Brandenburg: Einer geht noch
Christopher Lauer wirft bei Berlins Piraten hin
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Berlin - Nach außen wirkten sie routiniert, dabei war alles schon entschieden. „Großartige Rede von Heiko Herberg im Abgeordnetenhaus“, twitterte Christopher Lauer, Abgeordneter und bis zum Donnerstag Landesvorsitzender der Piratenpartei, noch am Mittag. Da war die Mail an seine Vorstandkollegen wohl schon verschickt. Lauer verließ am Donnerstag überraschend die Piratenpartei.
Die Partei, die er mit aufgebaut und mit zu ihrem größten Wahlerfolg, dem Einzug ins Berliner Parlament, geführt hat. Die Partei, deren wohl umstrittenster, aber auch profilierter und bekannter Kopf er war. Die Partei, die ihm jetzt nicht einmal mehr die Anstrengung wert ist, einen geordneten Übergang zu organisieren. „Mit sofortiger Wirkung“ trat Lauer aus. Um den Rest müssen sich andere kümmern.
Ein Landesvorsitzender, der plötzlich sein Amt niederlegt, nicht aufgrund eines Skandals oder einer persönlichen Verfehlung, sondern weil er den Frust über die eigene Partei nicht mehr ertragen kann: Das hat es in der Berliner Politik bisher nicht gegeben. Der Schritt überrascht, allerdings nur in seiner Konsequenz. Denn der Zerfallprozess der Piraten ist weit fortgeschritten. Politisch ist die Partei dort, wo sie nicht in Landesparlamenten sitzt, irrelevant. Diejenigen, die einst antraten, um dem politischen System der Bundesrepublik ein Update zu verpassen, haben es selbst nie geschafft, arbeitsfähige Strukturen aufzubauen. Umso verbissener wird intern gestritten. Die jüngste Konsequenz: 1,5 Prozent bei den Landtagswahlen in Brandenburg, nur ein Prozent in Thüringen.
Im Frühjahr 2012 erzielten die Piraten in bundesweiten Umfragen noch mehr als zehn Prozent. Zu jenen Zeiten war es auch Lauer, der die Partei im Gespräch hielt. Indem er bei Maybrit Illner saß und Kurt Beck derart selbstgewiss und keck provozierte, dass aus dem Video ein kleiner Youtube-Klickhit wurde. Indem er öffentlich über seine ADHS-Erkrankung sprach. Indem er in der „FAZ“ dem inoffiziellen Parteimedium Twitter abschwor, um nur wenig später einfach wieder anzufangen mit dem Twittern.
Immer wieder suchte Lauer die große Bühne, zuletzt beim Bundesparteitag, als er eine in Teilen satirisch anmutende Rede hielt. Er warf den Piraten vor, apolitisch zu agieren und sich einer Debatte über das Scheitern bei der Bundestagswahl zu verweigern. Mit dem neuen Bundesvorsitzenden Stefan Körner verbindet ihn tiefe gegenseitige Abneigung. Körner führt jenes Lager der liberal geprägten Piraten, die die linken Berliner um Lauer auf dem letzten Bundesparteitag so kalt wie vollständig entmachteten. Der Austritt ist wohl auch der Einsicht geschuldet, dass auf Bundesebene keine Mehrheit mehr absehbar ist für Lauers Vorstellung davon, was aus dieser Partei werden sollte.
Im Moment diskutiert der Berliner Landesverband eine mögliche Abspaltung von den Bundespiraten oder eine Neugründung. Lauer sagt, er könne für den Moment kategorisch ausschließen, in eine andere Partei einzutreten oder eine Neugründung zu betreiben. Für seinen Entschluss habe es keinen konkreten Auslöser gegeben. „Es ist wie mit einer langjährigen Beziehung. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem es so weit ist.“
Dabei hatte sich Lauer erst im Frühjahr zum Landesvorsitzenden wählen lassen. Er trat an, um die Parteiarbeit endlich zu professionalisieren. Nun kann das jemand anders versuchen, für November ist ein Landesparteitag angesetzt. Doch es fehlt an Ideen und am Personal.
Die Fraktion im Abgeordnetenhaus will Lauer weiter angehören, auch als Parteiloser. Formal ist das unproblematisch. Fraktionschef Martin Delius ließ am Donnerstag erklären, die Fraktion respektiere die Entscheidung und werde „auch weiterhin gern mit Christopher Lauer zusammenarbeiten“. Eine Parteimitgliedschaft sei „keine Vorraussetzung für die Mitgliedschaft in der Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus“.
Fünfeinhalb Jahre war Lauer Mitglied der Piratenpartei. Er war einst für die Einführung des Liquid-Feedback-Systems verantwortlich, mit dem die Mitglieder befähigt werden sollten, die Parteiarbeit ins Internet zu verlagern. Linke Piraten sehen darin das Versprechen verwirklicht, andere Politik zu betreiben. Ihre Gegner wie Bundeschef Körner ließen stattdessen eine bundesweite Mitgliederumfrage per Brief durchführen. Das alles ging irgendwann wohl einfach nicht mehr zusammen. „Entschuldigt, wir hatten es uns auch einfacher vorgestellt“ – mit diesem Slogan warb Lauer auf Plakaten vor der Bundestagswahl für die Piraten. Darunter stand: „Aber das heißt nicht, dass wir aufgeben.“ Nun hat er doch aufgegeben.
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