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Kreisreform in Brandenburg: „Ein Neustart“
Brandenburgs Regierungshandwerk: Das Innenministerium zerpflückt das Leitbild für die Kreisreform. Nur ein „Stresstest“, sagt Innenminister Karl-Heinz Schröter. Und Stress gibt es nun an allen Fronten.
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Potsdam - Die rot-rote Regierungskoalition unter Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) bringt die geplante Kreisgebietsreform selbst in schwere Turbulenzen – diesmal durch das Management des Innenministeriums selbst. Auslöser ist eine am Mittwoch von der „Märkischen Oderzeitung“ erstmals publik gemachte „Verfassungsrechtliche Bewertung des Leitbildentwurfs für die Verwaltungsstrukturreform 2019“, erstellt von der Kommunalabteilung des Innenministeriums, die das Vorhaben auf 83 Seiten regelrecht zerpflückt. „Das Leitbild ist grundlegend neu zu gestalten. Ein Neustart sollte deutlich zum Ausdruck gebracht werden“, heißt es in dem den PNN vorliegenden Papier, das auf Mängel und Lücken hinweist. „Das eigentliche Leitbild im rechtlichen Sinne umfasst lediglich zwei Seiten zur Kreisneugliederung und eine halbe Seite zur Einkreisung kreisfreier Städte.“ Die Oberbürgermeister der von Einkreisung bedrohten Städte Frankfurt (Oder), Brandenburg, Cottbus sowie der Städte und Gemeindebund verlangten umgehend einen Stopp der Reform, mindestens ein Moratorium. Heute berät der Innenausschuss des Landtags über das Leitbild, das noch vor dem Sommer vom Parlament beschlossen werden soll.
Mit dem Gutachten hat das Innenministerium nun selbst die Opposition überholt, die sich seit Monaten auf das Projekt einschießt. In der rot-roten Koalition herrschte am Mittwoch Fassungslosigkeit. Bei den Linken war von Sabotage eines „schwarzen Blocks“ im früher CDU-geführten Innenministerium die Rede. Minister Karl-Heinz Schröter (SPD) versuchte mit einer am Nachmittag versandten Pressemitteilung, den Schaden zu begrenzen. Er hatte den Auftrag an das eigene Haus selbst erteilt, das wichtigste Vorhaben der Regierung in dieser Legislatur einem „robusten rechtlichen Stresstest“ zu unterziehen, um es juristisch unangreifbar zu machen. Nun sah sich Schröter gezwungen, auf Distanz zu gehen. „Da sind im Eifer des Gefechts etwas die Pferde mit meinen Fachleuten durchgegangen.“ Er verwies darauf, dass das Papier vom 3. Februar 2016 datiere, nicht mehr den aktuellen Stand widerspiegle. Man habe bereits nachgebessert.
Genau diese Argumentation können etwa der Städte- und Gemeindebund und Opposition nun überhaupt nicht nachvollziehen, da es seit Februar im Grunde keine wesentlichen Veränderungen am Leitbild für die geplante Reform gegeben habe, auch nicht durch jüngste, eher technisch-argumentative Begleitanträge der rot-roten Koalition. Genau weil es keine größeren Veränderungen an den Plänen gab, waren die Pläne bei der jüngsten Anhörung im Innenausschuss von den Kommunalvertretern weitgehend gerügt worden. Nun sieht sich der kommunale Spitzenverband durch die Analyse des Innenministeriums in seiner Kritik bestätigt, wie Geschäftsführer Karl-Ludwig Böttcher sagte: „Bevor man eine Therapie verordnet, sollte man eine anständige Diagnose machen.“
Und genau die fehlt bisher, so lautet nun gleich mehrfach die Einschätzung der Kommunalabteilung des Innenministeriums selbst. Und das selbst bei den fundamentalen Parametern für die Reform. Beispiel Demografie. Zitat: „Der Leitbildentwurf beschränkt sich auf die bloße Sammlung der Bevölkerungsdaten. Es fehlt eine Darstellung, wie sich der prognostizierte Bevölkerungsrückgang auf die Aufgabenwahrnehmung auswirken wird.“ Beispiel Kreisfläche: Im Entwurf ist bisher festgelegt, dass die künftigen Großkreise maximal 5000 Quadratkilometer groß sein sollen. Im Gutachten des Innenministeriums über den Entwurf des Leitbilds aus dem Innenministeriums heißt es dazu: „Es fehlt eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der dahinter stehenden Sachfrage. Die Siedlungsstruktur Brandenburgs wird nicht erkennbar berücksichtigt.“ Beispiel Einwohnerzahlen: Festgelegt ist bisher, dass in den neuen Landkreisen im Regelfall mindestens 175 000 Einwohner leben sollen. Zitat: „Die im Leitbildentwurf dargestellten Erwägungen, die zu dieser Regelmindesteinwohnerzahl geführt haben, beschränken sich jedoch auf einen Vergleich mit anderen Bundesländern“, heißt es dazu im Gutachten des Innenministeriums. „Es fehlt eine Berücksichtigung der Lage Berlins in Brandenburg. Ferner wird nicht diskutiert, dass die Verwaltungseffizienz nicht in allen Sachfragen von der Einwohnerzahl abhängt.“ Auch die Abkehr von der bisherigen Richtgröße von 150 000 Einwohnern „werde nicht argumentativ belegt“. Das Fazit: „Aufgrund dieser lückenhaften Darstellung ist die verfassungsrechtliche Prüfung, ob die zugrundeliegenden Erwägungen nicht offensichtlich fehlerhaft oder widerlegbar sind, nicht möglich.“ Im Klartext: Der bisherige Entwurf taugt nicht einmal, um ihn verfassungsrechtlich überhaupt prüfen zu können.
Die Experten des Innenministeriums, die den Leitbildentwurf selbst erstellt haben, machen auf weitere schwere Mängel aufmerksam – und damit juristische Risiken für die bereits angedrohten Klageverfahren. Um Niederlagen zu vermeiden, muss es nach gängiger Rechtsprechung eine nachvollziehbare Abwägung geben, die die Notwendigkeit und Bestandteile der Reform begründet. Auch die fehlt bislang. „Die Abwägung alternativer Instrumente/Modelle sollte erfolgen. Bei der Überarbeitung des Leitbildentwurfs sollten planspielhaft mögliche Neugliederungen und Alternativen erdacht werden“, heißt es dazu. „Zur möglichst ergebnisoffenen Gestaltung des Leitbildes und zur Schaffung von Alternativen sollten hierbei insbesondere Teilungen bestehender Landkreise nicht ausgeschlossen werden.“ Das werden sie bislang.
Umstrittenster Bestandteil der rot-roten Reformpläne ist die geplante Einkreisung der drei Städte Brandenburg/Havel, Cottbus und Frankfurt an der Oder, was mit sinkenden Einwohnerzahlen und der hohen Verschuldung begründet wird. Wie unausgegoren das ist, zeigt das Gutachten des Innenministeriums: „Die Vorgaben (...) zur Einkreisung kreisfreier Städte erweisen sich allesamt als untauglich.“ Das Fazit: „Die Kriterien für die Einkreisung kreisfreier Städte sind grundlegend neu zu überarbeiten.“ An anderer Stelle wird gerügt, dass die Ausgangsanalyse oberflächlich ist: „Die logische Verknüpfung, aus dieser Verschuldungssituation eine Rechtfertigung für eine gebietliche Neugliederung abzuleiten, leistet der Leitbildentwurf nicht.“ Eine andere Empfehlung lautet: „Die Verschuldung der Landkreise und kreisfreien Städte sollte genauer analysiert werden.“ Zudem seien „zunächst nicht strukturbedingte Verschuldungsursachen (etwa eine nicht auskömmliche Finanzierung durch das Land) auszuschließen.“
Schröter gab sich unbeirrt. Es sei inzwischen argumentativ nachgelegt worden. „Ich bin fest davon überzeugt, dass die Reform den verfassungsrechtlichen Anforderungen standhalten wird.“ Dagegen erklärten die drei Stadtoberhäupter Dietlind Tiemann (Brandenburg), Holger Kelch (Cottbus) und Manfred Wilke (Frankfurt): „Nach der Offenlegung derartig schwerwiegender Mängel ist die Kreisreform auf dieser Grundlage nicht mehr umzusetzen. Es ist unverantwortlich, die Abgeordneten in offenkundig verfassungswidrige Beschlüsse zu schicken, bei denen selbst das eigene Innenministerium intern die rote Karte schwenkt.“
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