Brandenburg: Der Maidan liegt im Keller
Die Ukraine, selbst Jemen, Mali, Ägypten – auf der Tourismus-Börse präsentieren sich gerade problematische Länder als authentische Idyllen mit Abenteuercharakter. Ein Rundgang
Stand:
Berlin - Am Ende gewinnt ja doch wieder Berlin. 25 Jahre Mauer! Auf der ITB gibt es davon schon mal einen kleinen Vorgeschmack, eine Simulation mit den 8000 leuchtenden Heliumballons entlang der früheren Grenze – das sieht so echt aus, als sei alles schon vorbei. Mit Luftbild!
Wenn das im November Realität wird, dann werden sicher mehr Touristen in Berlin zuschauen, als das ganze Jahr über nach Kiew kommen. Doch das hält die Ukrainer nicht davon ab, mit einem recht imposanten ITB-Auftritt um Besucher zu werben – und damit keiner daran zweifelt, wie das gemeint ist, prangt in einer Hallenecke ein ziemlich großes Foto des Maidan-Platzes mit sehr, sehr vielen Menschen darauf. „It’s all about U“ steht vieldeutig daneben.
Das Ganze ist ein wenig merkwürdig. Es fängt schon damit an, dass die Halle 2.1 recht schwer zu finden ist. Sie liegt, falls man das von Berliner Messehallen so sagen kann, im Keller des Geländes, dort, wo der Flaneur von allein nie hinfindet. Die Regie hat dort nun die Ukraine und Russland direkt nebeneinander angesiedelt, und außerdem entsteht an der Schnittstelle eine Art Dreiländereck mit den USA, wo auch gleich „Yankee Holidays“ angeboten werden.
Nein, wir sollten da wohl nicht zu viel hineininterpretieren, die einzelnen Länder pflegen hier die friedlichste aller möglichen Koexistenzen. „Ukraine loves you“, heißt es beschwichtigend, das Land sei so „vielfältig und wandelbar wie die Welt“, das müsste eigentlich sogar Putin akzeptieren. Moskau seinerseits wird von bunten russischen Regionen umringt wie der Heidehof von Schafen, und es hat auch gar keinen Zweck, die Offiziellen nach irgendwelchen politischen Einschätzungen zu fragen, sie vertreten ihr wunderbares Land, geben wunderbare Prospekte aus und wissen gar nicht, wo das Problem liegen könnte. Das Bild eines Kampfs zwischen Bär und Wolf, das für die Altai-Region typisch sein soll, markiert die Spitze der Aggression hierselbst.
Die ITB, die wohl größte Reisemesse der Welt, ist ein Phänomen. Denn es gibt auf ihr eigentlich nichts zu sehen. Sicher, vermutlich ist jede einzelne türkisblaue Bucht dieser Welt hier auf irgendeinem Foto abgebildet, das gehört sich so. Aber nicht die Prospektjäger machen den Erfolg aus, sondern die Profis, die ein dicht gestecktes Programm absolvieren, damit der gewünschte Erfolg eintritt: „How many deals this morning?“, fragt ein Amerikaner den anderen drei Stunden nach Eröffnung, und die Antwort lässt ihn staunen: „Ten already?“ Zehn – das sind, nimmt man die beträchtlichen Fußwege dazu, 15 Minuten pro Geschäft, es ist eine superheiße Branche.
Was sie natürlich besonders in jenen Ländern wissen, die gegenwärtig von Touristen eher links liegen gelassen werden. Man könnte sogar sagen, dass diese Länder die größten Stände gemietet haben, was allerdings unfair gegenüber den sehr großen Ständen von Hessen und Bayern wäre. Ägypten beispielsweise steht sehr stark da und gibt sich ultracool wie von „Be Berlin“ geklaut: „Wir sind gelassen/wir sind ausgelassen/wir sind Ägypten“. Im Jemen machen sie keine Sprüche, sondern bedunsten den ganzen Stand mit Räucherstäbchen, und selbst Mali, sicher ein besonderer Problemfall, bietet sich klein und bescheiden als „Authentic Africa“ an, zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie bitte die Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes.
Auch im Libanon gelten gewisse Vorsichtsmaßnahmen, von den Straßen Beiruts bis ins Bekaa-Tal, aber das hindert beispielsweise das „Ramada Downtown Beirut“ nicht daran, sich zu präsentieren, als stünde es vorn an der Maximilianstraße. Israel, vom Rest der arabischen Welt ganz realistisch durch Jordanien getrennt, gibt sich locker und kontaktfreudig wie immer; Palästina, deutlich kleiner, residiert eine Halle entfernt, und alles andere liegt bei den Emiraten, denen es vor allem auf möglichst viele große Fünf-Sterne-plus-Hotels ankommt.
Mexiko ist das Partnerland der diesjährigen ITB. Das macht sich nicht wirklich spektakulär bemerkbar, es gibt eine große Bildwand, auf der das Naheliegende gezeigt wird: Disko, Klettern, Tauchen, Kunst und Essen. Für Selbstkritik wäre das auch ganz sicher die falsche Bühne, das sieht man in Kolumbien nicht anders, wo man sich mit durchdringendem Kaffeeduft attraktiv einnebelt. Und Argentinien appelliert sogar an den reisenden Gourmet und zeigt ein großes Foto: „Thomas, 34, #DeutscheAutorenkücheInDerHeimat- DesMalbec“ – die eigenartige Schreibweise verdeutlicht die NeueMedien-Affinität des Landes, das ist raffiniert zeitgeistig. Brasilien lässt Elfmeter schießen und misst das Tempo, seltsamerweise mit dem gleichen Gerät, das die Polen zur Werbung für die Volleyball-WM 2014 nutzen. Der Ball pufft gegen die Wand, der Gegner blickt stoisch, dann wird abgerechnet.
Deutschland? Ist halt Deutschland. Man wird sagen dürfen, dass sich das Land aufgeräumt und modern zeigt, ganz ohne den Sauerkrautmuff und Piraten-Achselschweiß, der die Grüne Woche immer so hinunterzieht. Allerdings manchmal ein wenig bürokratisch, wenn beispielsweise der Verband der Campingplatz-Unternehmer Niedersachsen-Bremen sich als eben jener präsentiert – aber da sind dann wenigstens auch die Duschen pieksauber.
Allerdings sind wir Deutschen auch die großen Bedenkenträger der touristischen Welt. Unerbittlich ziehen wir das durch, an diesem Mittwoch, zwölf Uhr mittags, mit einem Impulsvortrag zum Thema „Wo steht die Deutsche Tourismusindustrie in Sachen Nachhaltigkeit?“ Ja, wo? Eine Hardcore-Podiumsdebatte schließt sich an und wird sicher zu irgendeinem Ergebnis geführt haben. Wir Berliner versprechen aber schon mal feierlich: Die 8000 Ballons werden komplett ins Recycling gegeben. Mitsamt Helium.
Bernd Matthies
Reisen mit Facebook: Seite 19
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