Wirbel im Bildungsressort um SPD-Stadtpolitiker

Potsdam – In der Stasi-Debatte werden die Fälle immer bizarrer – wie beim Stasi-belasteten SPD-Kommunalpolitiker Thomas Reichel (42) aus Brandenburg/Havel. Als falsch erwies sich am Mittwoch zwar die Meldung, Reichel habe als Lehrer deutschlandweit empfohlenes Unterrichtsmaterial über den DDR-Geheimdienst mitverfasst.

Stand:

Potsdam – In der Stasi-Debatte werden die Fälle immer bizarrer – wie beim Stasi-belasteten SPD-Kommunalpolitiker Thomas Reichel (42) aus Brandenburg/Havel. Als falsch erwies sich am Mittwoch zwar die Meldung, Reichel habe als Lehrer deutschlandweit empfohlenes Unterrichtsmaterial über den DDR-Geheimdienst mitverfasst. Unklar ist aber, wie der vergangene Woche als Stadtverordneter zurückgetretene Pädagoge überhaupt Geschichtslehrer werden konnte. Das Bildungsministerium sichtet die Personalakte.

Tatsächlich war Reichel bis Mitte 2009 beim Landesinstitut für Schulen und Medien (LISUM) geringfügig beschäftigt, sein Name taucht auf dem Deutschen Bildungsserver beim „Arbeitsmaterial zur Stasi-Geschichte“ auf: „Eingetragen von: Thomas Reichel“ vor drei Jahren. Doch diese Arbeitsmappe sei von der Stasi-Unterlagenbehörde erarbeitet worden, sagt LISUM-Direktor Jan Hofmann. Reichel sei „Techniker gewesen, der das Material in den Bildungsserver gestellt hat. Er hat daran kein Komma verändert.“ Abrufbar ist die Mappe seit einem Jahr nicht, die Birthler-Behörde überarbeitet sie.

Dennoch wirft der Fall ein Schlaglicht auf den Umgang mit Stasi-Spitzeln in Brandenburg. Das Bildungsministerium hat Reichel am Montag freigestellt, die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten den Honorarvertrag gekündigt. Reichel war Museumspädagoge an der Zuchthaus-Gedenkstätte in Brandenburg/Havel, vor 1989 eines der größten Gefängnisse für politische Gefangene in der DDR. Nun untersucht das Ministerium, ob es zur Einstellung eine Stasi-Überprüfung gab. Lückenlos und am schärfsten gab es derlei in Brandenburg in den frühen 1990er Jahren für Lehrer, in den einzelnen Ressorts war die Praxis höchst verschieden. Nun gelten Selbstauskunft und Einzelfallentscheidungen. Gordon Hoffmann, CDU-Bildungsexperte im Landtag, mutmaßt: „Entweder wurden von Herrn Reichel falsche Angaben zur Überprüfung gemacht oder das SPD–geführte Ministerium hat seine Stasi-Vergangenheit toleriert.“ Die Abschaffung der Regelüberprüfung in den 1990er Jahren wirke bis heute fort.

Vor gut eineinhalb Wochen gab Reichel sein Mandat im Stadtparlament, wo er gegen die Regelüberprüfung war, aus „persönlichen Gründen“ auf. Fragen wich er mit Hinweis auf „zwei reguläre Überprüfungsverfahren“ seit 1997 aus. Am Freitag tauchte seine Spitzel-Akte auf. Reichels Reaktion: Er habe seine Vergangenheit als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) verschwiegen, um sich und seine Familie zu schützen, in der Hoffnung, er komme nach der Mandatsniederlegung „da raus“. Tatsächlich hatte sich Reichel 1988 21-jährig an der Potsdamer Akademie für Staat und Recht als IM „Wolfgang“ verpflichtet. Nach 1990 studierte er Deutsch und Geschichte, wurde 1996 wissenschaftlicher Mitarbeiter und 2003 sein Referendar. Ab 2005 arbeitete er als Lehrer, stellte bis Mitte 2009 beim LISUM nebenbei Arbeitsmaterial online.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })