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Das Brandenburgische Landeshauptarchiv digitalisiert zur Zeit etwa 42.000 NS-Akten mit mehr als 1,5 Millionen Blättern.

© Andreas Klaer

Der Raubkunst auf der Spur: Potsdamer Forscher veröffentlichen 42.000 Akten aus der Nazi-Zeit

Zehntausende Datensätze hat das Brandenburger Landeshauptarchiv im Internet zugänglich gemacht. Sie sollen Aufschluss geben über den Verbleib von Raubkunst.

1932 musste Emil Julius Gumbel Deutschland verlassen. Der Heidelberger Mathematiker hatte sich in der Weimarer Republik als Pazifist und überzeugter Sozialist einen Namen gemacht. In einem Buch wies der jüdische Wissenschaftler der zeitgenössischen Justiz nach, dass Täter aus dem rechten politischen Spektrum mildere Urteile erwarten konnten als Vertreter der politischen Linken. Gumbel verlor seine Lehrerlaubnis, emigrierte nach Lyon, später in die USA.

Was das Schicksal des Heidelberger Wissenschaftlers mit Berlin und Brandenburg zu tun hat? Im Potsdamer Landeshauptarchiv findet sich eine Akte Emil Julius Gumbel. Sie gehört zum 42.000 Akten und 2,7 Millionen Seiten umfassenden Bestand des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg. Diese Behörde war in der NS-Zeit dafür zuständig, das Eigentum politisch verfolgter, emigrierter, deportierter und ermordeter Menschen zu verwerten.

„Es ging darum, alles, was man den Menschen abgenommen hat, irgendwie zu Geld zu machen“, sagt der Direktor des Landeshauptarchivs, Prof. Mario Glauert. „Manchmal waren es wertvolle Kunstwerke oder alte Bücher, manchmal Hausrat, und manchmal lesen wir in Akten auch nur vom buchstäblich letzten Hemd, das man in irgendeinem Schrank gefunden hat.“

SA stürmte Gumbels Wohnung

Im Fall vom Emil Julius Gumbel hatte die SA schon 1932, also bevor die Nationalsozialisten an die Macht kamen, dessen Heidelberger Wohnung gestürmt. Später leerte sie sein Bankschließfach. Darin enthalten: Die wertvolle Münzsammlung des Professors. „Weil man das nicht einschätzen konnte, wandte man sich an den Direktor des Münzkabinetts im damaligen Berliner Kaiser-Friedrich-Museum“, sagt Glauert. In den Potsdamer Akten ist verzeichnet, dass er einige Stücke für seine Sammlung ankaufte. Sie sind bis heute in einer Ausstellung im Berliner Bode-Museum zu sehen.

70.000 Namen von Menschen, die verfolgt wurden oder in die Emigration getrieben wurden, sind in den Akten enthalten.

Mario Glauert, Direktor des Landeshauptarchivs

Dann holt Glauert die Akte des Kunsthändlers Bruno Cassirer hervor. Der Verleger und Pferdeliebhaber, dem einst auch das uckermärkische Gestüt Lindenhof bei Templin gehörte, musste Ende der 1930er Jahre nach England emigrieren. Auf einer eng mit Schreibmaschine beschriebenen Seite sind die Namen der Käufer seiner Kunstwerke verzeichnet. Mehrfach dabei: Der Kunsthändler Hildebrand Gurlitt. Seine Kunstsammlung, die nach dem Tod seines Sohnes Cornelius Gurlitt 2012 in München wieder auftauchte, trug maßgeblich dazu bei, dass das Thema NS-Raubkunst heute von Museen in aller Welt energisch angegangen wird.

Akten in Potsdam spielen Schlüsselrolle

Die Akten im Potsdamer Landeshauptarchiv spielen dabei eine Schlüsselrolle. „Sie erklären die Herkunft vieler Gegenstände, die sich auch heute noch im Eigentum der öffentlichen Hand befinden“, sagt Brandenburgs Kulturministerin Manja Schüle (SPD). Sie war am Montag ins Landeshauptarchiv gekommen, um einen besonderen Meilenstein in der Erforschung der NS-Raubkunst zu würdigen: Rund 42.000 beschreibende Datensätze zu den Akten des Oberfinanzpräsidenten sind nun im Internet einsehbar.

Interessierte können online nach dem ehemaligen Besitzer des Kunstguts oder einem Museum suchen, das in den Akten verzeichnet ist. Beim Klick etwa auf den Namen Gumbel werden dann alle Auszüge aus den Akten angezeigt, in denen von geraubtem Kulturgut und dessen Verkauf die Rede ist. „70.000 Namen von Menschen, die verfolgt wurden oder in die Emigration getrieben wurden, sind in den Akten enthalten“, sagt Glauert. „Es sind Menschen, die manchmal noch fliehen konnten, die vielfach aber verhaftet, interniert und in den Lagern ermordet wurden.“

Dokumentiertes Unrecht der Nationalsozialisten

„In den Aktenschränken des Oberfinanzpräsidenten wurde das Unrecht dokumentiert“, sagt Schüle. „Schicksale werden durch diese Akten nachvollziehbar.“ Für das Digitalisierungsprojekt hatte Brandenburg in den Jahren 2019 und 2020 eine Anschubfinanzierung von rund 100.000 Euro bereitgestellt. Die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien unterstützte das Projekt zudem mit 3,3 Millionen Euro.

Deren Abteilungsleiterin Maria Bering kündigte am Montag an, die Förderung des Digitalisierungsprojekts mit einer weiteren Million Euro bis 2026 fortzusetzen. Durch die Digitalisierung der Potsdamer Akten erhoffe man sich etwa „Unterstützung für Museen, die die Herkunft ihrer Sammlungen erforschen“. Denn die Erforschung der NS-Raubkunst bleibe eine „dauerhafte und herausragende Aufgabe“.

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