zum Hauptinhalt

Brandenburg: Drill und Isolation?

Die Berichte von ehemaligen Insassen in den Jugendheimen eines privaten Betreibers klingen schockierend. Doch was dran ist, das lässt sich nur schwer überprüfen. Politik und Behörden sind alarmiert

Stand:

Stundenlanges Stehen, Ausharren in schmerzhaften Positionen, körperlicher Zwang, Gesprächsverbot, militärischer Drill und Isolation von Mitinsassen. Davon berichtet Renzo M., ein 23 Jahre junger Mann aus Niedersachsen, der nach eigenen Angaben von 2003 bis 2006 in einem geschlossenen Jugendheim der Haasenburg GmbH in Brandenburg untergebracht war. „Dort herrschte ein totalitäres Regime, ich fühlte mich immer als Inhaftierter“, sagt er.

Seit die „tageszeitung“ (taz) am vergangenen Wochenende über angeblich schockierende Zustände in den drei Heimen des privaten Kinder- und Jugendheimbettreibers in Brandenburg berichtert hat, über Misshandlungen, Zwangsmaßnahmen wie stundenlages Fixieren mit Folgen wie Knochenbrüchen, ist die Aufregung im brandenburgischen Bildungsministerium, aber auch in der Politik groß. Sofort kommt die Erinnerung an die DDR-Jugendwerkhöfe hoch. Eine unabhängige Untersuchungskommission soll in der nächsten Woche die Arbeit aufnehmen. Der Bildungsausschuss des Landtags hat eiligst eine Sondersitzung anberaumt, weil „das Vertrauen in die Behörden des Landes gefährdet“ sei. Mehrere Landtagsabgeordnete fordern Aufklärung und gar die Schließung der Heime, sollte sich der Verdacht bestätigen. Bei der vom Bildungsministerium eingerichteten Hotline meldeten sich mehrere Betroffene. Bei der Staatsanwaltschaft Cottbus gingen zwei Strafanzeigen ehemaliger Bewohner der Haasenburg-Heime ein. Dennoch – vieles ist unklar. Aus Akten ergibt sich kein klares Bild. Vieles liegt Jahre zurück.

„Ich bin zweimal abgehauen, einmal bin ich 300 Kilometer mit dem Zug gefahren, nur um dort wegzukommen“, sagt Renzo M. Er war 2003 in das Heim wegen psychischer Störung und häuslicher Gewalt gekommen und blieb drei Jahre. „Vorher war ich nie suizidgefährdet, in der Haasenburg habe ich mehrere Selbstmordversuche unternommen. Ich konnte und wollte dort nicht mehr leben.“

Es ist nicht der einzige Bericht dieser Art. Betroffene berichten, dass sie eingesperrt wurden, nicht allein, sondern stets in Begleitung zweier Personen auf die Toilette gehen durften, dass sie stundenlang auf Betten fixiert wurden – dass sie brutal bestraft und drangsaliert wurden. Überprüfen lässt sich das bisher nicht. Zumal der Betreiber alle Vorwürfe zurückweist. Frühere Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft Cottbus liefen ins Leere. „Es fehlte an Sachverhaltsbeschreibungen, an Angaben zur Tatzeit und Tatort“, sagt ein Sprecher der Behörde. „Wir können nicht aufgrund von abstrakten Vorwürfen ermitteln. Der Anfangsverdacht muss durch einen Anhalt belegt sein. Sonst sind wir von Gesetzes wegen an Ermittlungen gehindert.“

Konkret geht es um Ereignisse im geschlossenen Bereich der drei abgelegenen Haasenburg-Heime in Jessern, Neuendorf in Unterspreewald (Dahme-Spreewald) und in Müncheberg (Märkisch-Oderland). Bei Selbst- und Fremdgefährdung können Kinder und Jugendliche auf Beschluss eines Gerichts in eine geschlossene Unterbringung kommen. Die Haasenburg ist die einzige Einrichtung in Brandenburg, die das überhaupt anbietet. Meist sind es Jugendliche, die Schlimmes erlebt haben: Gewalt in der Familie, sexueller Missbrauch, Drogen. „Zu uns kommen Kinder und Jugendliche, bei denen bis zu zehn andere Maßnahmen nicht funktioniert haben", sagte Hinrich Bernzen von der Mediengruppe Hamburg, die die Pressearbeit für die Haasenburg macht. „Es handelt sich vielfach um Intensivtäter.“

Tatsächlich gilt die Haasenburg bei Behörden als letzter Ausweg. Mehrere Einrichtungen sind an den Kindern und Jugendlichen schon gescheitert, bevor sie nach Brandenburg kommen. Frühere Mitarbeiter sprechen von einem Abschiebeheim, die meisten Bundesländer bringen ihre problematischsten Fälle hier unter. Wenn der Staat völlig versagt habe und mit den Jugendlichen nicht mehr klar komme, schicke er sie in die Haasenburg, sagt eine Ex-Mitarbeiterin. „Was dort passiert, ist keine Pädagogik, das ist purer Drill. Was die Kinder brauchen, ist eine Behandlung. Das findet aber nicht statt.“ Auch Mehmet Yildiz, jugendpolitischer Sprecher der Hamburger Linksfraktion, sagt: „Die meisten Kinder in der Haasenburg leiden unter psychischen Erkrankungen. Sie benötigen ärztliche Hilfe, keine drakonischen Strafen.“

Rastet ein Insasse aus, greift andere an oder verletzt sich selbst, dann gibt es eine Anti-Aggressionsmaßnahme. Bis 2010 kamen sogar Fixierliegen zum Einsatz, bis das Landesjugendamt diese, ebenso wie Einheitskleidung und Klocks, verboten hat. Erlaubt sind richterlich oder mit Unterschrift der Eltern genehmigte Zwangsmaßnahmen, im Fachjargon ist von „Begrenzen“ die Rede. Haasenburg-Sprecher Bernzen sagt, dies sei immer eine Reaktion auf einen akuten Angriff in einer Extemsituation eines Jugendlichen. Michael Lindenberg von der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit in Hamburg sagt, Züchtigungen fänden durchaus die Zustimmung einiger Fachleute. Doch was in Brandenburg geschehen sein soll, sprenge den üblichen Rahmen.

„Ich war noch ein Kind, als mir drei erwachsene Betreuer ihre Knie in den Rücken und mein Gesicht auf den Boden drückten. Es sind unvorstellbare Schmerzen, das verfolgt mich bis heute im Schlaf", erzählt Renzo M. Den Eltern soll mit dem Entzug des Sorgerechts gedroht worden sein. Das berichtet Jasmin A. (Name geändert), ein Angehöriger ist bis heute in der Haasenburg untergebracht. Ins Detail will sie nicht gehen, sie befürchtet Maßregelungen für ihren Verwandten. Die Eltern hätten aber einen Freibrief unterschrieben. „Festhalten und ähnliche Maßnahmen“, „Einsatz von Medikamenten" – diese Methoden lässt sich die Haasenburg GmbH nach den PNN vorliegenden Dokumenten erlauben.

Auch die Haasenburg GmbH selbst bekennt sich zum „Anti-Aggressionstraining“. Damit soll die „Frustrationstoleranz“ erhöht werden. Eine besonders berüchtigte Erzieherin habe Renzo M. „solange provoziert, bis ich irgendwann wirklich in die Luft gegangen bin“. Auf privaten Facebook-Seiten von vorgeblichen Mitarbeitern finden sich Kommentare, die mit Vorfreude Körperstrafen ankündigen. „Das sind in der Regel stämmige Handwerker, die als Betreuer eingesetzt werden", sagt Jasmin A.

Haasenburg-Sprecher Bernzen sagt: „Bei uns werden keine Kinder gequält. Die behaupteten Körperverletzungen und Menschenrechtsverletzungen gibt es bei uns nicht.“ Das Unternehmen lässt die Vorwürfe intern prüfen. „Bei jeder Meldung gucken wir, wo kommt das her, was ist das für eine Behauptung“, sagt Bernzen. „Bei all dem gab es seitens des Landesjugendamtes keine Vorwürfe gegen uns. „Wir haben eine engmaschige Kontrolle in der Haasenburg, die wird wahrgenommen vom Landesjugendamt und der Aufsichtskommission des Landes.“

Renzo M. sagt, für die stets angekündigten Besuche der Jugendämter oder der Verwandten sei die Einrichtung manchmal tagelang hübsch hergerichtet worden. „Wenn wir zu den Hilfeplan-Gesprächen mit den Menschen vom Amt und Angehörigen mussten, ließen sie uns nie aus den Augen“, sagt der Ex-Bewohner. „Vorher wurden wir über Wochen regelrecht geimpft. Und wenn wir nicht gehorchten, durften wir an den Gesprächen nicht teilnehmen.“ In dem erst im Januar vorgelegten Bericht der Besuchskommission der Landes heißt es: „Die Befragung der Bewohner durch die Besuchskommission habe keine Kritikpunkte ergeben.“

Auch die Aktenlage ist nicht eindeutig. Die taz zitiert aus internen Haasenburg-Protokollen über Antiaggressionsmaßnahmen. Das Bildungsministerium ließ die Fälle in dieser Woche schon prüfen. Die Angaben in den zitierten Protokollen decken sich nicht mit den Pflichtmeldungen, die die Haasenburg an das Landesjugendamt schicken muss, wenn es zu Antiaggressionsmaßnahmen kommt. „Da gibt es Widersprüche“, räumt ein Ministeriumssprecher ein. Die interne Protokolle will sich das Ministerium jetzt vorlegen lassen und prüft auch, ob die offiziellen Berichte möglicherweise geschönt wurden.

Die Betroffenen aber haben schon lange das Vertrauen in die Behörden verloren. Sie treffen mit ihren persönlichen Erfahrungen auf Beamtenapparate und Ermittlungsbehörden mit all ihren Reglements und Mitarbeitern, die jahrlang schon ähnlichen Vorwürfen befasst waren. Die Bildungsexpertin der Grünen im Landtag, Marie Luise von Halem, beklagt fehlendes Fingerspitzengefühl des Ministeriums. Eine Hotline für Betroffene direkt zum Abteilungsleiter des Ministeriums – ein Unding für sie. „Viele scheuen sich. Denn ein Teil ihrer Vorwürfe richtet sich auch gegen das Ministerium.“

Staatsanwaltschaft, Ministerium und Haasenburg GmbH forderten die taz auf, ihnen die Dokumente zu übergeben, auf die Berichterstattung gestützt ist. Informanten wie Renzo baten die Zeitung aber, die Unterlagen nicht auszuhändigen. Das Misstrauen ist groß. „Der psychische Druck im Heim war unerträglich“, sagt Renzo M. „Wir setzten eine Maske auf, um zu überleben. Sie zwangen uns, unsere Persönlichkeit auszulöschen. Sie halfen uns aber nicht, eine Neue aufzubauen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })