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Von Alexander Fröhlich: Die Wunden des sozialistischen Frühlings

Ein Denkmal erinnert an die Opfer der Zwangskollektivierung – in Kyritz, wo die Bodenreform begann

Stand:

Kyritz – Kyritz an der Knatter, eine kleine Stadt in der Prignitz, knapp 10 000 Einwohner. Knatter deshalb, weil hier einst Wassermühlen vor sich hin knatterten. Am Wochenende wird die Kyritz Schauplatz eines Streits über die DDR-Geschichte. Es geht um Zwangskollektivierung oder Genossenschaftbildung in der Landwirtschaft vor 50 Jahren, es geht aber um die Deutungshoheit und um Nachfolgebetriebe der Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG).

Der Bauernbund, der vor allem Familienbetriebe vertritt, weiht am Sonntag einen Gedenkstein ein, die Inschrift auf der schlichten Bronzeplatte an dem zweieinhalb Meter hohen Findling lautet: „Den Opfern der Zwangskollektivierung im so genannten sozialistischen Frühling 1960 in der DDR.“ Es kommt politische Prominenz, darunter Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) und Ulrike Poppe, die brandenburgische Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. „Da sind immer noch Wunden“, sagt Poppe. „Es ist das erste Denkmal, das an die Opfer erinnert, die in die Genossenschaften gezwungen worden sind.“ Es kommen auch viele Bauern, alte Herren, die damals in die Genossenschaften gedrängt worden sind. Einer von ihnen ist Dietrich Meissner (71) aus Schrepkow in der Prignitz. 21 Monate saß er wegen staatsgefährdender Hetze in Haft, weil er sich über „einen von dieser Sorte Parteigenosse“ lustig gemacht hatte. „Die Nachwelt soll wissen, dass damals nicht alles mit rechten Dingen zugangenen ist“, sagt Meissner.

Ausgerechnet in Kyritz, für die Linke eine Provokation, aber auch für manchen Agrarfunktionär. Der Bauernbund war an mehreren Orten mit seiner Gedenk-Idee abgeblitzt, nur in Kyritz fand sich eine Mehrheit. Aber dort steht ganz in der Nähe schon ein Denkmal aus DDR-Zeiten, weil Wilhelm Pieck hier am 2. September 1945 als KPD-Vorsitzender die Bodenreform verkündet hat. Daher hält die Linke-nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung am heutigen Sonnabend eine Konferenz „aus Anlass des 50. Jahrestages des Abschlusses der Genossenschaftsbildung“ ab. Bauernbund-Geschäftsführer Reinhard Jung findet dafür harte Worte. „Das ist ein Schlag ins Gesicht der Entrechteten, dass die Roten Barone von einst heute ihre Erfolge feiern“, die brutale Zwangskollektivierung werde verharmlost, die Verbrechen der DDR-Führung gegenüber Bauern relativiert.

Tatsächlich sind im sogenannten sozialistischen Frühling ab Mitte Januar 1960 etwa 400 000 selbständige Bauern in die LPG gezwungen worden. Brigaden überrannten die Dörfer, stellten unwillige Bauern an den Pranger, Treibstoff und Düngerationen wurden gekürzt, Getreideabgaben erhöht, viele wurden verhaftet, es gab mehr Brandstiftungen und Selbstmorde. Jung nennt es „Psychoterror“, Poppe spricht von „traumatischen Erfahrungen“. „Diese Zeit war an Brutalität und Zwangsmaßnahmen nicht zu übertreffen“, sagt der Historiker Jens Schöne, er ist der stellvertretender Stasi-Beauftragter von Berlin. „Es ging darum, die Macht der Partei in den Dörfern durchzusetzen, nicht um den ökonomischen Vorteil.“ Die Folgen waren verheerend: „Der Mauerbau wäre nicht erfolgt, wenn es nicht zu den Zwangskollektivierungen gekommen wäre. Die Erträge brachen ein, die Versorgung in den Städten wurde schlecht“, so Schöne. Allein in den ersten sechs Monaten flüchteten 1960 fast 5300 in der Landwirtschaft Beschäftigte die DDR, das hat Schöne in den Akten der Volkspolizei gefunden. Im Vergleich zum Vorjahr war das eine Steigerung um 117 Prozent.

Auch Ulrich Toppel (73) aus Sarnow (Prignitz) hat an Flucht gedacht. 50 Hektar Land, Tiere und Maschinen verlor seine Familie damals an die LPG und musste erleben, „wie alles heruntergewirtschaftet wurde“. Aber wegen seiner Mutter blieb Toppel: „Die hätte den Hof nie verlassen.“ Heute bewirtschaftet er wieder sein Land – und wäre schon zufrieden, wenn Schulklassen beide Denkmäler sehen. „Dann wissen die zumindest auch von unserem Teil der Geschichte.“

Aber es ist nicht allein das Denkmal, das den Streit anheizt. „Die Folgen des sozialistischen Frühlings belasten die ostdeutsche Agrarstruktur bis heute“, sagt Jung und macht das an einer Person fest. Bei Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung sitzt der Präsident des Bauernverbandes, der SPD-Landtagsabgeordnete Udo Folgart, auf dem Podium. Der Generalsekretär der brandenburgischen CDU, Dieter Dombrowski, spricht von „Verhöhnung“. Jung von „Beleidigung für alle freien Bauern“, „wir gedenken der Opfer, der Bauernverband hofiert die Erben der Täter“. Denn Folgarts Bauerverband vertritt zu meist genau jene Großbetriebe, die nach der Wiedervereinigung aus den Genossenschaften hervorgegangen sind. Sie prägen mit ihren riesigen Ackerflächen bis heute das Land.

Damit befasst sich auch die Enquetekommission des Landtags zum Umgang mit der DDR, es ist vermintes Gelände. Die Opposition will klären, wie Kleinbauern nach 1990 benachteilitg wurden, was bei den Genossenschaften schief lief. Die rot-rote Regierungskoalition warnte, hier solle die Bodenreform infrage gestellt werden. Ein Reizthema.

Zwangskollektivierung – Bauernverbandssprecher Holger Brantsch sagt, es gab sie. Aber östlich der Elbe habe es schon immer große Güter gegeben, bis 1945 gehörten sie Junkern, um wegen schlechter Böden ausreichend Erträge zu erwirtschaften. Auch die Linke-Agrarexpertin im Bundestag, Kirsten Tackmann, räumt ein, dass es „Unrecht, Druck und Gewalt“ gab. „Das war ein Fehler. Viele sind nicht freiwillig in die LPG gegangen, andere haben darin einen Vorteil gesehen“, sagt Tackmann, sie hat in Kyritz ihren Wahlkreis. „Eine Debatte darüber ist wichtig. Ich bin aber gegen eine einseitige Betrachtung.“ Zudem gehe es bei der Konferenz auch um Genossenschaftsmodelle, die heute kleineren Betrieben eine Chance böten, und um den sozialistischen Frühling – die „Irrungen und Wirrungen“.

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