Brandenburg: Ein harter Freispruch
Nach dem Mord an Hatun Sürücü in Berlin spricht ein Gericht in Istanbul zwei ihrer Brüder frei
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Berlin - Mehr als zwölf Jahre nach dem sogenannten „Ehrenmord“ an Hatun Sürücü in Berlin muss die Familie des Mordopfers vorerst keine Strafverfolgung mehr befürchten. Ein Gericht in der türkischen Metropole Istanbul sprach zwei ältere Brüder von Hatun Sürücü frei, die im Februar 2005 in der deutschen Hauptstadt die Tatwaffe besorgt und ihren jüngeren Bruder zu den Schüssen auf ihre Schwester angehalten haben sollen. Die Istanbuler Staatsanwaltschaft hatte eine Verurteilung von Mutlu und Alparslan Sürücü wegen Beihilfe zum Mord gefordert. Türkische Frauenrechtlerinnen machen das verschärfte politische Klima in der Türkei unter dem Ausnahmezustand für die Entscheidung mitverantwortlich und setzen ihre Hoffnungen auf Deutschland.
Das Gericht begründete die Freisprüche mit einem Mangel an Beweisen. Hatun Sürücü, die als Teenager von ihren Eltern in der Türkei zwangsverheiratet wurde, war wegen ihrer westlichen Lebensweise an einer Bushaltestelle in Berlin mit drei Kopfschüssen getötet worden. Der als Todesschütze verurteilte jüngere Sürücü-Bruder Ayhan berichtete vor dem Gericht in Berlin von seiner Verachtung für die Lebensweise seiner Schwester.
Der Istanbuler Prozess gegen die beiden älteren Brüder Mutlu und Alparslan begann im Januar 2016 und war eine Folge der Gerichtsprozesse in Deutschland. In Berlin war Ayhan Sürücü im Jahr 2006 zu neun Jahren Haft verurteilt und nach Verbüßung der Strafe in die Türkei abgeschoben worden, wo auch seine heute 36 und 38 Jahre alten Brüder leben. Ayhan soll als Täter ausgesucht worden sein, weil er als damals 19-Jähriger mit einer milden Strafe rechnen konnte.
Mutlu und Aplarslan standen in Berlin ebenfalls vor dem Richter, wurden aber aus Mangel an Beweisen freigesprochen und setzten sich an den Bosporus ab. Auslieferungsanträge nach der Aufhebung der Freisprüche durch den Bundesgerichtshof im Jahr 2007 lehnte die Türkei ab und leitete stattdessen ein eigenes Verfahren ein. Vor den Istanbuler Richtern bekräftigte Ayhan, er habe den Mord allein begangen. Reue wegen des Mordes an seiner Schwester war bei ihm nicht erkennbar. Ayhans Brüder verwiesen auf ihre Freisprüche in Deutschland und blieben in Istanbul auf freiem Fuß. Mit Hilfe von Telefonaufzeichnungen aus Deutschland wollte die Istanbuler Staatsanwaltschaft den Sürücü-Brüdern nachweisen, dass sie unmittelbar nach dem Mord miteinander sprachen. Zudem soll Ayhan Sürücü seiner damaligen Freundin gesagt haben, er sei von seinen Brüdern unterstützt worden. Die Frau wurde im Istanbuler Prozess jedoch nicht vernommen.
Nach den Freisprüchen kann die Istanbuler Staatsanwaltschaft Einspruch bei einem übergeordneten Gericht einlegen. Am Dienstag blieb offen, ob dies geschehen wird. Gülsüm Kav, Vorsitzende der Gruppe „Wir stoppen die Gewalt gegen Frauen“, setzt keine großen Hoffnungen in die türkische Justiz. Seit der Verhängung des Ausnahmezustandes in der Türkei beobachte ihr Verband, dass Gerichtsverfahren wegen Verbrechen an Frauen auffällig häufig mit Freisprüchen endeten. Laut einer Zählung der Internetplattform Bianet wurden im vergangenen Jahr in der Türkei 261 Frauen von Angehörigen oder Lebensgefährten getötet; in den ersten vier Monaten dieses Jahres wurden bereits 101 Opfer gezählt. Susanne Güsten
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