ZUR PERSON: „Diese Stadt muss sich verändern“ Ein Gespräch mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit um die Zukunft des wachsenden Berlin
_interview_s_Herr Wowereit, Sie waren lange der beliebteste Politiker der Stadt, zuletzt sind Sie doch etwas abgestürzt. Fühlen Sie sich ungerecht bewertet?
Stand:
_interview_s_Herr Wowereit, Sie waren lange der beliebteste Politiker der Stadt, zuletzt sind Sie doch etwas abgestürzt. Fühlen Sie sich ungerecht bewertet?
_interview_e_Na ja, wenn etwas schiefgeht, darf man sich nicht wundern, dass die Leute reagieren.
_interview_s_Die Kritik an Ihnen ist also berechtigt?
_interview_e_Dass ich ganz gerne eine differenziertere Betrachtungsweise von Verantwortlichkeiten am Flughafen sehen würde, liegt, glaube ich, in der Natur der Sache. Natürlich spielt da eine Rolle, dass man auch verantwortlich gemacht wird für Dinge, die man persönlich nicht zu verantworten hat.
_interview_s_In Ihrer Frühzeit als Regierender Bürgermeister haben Sie uns auf die Frage, was Sie mögen, gesagt: für alles zuständig sein. Würden Sie das heute auch noch so beantworten?
_interview_e_Das bezog sich ja nie darauf, dass ich alles auf meinen Schreibtisch ziehen will.
_interview_s_ der ist heute tatsächlich ziemlich aufgeräumt.
_interview_e_Ja, der ist gerade relativ leer, das haben Sie gut bemerkt. Aber das sagt nichts über den Berg an Arbeit aus, der dort jeden Tag ansteht. Damals bezog es sich auf die Bandbreite der Aufgabe, auf die Querschnittsfunktion. Das ist das Spannende daran, Regierender Bürgermeister zu sein.
_interview_s_Wie begegnen Ihnen denn die Berliner in der letzten Zeit?
_interview_e_Freundlich.
_interview_s_Es hat sich nichts verändert?
_interview_e_Manche sprechen in meiner Gegenwart das Wort mit dem F nicht mehr an. Interessante Variante. Einige trauen sich’s trotzdem, aber damit ärgert man mich gar nicht. Also das Verhältnis der Leute zu mir hat sich eigentlich nicht verändert.
_interview_s_Die Umfragewerte schon.
_interview_e_Ich arbeite jeden Tag daran, dass es besser wird. Nicht wegen der Sympathiewerte, sondern um die Probleme zu lösen.
_interview_s_Haben Sie dabei gerade einen Freund verloren?
_interview_e_Wer sollte das sein?
_interview_s_Matthias Platzeck.
_interview_e_Matthias Platzeck ist nach wie vor ein politischer Freund.
_interview_s_Aber?
_interview_e_Kein Aber. Politische Freundschaft heißt doch nicht, dass man immer zu hundert Prozent übereinstimmen muss. Das zeichnet ja gerade eine Freundschaft aus, dass man das dann ausbalancieren kann.
_interview_s_Also haben Sie ihm ganz freundlich gesagt, dass Sie beim Nachtflugverbot anderer Meinung sind?
_interview_e_Unmissverständlich.
_interview_s_Sie kennen sich lange, sind beide lange im Amt, er ist ein Nachbar, fast hätte es eine Fusion gegeben, aber jetzt redet man ganz anders übereinander. Ist da etwas zerbrochen?
_interview_e_Es ist schon immer so gewesen, dass Brandenburg und Berlin die eigenen Interessen vertreten, und das wird auch in Zukunft so sein. Aber wir arbeiten auf vielen Gebieten auch gut zusammen.
_interview_s_Aber der Ton zur Zeit
_interview_e_Nein, der Ton ist da auch nicht anders, aber wir haben jetzt ein ernstes Problem. Ich finde es absolut kontraproduktiv, beim Thema Flüge in den Tagesrandzeiten ein Fass wieder aufzumachen, das schon längst zu war.
_interview_s_Wie lässt sich dieser Konflikt lösen?
_interview_e_Für mich geht’s um die Sache. Und die ist ausgefochten und im Konsens beschlossen. Es ist ja nicht so, dass Berlin die Brandenburger übern Tisch gezogen hätte. Die Flugzeiten sind durch Brandenburger Behörden auf Antrag der Flughafengesellschaft genehmigt und durch Gerichte bestätigt worden. Deshalb ist auch das Unverständnis so groß, dass ausgerechnet jetzt, wo wir ja wirklich andere Baustellen auf diesem Flughafen haben, dies vom Landtag in Potsdam in Frage gestellt wird. Ich bin gespannt, wie der Ministerpräsident sich da weiter verhält.
_interview_s_ und der Aufsichtsratsvorsitzende Platzeck.
_interview_e_Als Aufsichtsratsvorsitzender kann Matthias Platzeck nicht gegen die Interessen der Flughafengesellschaft auf die Randzeiten verzichten. Wir haben hier eine eindeutige Rechtslage, und die wird nicht in Frage gestellt dadurch, dass der Brandenburger Landtag ein Volksbegehren übernimmt. Es gibt keine Vorlage von der Geschäftsführung des Flughafens, etwas zu verändern, und die wird’s auch nicht geben.
_interview_s_Halten Sie es für denkbar, dass sich Brandenburg sukzessive von dem Projekt verabschiedet?
_interview_e_Nein, das halte ich für undenkbar und dafür habe ich auch keine Anhaltspunkte.
_interview_s_Brandenburg wird’s zu laut, und dem Bund wird’s zu teuer.
_interview_e_Dem Bund wird’s nicht zu teuer. Der Bund hat, anders als das noch unter anderen Führungen der Fall war, einen Verkauf seiner Anteile nicht in Erwägung gezogen. Das ist vorbei.
_interview_s_Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer ist ein verlässlicher Partner?
_interview_e_Peter Ramsauer hat in der Vergangenheit
_interview_s_Sagen Sie’s, ganz offen: manche Sau durchs Dorf getrieben?
_interview_e_ sehr häufig seine eigene Politik betrieben, die nicht unbedingt der gemeinsamen Beschlussfassung der Gesellschafter entsprach.
_interview_s_So, und mit Mehdorn wird jetzt alles gut, oder wenigstens besser?
_interview_e_Das ist jedenfalls ein erfahrener Manager, der bewiesen hat, dass er sich durchsetzen kann. Am Flughafen muss es jetzt ja vorangehen. Und wenn es mal produktive Spannungen gibt, dann kann das auch positiv sein.
_interview_s_Was ist für Berlin schlimmer im Zusammenhang mit dem Flughafen: der finanzielle Schaden oder der Ansehensverlust?
_interview_e_Jeder Schaden für die Reputation ist ärgerlich. Aber er ist jedenfalls nicht derart hoch, wie er manchmal beschrieben wird. Natürlich ist das kein Glanzstück, aber die Leute können schon einschätzen, wie schwierig Bauprojekte heute überall sind. Es gibt ja auch andere Großprojekte mit riesigen Problemen. Und insgesamt entwickelt sich Berlin doch recht gut, wir sehen das an den Tourismuszahlen und anderen wirtschaftlichen Eckzahlen. Auch das nehmen die Leute sehr genau wahr.
_interview_s_Aber die Stimmung gegenüber Berlin hat sich doch deutlich verschlechtert.
_interview_e_Ach, das war doch jetzt auch ein gefundenes Fressen für all diejenigen, die schon immer etwas gegen Berlin hatten.
_interview_s_Leute wie Helmut Schmidt?
_interview_e_Helmut Schmidt ist aus dem Zusammenhang heraus zitiert worden, ihm ging es um große Bauprojekte insgesamt, und da ist Berlin nun wirklich nicht alleine betroffen.
_interview_s_Aber die hämischen Kommentare von außerhalb Berlins werden Sie ja mitbekommen haben.
_interview_e_Ja, und auch die Häme, die es in Berlin selbst gibt und die erst die Munition liefert für diejenigen, die Berlin Schlechtes wollen. Das gibt’s so auch nur in Berlin. In Hamburg schließt man die Reihen bei Angriffen von außen, in München auch. In Berlin werden diejenigen noch mit Negativstimmen verwöhnt, die sowieso gegen Berlin agieren. Das ist nicht untypisch. Eine Haltung, an der man arbeiten muss, im Sinne einer Corporate Identity.
_interview_s_Welche Klischees über Berlin nerven Sie am meisten?
_interview_e_Dass Berlin keine eigenen Anstrengungen mache, um seine wirtschaftliche Situation zu verbessern. Warum haben wir denn die niedrigste Einkommensentwicklung bei den öffentlich Beschäftigten? Weil wir mit dem Solidarpakt Milliarden eingespart haben. Wir haben auch auf viele Infrastrukturmaßnahmen verzichtet, weil das Geld nicht gereicht hat. Wir werden im Rahmen der Schuldenbremse unsere Verpflichtungen einhalten, und die wirtschaftliche Entwicklung zeigt, dass wir die richtigen Schwerpunkte setzen. Was gibt’s denn noch für Klischees?
_interview_s_Immer Party, alles egal.
_interview_e_Party gibt’s auch anderswo. Aber dass Berlin eine Stadt ist, in der es sehr viele Spitzenveranstaltungen gibt, hat ja was Gutes. Andere Städte bezahlen viel Geld, wenn sie große Events bekommen wollen. Wir nicht. Insofern kann das nur eine Neid-Debatte sein.
_interview_s_Ist Berlin ernster geworden?
_interview_e_Diese Stadt war immer ernst, weil sie es nie leicht gehabt hat. Trotzdem hat Berlin immer auch ein bestimmtes Lebensgefühl ausgestrahlt, und das bedeutet, dass man das Leben durchaus auch genießen kann. Das ist oft als Party diffamiert worden...
_interview_s_Früher war es Tingeltangel, Varieté
_interview_e_Natürlich hat sich Berlin auch immer inszeniert. Aber die Modebranche zum Beispiel ist für einige von außen betrachtet bloß Party, aber für diejenigen, die damit beschäftigt sind, ist es harte Arbeit, ist es Business, sind es Arbeitsplätze. Was da anfangs diffamiert worden ist als Glamour
_interview_s_ der Regierende Partymeister.
_interview_e_ und als nicht wichtig, hat sich als strategisch richtig erwiesen. Das hat uns viele Arbeitsplätze gebracht und Wirtschaftswachstum, ohne dass wir dadurch die klassischen Branchen der Berliner Wirtschaft vernachlässigen.
_interview_s_Was für neue Partys braucht Berlin? Olympische Spiele?
_interview_e_Beispielsweise. Man hat ja gesehen, welchen Imagegewinn die London gebracht haben. Und auch dort war die Skepsis bis kurz vor Eröffnung der Spiele groß, das ist da so ähnlich wie in Berlin. Hier ist man vor solchen Events auch immer relativ cool, aber wenn sie denn da sind, dann zeigt sich die Begeisterungsfähigkeit der Stadt. Das wird auch in Zukunft wichtig sein.
_interview_s_Berlin würde sich nicht übernehmen mit Olympischen Spielen?
_interview_e_Nein, wir haben ja eine Infrastruktur, die in anderen Städten erst geschaffen werden müsste, das ist ja nicht das Berliner Problem. Für mich war der Gedanke einer Bewerbung für Olympia immer damit verbunden, dass man ein verbindendes Projekt hat, das unterschiedliche gesellschaftliche Gruppierungen vereint und mobilisiert.
_interview_s_Und wie lange wird es dauern, bis Berlin wirtschaftlich auf einem vergleichbaren Niveau mit anderen großen Städten ist?
_interview_e_Es gibt doch kaum andere Städte in der Welt, die aufgrund ihrer Geschichte von wirtschaftlichen Entwicklungen im Rest des Landes abgekoppelt waren. Banken wären nicht in Frankfurt, Siemens nicht in München, Verlage nicht in Hamburg, wenn das anders gewesen wäre. Viele Regionen in Deutschland haben durch die widernatürliche Teilung dieser Republik und dieser Stadt profitiert. Das lässt sich heute nicht mehr völlig umdrehen. Aber wir wachsen, zurzeit um bis zu 40 000 neue sozialversicherungspflichtige Jobs pro Jahr. Auch beim Durchschnittsverdienst der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind wir inzwischen in einem sehr guten Mittelfeld, über dem Bundesdurchschnitt.
_interview_s_Berlin – bald reich und sexy?
_interview_e_Jedenfalls werden die guten Zahlen nicht genügend zur Kenntnis genommen. Klar haben wir auch noch viele soziale Probleme. Aber die Stadt wächst, um 80 000 Einwohner allein in den vergangenen zwei Jahren. Das zeigt doch, dass wir hier eine Perspektive haben und bieten.
_interview_s_Aber nicht alle, die hierher kommen, haben das Gefühl, sie seien herzlich willkommen.
_interview_e_Wer denn?
_interview_s_Leute mit Geld, Investoren, Unternehmer.
_interview_e_Wir rollen Investoren den roten Teppich aus. Wer hier sein Geld sinnvoll investiert und dadurch Mehrwert schafft, vor allen Dingen Arbeitsplätze, ist uns hoch willkommen.
_interview_s_Ihnen vielleicht schon, aber andere gehen auf die Barrikaden gegen Veränderungen, zuweilen durchaus erfolgreich.
_interview_e_Wir sind eine wachsende Stadt, wir sind eine Stadt im Aufstieg, und das bedeutet, dass Konflikte entstehen. Da verändern sich Quartiere, da werden Lücken geschlossen, die vorher nette Idyllen waren. Ich kenne die Haltung: Wir wollen mehr Wohnungen haben, aber bitte nicht in meiner Nachbarschaft. Wir brauchen eine noch bessere Infrastruktur, aber bitte nicht vor meiner Haustür. Gegen Trams, gegen Radfahrwege, gegen Touristen, gegen Arbeitsplätze, gegen alles mobilisiert sich Widerstand. Aber diese Auseinandersetzung müssen wir führen. Wir bekennen uns als SPD zur wachsenden Stadt. Wir wollen keine Käseglocke, wir wollen nicht, dass alles so bleibt, wie es ist. Diese Stadt muss sich weiter wandeln, sie muss sich verändern.
_interview_s_Aber die Schrippe soll schon bleiben?
_interview_e_Also ich freue mich, wenn ich einen Bäcker finde, wo die Backwaren schmecken, egal wie sie heißen. Wenn die Wecke nicht schmeckt, dann nutzt das nichts, und das ist bei der Schrippe ebenso.
_interview_s_Sie legen ja Wert darauf, die Berliner Seele zu verstehen. Steckt in dem Wutausbruch von Wolfgang Thierse gegen sprachliche Bevormundung durch Zugezogene nicht etwas drin von dieser Berliner Seele?
_interview_e_Darf es das nicht? Thierses Äußerung ist völlig überbewertet worden, der hat das ja nicht aggressiv gemeint. Der sogenannte Schwabenhass hat da eine andere Qualität. Ich kann zwar verstehen, wenn Menschen ein instinktives Abwehrverhalten gegen etwas Neues zeigen. Aber wenn das benutzt wird, um die notwendigen Veränderungen zu verhindern, dann wird’s problematisch. Wir sehen doch, was passiert mit Städten, die vor sich hindümpeln und sich nicht mehr entwickeln.
_interview_s_Ist die Stimmung in der Stadt aggressiver geworden?
_interview_e_Wir sollten nicht einige Symbolprojekte überbewerten. Wichtig ist, dass die Mehrheit eine Haltung einnimmt und nicht immer nur Wenigen und deren Einzelinteressen das Forum überlässt. Wir haben ja lange daran gearbeitet, dass Bürgerinnen und Bürger sich einmischen in ihre Stadtpolitik. Wir haben Bürgerforen gebildet, wir haben Runde Tische gebildet. Da kann ich mich ja heute nicht beschweren, dass jetzt viele mitreden und mitgestalten wollen. Das bedeutet aber nicht, dass ich das alles gut finde, was die Leute wollen. Schwierig wird es immer dann, wenn keiner mehr da ist, der noch Allgemeininteressen artikulieren kann. Die einzelne Initiative kann, für sich genommen, Recht haben vor Ort, trotzdem kann es in einer Gesamtabwägung falsch sein, was sie bezweckt. Wir brauchen also auch immer noch ein Korrektiv, und dazu muss man als Politiker stehen. Auch das ist eine Frage einer Haltung.
_interview_s_Ist die Stadt denn reif für diese Veränderung, die Sie begrüßen?
_interview_e_Sie hat keine Alternative, sie muss bereit sein. Die Frage ist nur: Wie schnell nimmt man das an? Aber klar ist, dass wir uns umstellen müssen. Alle bisherigen Bevölkerungsprognosen, die bestenfalls Stillstand vorhersagten, sind hinfällig. Da kommt innerhalb von zehn Jahren jetzt ein kompletter neuer Bezirk hinzu, diese Dimension muss man sich klarmachen. Auf der anderen Seite ist diese Stadt ja angelegt für sehr viel mehr Menschen, als heute hier leben. Vor dem Zweiten Weltkrieg hatte Berlin 4,5 Millionen Einwohner. Es gibt also Platz, wir müssen das Wachstum nur gestalten. Ich sehe das als Bereicherung an und als Herausforderung, aber nicht als Bedrohung.
_interview_s_Gibt es in Berlin zu Recht einen Anspruch auf preiswerten Wohnraum in der Stadtmitte?
_interview_e_Es gibt keinen Anspruch auf eine konkrete Wohnung in einer meiner Lieblingsstraßen zu einem reduzierten Mietpreis. Aber wir haben den politischen Anspruch, dass wir gemischte Wohnquartiere behalten und die Menschen nicht vertrieben werden. Sicherlich: Niemand wird garantieren können, dass die Mieten auf dem niedrigen Niveau bleiben, wie sie auch heute noch vielerorts sind. Im Vergleich zu anderen Städten wie Hamburg und München holt Berlin auch bei den Preisen auf. Da hat sich etwas verändert. Aber das ist auch ein Ergebnis der Prosperität dieser Stadt – und es bleibt beherrschbar, wenn auch die Einkommen entsprechend steigen.
_interview_s_Sie sagen, Berlin holt auf bei den Mieten. Sie meinen das positiv?
_interview_e_Das zeigt zwar nicht, dass alles prima ist. Wir müssen uns um die Menschen kümmern, die abgehängt zu werden drohen. Der Senat hat da speziell in der Mietenpolitik auch eine Reihe von Initiativen ergriffen. Es zeigt aber, dass die Wirtschaftskraft dieser Stadt größer geworden ist, und dass mehr Menschen in der Lage und auch bereit dazu sind, höhere Mieten zu zahlen.
_interview_s_Manche empfinden das allerdings schon als Bedrohung.
_interview_e_Ja. Es gibt zurzeit eine Nachfrage nach sehr hochpreisigen Wohnungen, und daraus entstehen soziale Konflikte. Für viele Leute wächst die Gefahr, dass sie ihre Miete nicht mehr zahlen können und verdrängt werden an den Stadtrand. Da müssen wir gegensteuern mit öffentlichem Wohnungseigentum, da müssen wir mehr Wohnraum schaffen zur Entlastung des allgemeinen Wohnungsmarktes.
_interview_s_Auch auf dem Tempelhofer Feld?
_interview_e_Ja, auch da, am Rand des Tempelhofer Feldes. Und noch eine Maßnahme des Senats: Wir deckeln die Mietenentwicklung bei den öffentlichen Wohnungen, das macht sich im Mietspiegel bemerkbar. Wir müssen bei der Preisentwicklung von Wohnungen, die im öffentlichen Eigentum sind, intelligente Modelle entwickeln, die nicht einfach alle pauschal gleich belasten. Sie sehen: Die wachsende Stadt ist das große Projekt Berlins dieser Zeit, und das ist längst noch nicht in all den Facetten verstanden und gelebt.
_interview_s_Wer versteht das nicht?
_interview_e_Wir alle zusammen.
_interview_s_Was bedeutet diese Entwicklung für Ihre Integrationspolitik?
_interview_e_Die Stadt wächst auch deshalb, weil viele Menschen aus dem Ausland kommen. Aber da muss man differenzieren. Der Anteil der türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürger ist ja eher rückläufig. Aber die Probleme der Roma sind ganz andere als die von spanischen EU-Bürgern oder von IT-Spezialisten aus Asien. Wie sich das weiter entwickelt, wissen wir heute noch nicht genau.
_interview_s_Die einen kommen, andere gehen. Vor allem durch die Berliner Kultur weht ein Hauch von Abschied: Malakhov, Waltz, Metzmacher, Thielemann, Petras.
_interview_e_ und es gibt viele Begrüßungen.
_interview_s_Ja, ein Neubeginn ist auch etwas Schönes. Aber schmerzt es Sie nicht, dass manche große Karriere anderswo fortgesetzt wird, weil Künstlern dort Bedingungen geboten werden, die Sie ihnen hier nicht bieten können oder wollen?
_interview_e_Also erstens: Die Stadt lässt sich nicht erpressen. Und zweitens: Das ist doch ein ganz natürlicher Vorgang, dass wir Leute von woanders holen und dass gute Leute, die woanders noch bessere Chancen bekommen, dann auch wieder gehen. Wir freuen uns doch, wenn Berliner Chefs oder Chefinnen eine so gute Reputation haben, dass sie woanders begehrt sind.
_interview_s_Es ärgert Sie, wenn es heißt, Sie könnten die guten Leute nicht halten?
_interview_e_Sie werden mich da nicht zum Aufregen bringen. Bei Malakhov, der selbst ein brillanter Tänzer war, läuft nach einer langen Zeit der Vertrag aus. Sasha Waltz definiert für sich, wie ihre künstlerischen Rahmenbedingungen sein sollen. Aber wir haben uns beim Staatsballett für einen Auftrag entschieden, den Sasha Waltz so nicht erfüllen kann und will. Natürlich haben wir ein großes Interesse daran, dass sie in Berlin bleibt. Aber ich habe ein Parlament, ich habe ein Haushaltsgesetz, ich habe ein begrenztes Budget. Wenn ich alle Wünsche erfüllen würde, die hier auf dieser Couch, wo Sie jetzt gerade sitzen, mir gegenüber artikuliert werden, dann wären wir nicht bei einem Landeshaushalt von 23 Milliarden Euro, sondern von 30 Milliarden, und die haben wir nicht.
_interview_s_Auf die Frage, was Sie nicht mögen, haben Sie am Anfang Ihrer Zeit als Regierender Bürgermeister gesagt: Hektik und fremdbestimmt zu sein. Hat sich daran etwas geändert?
_interview_e_Nee.
_interview_s_Von wem werden Sie denn fremdbestimmt?
_interview_e_Von den Umständen, von den Terminkalendern, von der Erwartungshaltung, überall präsent zu sein
_interview_s_Davon können Sie sich nicht befreien?
_interview_e_Da kann man sich nicht befreien, dazu ist in dieser Stadt viel zu viel los, Gott sei Dank._interview_s__interview_e_
Nach dem Bruch der großen Koalition
in Berlin wurde Klaus Wowereit am 16. Juni 2001 von einer linken Mehrheit im Abgeordnetenhaus zum Regierenden Bürgermeister gewählt. Vier Monate regierte er mit den Grünen, toleriert von der PDS. Im Oktober 2001 gab es Neuwahlen. Seitdem stützte sich Wowereit auf eine parlamentarische Mehrheit aus SPD und PDS, die sich später in Linke umtaufte. Erst nach der Abgeordnetenhauswahl im September 2011 gab es eine politische Zäsur. Die Sondierungsgespräche der Sozialdemokraten mit den Grünen scheiterten am Streit um die Verlängerung der Stadtautobahn A 100. Stattdessen wurde die CDU, die ein Jahrzehnt in der Opposition verbringen musste, neuer Juniorpartner im Wowereit-Kabinett.
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