
© Kai-Uwe Heinrich
Brandenburg: Die erwartete Razzia
Bei der bundesweiten Razzia gegen die rechtsextreme HDJ wurden 31 Wohnungen in der Region durchsucht – Experten und die Szene warteten schon lange
Stand:
Potsdam/Berlin - Als gestern um sechs Uhr die Polizei bundesweit vor 100 Objekten vorfuhr, um Wohnungen von Mitgliedern des Vereins „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ) zu durchsuchen, war das für die meisten „Zielpersonen“ keine Überraschung mehr. Dass ihnen eine Razzia droht, war vielen HDJlern lange klar. Einige kannten offenbar sogar den Termin der Aktion, bei der in Berlin und Brandenburg 31 Wohnungen durchkämmt wurden.
Am Nachmittag hieß es bereits, der rechtsextremen Jugendorganisation HDJ drohe nun ein Verbot – soviel Beweismaterial für die Verfassungsfeindlichkeit des rechten Vereins habe man gefunden. Der Verfassungsschutz werde dies mit Blick auf ein mögliches Vereinsverbot auswerten, hieß es. Ob das aber kommt, bleibt ungewiss.
Seit mehreren Jahren beobachten die Verfassungsschutzbehörden von Brandenburg und Berlin das unheimliche Treiben des paramilitärischen Vereins HDJ, in dessen Reihen sich zahlreiche Mitglieder verbotenen Wiking-Jugend gut aufgehoben fühlen. Die hat der damalige Bundesinnenminister Manfred Kanther 1994 „wegen ihrer Wesensverwandtschaft mit der NSDAP und der Hitler-Jugend“ verboten, wie auch die Bildung von Ersatzorganisationen. Zahlreiche Spitzenfunktionäre der rechtsextremen Partei NPD wie der erst kürzlich aus Hohen Neuendorf (Oberhavel) nach Mellensee (Teltow-Fläming) gezogene Berliner NPD-Chef Jörg Hähnel sind ebenfalls bei der HDJ aktiv (siehe Kasten).
Experten hatten bereits vor wenigen Jahren ein Einschreiten der Behörden gefordert. Denn: Der rechtsextreme Verein erzieht Kinder und Jugendliche zu strammen Neonazis – mit militärischem Drill in Zeltlagern samt Strammstehen, martialischen Dauermärschen und ideologischer Schulung. Jungen tragen das „Grauhemd“, Mädchen die „Mädelbluse“ und langen blauen Rock. Es gibt Abzeichen, mit denen Mitglieder – ganz militärisch – ihren Rang markieren.
Ganze Familien sind nach dem Lebensbundkonzept im Verein und in Freundes- und Familienkreisen organisiert – Nationalsozialismus in einer abgeschotteten Lebenswelt – über Vorgängerorganisationen teils nahtlos seit dem Zweiten Weltkrieg über Generationen. Wer einmal drin ist, kommt nur schwer wieder heraus. Kennern gilt die HDJ als Nachfolger der Wiking-Jugend. Verfassungsschützer sprechen von ideologischen Parallelen.
Als neonazistisch betrachtet der Politologe Gideon Botsch vom Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum die Gruppierung, sie knüpfe inhaltlich an die Hitlerjugend (HJ) und sogar an die SS an. Ein Beispiel: In einem Video von einem Vereins-Treffen 2005 sagt Ralph Tegethoff, ein führender rechtsextremer Publizist: „Dieses System ist ein Fehler, und wir sind angetreten, um dieses System abzuschaffen und durch einen freien deutschen Volksstaat zu ersetzen.“
Erstmals aktiv wurde das Bundesinnenministerium erst im Herbst vergangenen Jahres, als es einen Antrag der HDJ auf Ausnahmegenehmigung vom Uniformverbot ablehnte. Politisch aktive Vereine dürfen nämlich nicht uniformiert in der Öffentlichkeit auftreten. Dennoch: Der paramilitärische Verein machte lustig weiter mit seinen Treffen, brüstete sich gar im Vereinsorgan, sich nicht die Kleidung vorschreiben zu lassen. Erst im August hielt die HDJ ein Zeltlager in Mecklenburg-Vorpommern ab, schulte Kinder in Uniformen mit Nazi-Propaganda in Rassenlehre. „Tischdecken mit Hakenkreuzen“, lauteten die Schlagzeilen, als das Lager aufflog. Die Sicherheitsbehörden hätten die HDJ seit geraumer Zeit im Visier, betont nun das Innenministerium. Es gebe keinen Grund für die Unterstellung, der Bundesminister handele zögerlich. Sollten Voraussetzungen für ein Verbot vorliegen, werde dies „ohne Wenn und Aber“ verfügt. Verwunderlich ist nur: Bei vielen anderen Organisationen – etwa der vor zwei Jahren in Brandenburg verbotenen ANSDAPO – gingen Verbot und Durchsuchungen in einem Zuge vonstatten. Die Beweise für eine Wesensverwandtschaft der HDJ mit dem Nationalsozialismus, wie sie für ein Verbot nötig wären, reichten zudem völlig aus, erklärten gestern Szenekenner.
Jetzt hat auch das Bundesinnenministerium „tatsächliche Anhaltspunkte, dass sich die HDJ gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet“. Der Verein sei ein „neonazistisch ausgerichteter Jugendverband“. Vermeintlich unpolitisch scheinende Freizeitaktivitäten wie Zeltlager dienten dazu, „Kinder und Jugendliche bereits in jungen Jahren an nationalsozialistisches Gedankengut heranzuführen, um sie in ihrem späteren Leben zu rechtsextremistisch Verblendeten zu machen“. Innen-Staatssekretär August Hanning sagte, nun werde sorgsam geprüft, ob „sich die HDJ in aggressiv-kämpferischer Weise gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet oder ihre Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderläuft“.
Doch dazu hatte das Ministerium lange Zeit: Noch bis Juni 2007 wollte es in Sachen Uniformverbot überhaupt nicht für die HDJ zuständig sein, weil der Verein „formal“ nicht bundesweit aktiv sei, wie es damals hieß.
„Ich glaube, dass die HDJ von vielen unterschätzt worden ist“, erklärt Politologe Botsch vom Mendelssohn-Zentrum dazu. „Es ist aber genug Material vorhanden für ein Verbot.“ Über die Jahre sei die HDJ funktional an die Stelle der Wiking-Jugend getreten, der 1994 auch die Gründung von Ersatzorganisationen untersagt worden ist. „Ich bin sicher, dass die Widerbetätigung nachgewiesen werden kann“, sagt Botsch.
Bereits im Frühjahr hatten die Fraktionen im Bundestag mit Blick auf die eindeutige Faktenlage ein Verbot gefordert, doch es tat sich nichts. Und ganz offenbar eine Informationspanne, durch die auch die HDJ vorab Wind von den gestrigen Razzien bekam. Nach PNN-Informationen schafften HDJ-Mitglieder schon vor Wochen Beweismaterial beiseite. Zwar wurden gestern offiziell Computer und digitale Speichermedien und Dokumente beschlagnahmt. Doch nach Waffen, auf die es seit Monaten gezielte Hinweise gibt, stießen die Beamten nach PNN-Informationen in Brandenburg nicht. axf/pet
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