
© Stephanie Pilick/dpa
Von Alexander Fröhlich: Der Romeo von der BBG
Ausgerechnet in Brandenburg trifft die Stasi-Beauftragte Ulrike Poppe auf einen früheren Spitzel
Stand:
Potsdam - Es ist eine Ironie der Geschichte. Ausgerechnet in Brandenburg, wegen seiner laxen Praxis mit dem Stasi-Erbe über Jahre in der Kritik, stößt die Stasi-Beauftragte Ulrike Poppe auf einen früheren Spitzel. „Ich wusste damals schon, dass er ein Romeo war, einer von dreien, die auf mich angesetzt werden sollten“, sagt sie. Gemeint ist Harald Holland-Nell (53), einst Mitarbeiter, Geschäftsführer und heute immer noch Rechtsberater der einst landeseigenen Brandenburgischen Boden Gesellschaft (BBG), deren Privatisierung und Verkaufspraxis von Immobilien in Landesauftrag den Untersuchungsausschuss des Landtags beschäftigt.
Als wären die Vorwürfe nicht genug, bei den Geschäften sei dem Land ein Schaden entstanden, wie es der Rechnungshof für die Krampnitz-Kasernen in Potsdams Norden feststellte und wofür der damalige Finanzminister Rainer Speer (SPD) zuständig war, wird nun ein anderer Verdacht laut. Dass sich alte Stasi-Seilschaften Landeseigentum zugeschanzt haben könnten, was die Opposition glaubt.
Der Potsdamer Rechtsanwalt Harald Holland-Nell, bis 2009 einer von zwei Geschäftsführern und heute immer noch im Auftrag der BBG tätig, räumte bereits ein, für die Staatssicherheit als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) gearbeitet zu haben, Deckname „Fabian“. Dessen Stasi-Akte samt Verpflichtungserklärung liegen den PNN vor. Er war auf Anfrage nicht zu erreichen.
Die Stasi setzte den damaligen Richter am Stadtgericht Berlin 1987 auf die DDR-Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe an, heute sagt sie: „Er war einer von 80 Spitzeln, ich hatte den Namen schon vergessen. Wir waren mal in der Oper.“ Poppe stand als Mitglied der Initiative für Frieden und Menschenrechte – einer der radikalsten Oppositionsgruppen in der DDR – unter Dauerbeobachtung. Aufmerksam wurde die Stasi auf Harald-Nell im Oktober 1986 bei einer Veranstaltung zu Bürgerrechten in der DDR, auch Poppe war dort, gemeinsam mit vier weiteren „Organisatoren politischer Untergrundtätigkeit“. Am Abend, so steht es in der Akte von IM „Fabian“, traf Harald-Nell die Bürgerrechtlerin in einer Gaststätte. Fortan war der Richter für die Stasi eine interessante „Kontaktperson“. Er sollte in „Maßnahmen zur Zersetzung und Destabilisierung der Ehe“ der Bürgerrechtlerin „sowie zu ihrer weiteren politischen Neutralisierung einbezogen“ werden. IM „Fabian“ sollte Poppe für sich gewinnen, „zielgerichtet ein intimes Verhältnis“ zu ihr aufbauen, sie „mit den angenehmen Seiten des Lebens“ vertraut machen und ihr die „Errungenschaften“ des Sozialismus „in beeindruckender Art und Weise“ nahe bringen – um Poppe „in Widerspruch zu ihrem eigenen Milieu zu bringen“.
Viele Treffen sind in der Akte nicht belegt. Nach den von den Führungsoffizieren erstellten Berichten sprachen sie über allerlei: Strafrecht, die Perestroika, die Opposition in der Tschechoslowakei. Dem „Romeo“ fiel auf, dass Poppe „nur in der Ich-Form sprach und es ablehnte, die Wir-Form zu benutzen“. Im November 1989 stellte die Stasi die Zusammenarbeit ein, wegen privater Probleme des IM „konnte die geplante Einsatzrichtung“ nicht realisiert werden. Der „Romeo“ landete nicht bei Poppe. Allerdings attestierte die Stasi dem Juristen eine gute Zusammenarbeit. „Durch persönliche Konfrontation mit politischen Gegnern gewann er die Einsicht, dass diese Personen unter Kontrolle gehalten werden müssen.“
Der zweite mutmaßliche Stasi-Fall dreht sich um Frank Marczinek, 49 Jahre alt, eine schillernde Figur, die sich gern mit Größen aus Wirtschaft, Sport und Politik sehen ließ, enger Freund von Ex-Minister Speer ist und mit diesem im Vorstand des Fußball-Drittligisten SV Babelsberg 03 sitzt. In der ersten frei gewählten DDR-Regierung war er Staatssekretär von Verteidigungsminister Rainer Eppelmann, legte eine steile Karriere in der Wirtschaft hin, kam bei Thyssen und der Vattenfall unter, deren gemeinsame Tochter TVF Altwert GmbH, einem Abbruch- und Recyclingspezialisten, er ab 1997 führte und 2006 über ein Management-Buy-Out schließlich ganz übernahm. Die Firma machte schon lange Geschäfte mit der BBG, dann kaufte Marczinek die Landesfirma. Nach Sichtung von acht Personalkarteikarten hat sich die Stasiunterlagenbehörde festgelegt: Marczinek war von 1985 bis zur Wende Inoffizieller Mitarbeiter Sicherheit (IMS) des DDR-Geheimdienstes, Deckname „Frank Wulff“. Als NVA-Offizier soll er Soldaten bespitzelt haben. Die Stasi setzte den IM auf einen Soldaten an, der Pläne für Republik- und Fahnenflucht gehegt haben soll. Der IM soll „konspirativ einen Brief des Soldaten ... beschafft“ haben, wie aus einer Opferakte hervorgeht. „Frank Wulff“ schreibt einem Spitzel-Bericht, bei einer Kontrolle „konnte ich unbeobachtet das Bett des Soldaten kontrollieren“. Eine Verpflichtungserklärung gibt es nicht, Marczineks Stasi-Akte wurde im November 1989 vernichtet.
Danach ging es wieder aufwärts für ihn: In einem Interview sagte Marczinek vor zwei Jahren, in der Marktwirtschaft wird im Vergleich zur DDR „auch nur mit Wasser gekocht“. Er sprach auch über den Elan, „den die Aufbruchstimmung durch die deutsche Vereinigung bei vielen freigesetzt hat - nicht zuletzt bei all denen, die sich wie ich beruflich ohnehin ganz neu orientieren mussten“.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: