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Brandenburg: Die große Unauffälligkeit

Viele ihrer Vorgänger hinterließen tiefe Spuren. Doch etliche aktuelle Ministerpräsidenten wirken wenig charismatisch

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Potsdam - Endstation Dresden, Saarbrücken, Mainz oder Schwerin: Die derzeitige Riege der deutschen Ministerpräsidenten scheint nicht nach höheren Weihen zu streben und bleibt lieber auf den sicheren Gleisen der Landespolitik. An diesem Mittwoch verlässt ein politischer Akteur die Arena, der als „Deichgraf“ in der Oderflut 1997 und kurzzeitiger SPD-Chef zumindest vorübergehend bundesweit in den Schlagzeilen war. Matthias Platzeck überlässt sein Amt als Ministerpräsident von Brandenburg dem bisherigen Landesinnenminister Dietmar Woidke (SPD) - für die meisten ein unbeschriebenes Blatt.

Damit steht Woidke nicht allein. Auch Malu Dreyer (SPD, Rheinland-Pfalz), Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU, Saarland), Jens Böhrnsen (SPD, Bremen), Erwin Sellering (SPD, Mecklenburg-Vorpommern) oder Stanislaw Tillich (CDU, Sachsen) sind nicht weit über die eigenen Ländergrenzen hinaus bekannt. Ganz anders waren die Zeiten, als noch Franz Josef Strauß (CSU), Gerhard Stoltenberg (CDU) oder Johannes Rau (SPD) die Geschicke ihrer Bundesländer Bayern, Schleswig-Holstein oder Nordrhein-Westfalen bestimmten. Auch mit bundespolitischen Ambitionen hielten sich diese Politiker nicht zurück.

Davon kann derzeit keine Rede sein – zumindest wird keiner der aktuellen Regierungschefs mit solchen Ambitionen in Verbindung gebracht. Ganz abgesehen von der Eignung. Für Ulrich Sarcinelli, Politikwissenschaftler der Uni Koblenz-Landau, besitzt nur Hannelore Kraft (SPD, Nordrhein-Westfalen) ein „bundespolitisch relevantes Charisma“. Auch Sarcinellis Dresdner Kollege Werner J. Patzelt muss lange nachdenken und kommt nur auf Kraft. „Die Länderregierungschefs waren in der Geschichte der Bundesrepublik eine elementare Führungsreserve für politische Spitzenämter auf Bundesebene“, sagt Sarcinelli. Offenbar gebe es nun dramatische Rekrutierungsprobleme.

Unauffällig und unscharf – das Erscheinungsbild deutscher Ministerpräsidenten ist ein Abbild der Veränderungen in Politik und Gesellschaft. Patzelt weist darauf hin, dass sich die Parteien in ihren Inhalten angeglichen haben. Die Grundsatzfrage, ob der Ostblock gefährlich oder ungefährlich sei und ob der Sozialismus eine Alternative darstelle oder nicht – all diese Debatten gebe es heute nicht mehr.

Gleiches gelte nun für die Atomkraft. „In den politischen Grundüberzeugungen dominieren die Ähnlichkeiten. Da tut sich jeder mit der Profilierung schwer. Am besten sagt man in leichten Nuancen, was die anderen auch sagen.“ Nach Ansicht Sarcinellis sind Politiker mit Blick auf die Milieu-Bindung ihrer Partei viel stärker als „Flexibilitätsmanager“ gefragt. „Für eine Mehrheitsbildung im eigenen Land reicht es nicht mehr aus, Graf im eigenen Milieu zu sein.“ Das begünstige einen Politikertyp, der auf dem Weg zum Machterwerb Ecken und Kanten verliert – oder sie von seiner Partei abgeschliffen bekommt.

Um heute erfolgreich zu sein und über das eigene Land hinaus eine Rolle zu spielen, sei außerdem eine hohe Medienkompetenz erforderlich. Manche Politiker würden mit den modernen Kommunikationsmechanismen nicht zurechtkommen und deshalb lieber in der Deckung bleiben.

Sarcinelli unterstellt den Medien in diesem Punkt eine gewisse Doppelbödigkeit. „Auf der einen Seite erwarten wir Ecken, Kanten und Authentizität. Aber wenn ein Akteur ein offenes Wort riskiert, dann kann das wahnsinnige Folgen haben.“ Patzelt, Professor an der Technischen Universität in Dresden, nennt einen weiteren Aspekt. In Zeiten von Smartphones sei die Wahrscheinlichkeit groß, dass Politiker selbst in der Provinz noch gefilmt und diese Bilder auf Youtube hochgeladen werden. Politikberater würden ihnen deshalb Schutzmechanismen beibringen: „Deshalb wird vorsichtig geredet, und deswegen fehlt die Originalität im Auftritt.“

Der Blick von außen bildet aber nur eine Seite ab. Aus den Worten Betroffener lässt sich neues Selbstverständnis und Unaufgeregtheit herauslesen. Hannelore Kraft verkörpert am ehesten das Modell der Landesmutter. Der Wille zu einem Leben allein für die Politik ist bei ihr nicht erkennbar. Den Ruf ihrer Partei nach der Kanzlerkandidatur lehnte sie voriges Jahr ab.

Winfried Kretschmann aus Baden-Württemberg, einziger Grünen-Ministerpräsident, ist überzeugt, dass Menschen in Krisenzeiten Weitblick und Besonnenheit wollen. Auch sein CDU-Amtskollege in Hessen, Volker Bouffier, hält nichts davon, jeden Tag ein anderes Thema hochzukochen. Das schrecke den Bürger eher ab, meint der 61-Jährige, der es immerhin zum stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden gebracht hat. Jörg Schurig

Jörg Schurig

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