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Brandenburg: Einer hat noch die Wahl

SPD-Sieger Dietmar Woidke kann sich nun entscheiden: Regiert er mit den Linken weiter oder doch wieder mit der CDU? Am Montag machte die SPD den Weg für Sondierungen mit beiden möglichen Koalitionären frei. Eine Analyse

Stand:

ROT-ROT

Parlamentarische Mehrheit

Da ist die reine Macht-Arithmetik. Danach steht die Fortsetzung des rot-roten Bündnisses, das seit 2009 regiert hat, auf der Kippe. Sozialdemokraten (30 Sitze) und Linke (17 Sitze) hätten im aus 88 Volksvertretern bestehenden Landtag 47 Sitze – bei Abstimmungen nur eine knappe Mehrheit von drei Stimmen. Bislang hatte Rot-Rot einen Puffer von zehn Sitzen. Der frühere Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) sprach deshalb immer, wenn er über Rot-Rot redete, von der „Großen Koalition“. Die ist weg, Rot-Rot wäre eine kleine. Die Linken, die im Gegensatz zum SPD-Wahlsieger allein abgestraft wurden, sind nur drittstärkste Partei. Die Linke-Fraktion schrumpft von 25 auf 17 Abgeordnete. Freilich, ein K.o.-Kriterium für Rot-Rot ist das noch nicht. Denn die 45 Mindeststimmen für eine Regierungskoalition werden nur bei ausgewählten Abstimmungen benötigt, wenn die Opposition im Landtag geschlossen mit Nein stimmt, üblicherweise etwa bei der Wahl des Ministerpräsidenten. Im parlamentarischen Alltag dürfte es reichen.

Innere Stabilität und Personal

Das war bisher ein Vorteil der Linken, ist es nicht mehr. Nach den Erfahrungen der Regierung „gibt es keinen Grund die Pferde zu wechseln“, hatte Ministerpräsident Dietmar Woidke vor der Wahl erklärt. Aus SPD–Sicht konnte man vor allem mit den Ministern Helmuth Markov (früher Finanzen, dann Justiz), Ralf Christoffers (Wirtschaft) und Christian Görke (Finanzen, vorher Fraktion) verlässlich zusammenarbeiten. Sie haben inzwischen administrative Erfahrung, sind Realpolitiker. So empfahl EU-Kommissar Günther Oettinger seinen CDU-Parteifreunden jüngst öffentlich, bei einer rot-schwarzen Regierung den Linke-Wirtschaftsminister Ralf Christoffers wegen dessen Kompetenz in der Energiepolitik im Amt zu belassen. Die nicht wenigen Krisen des Bündnisses, die intern geklärt wurden, haben SPD und Linke auch menschlich nahe gebracht. Aber zum  Risiko drohen nun Linke-Landtagsfraktion, in die neue, schwer berechenbare Abgeordnete einziehen und die Landespartei zu werden. Über einen Koalitionsvertrag soll diesmal die Basis in einer Mitgliederbefragung abstimmen. Turbulenzen sind programmiert. Bislang hatte es die Linke geschafft, dass selbst bei umstrittensten Themen die Reihen standen, von Stasi-Enthüllungen bis zur Braunkohle. Das ist nach dem Wahlfiasko der Linken nun ungewiss.

Programme und Probleme

Bei den Inhalten gibt es große Schnittmengen. In den Programmen von Linke und SPD finden sich keine unüberbrückbaren Gegensätze. Dennoch wären Konflikte möglich. In der Bildungspolitik, wo die Linke die Bundeswehr nicht an Schulen sehen, eine „Gemeinschaftsschule“ einführen will. Woidke hat bereits kategorisch ausgeschlossen, dass die Gymnasien, ja Schulsstrukturen überhaupt angetastet werden. Das ist für die SPD nicht verhandelbar. Und gilt noch mehr für die Energiepolitik, wo es nach Beschlusslage der Linken einen Ausstieg aus der Braunkohle bis 2040 geben soll. Die SPD regiert mit keinem  Koalitionspartner, der einen Kohleausstieg beschleunigt, hier ein unsicherer Partner ist.

ROT-SCHWARZ

Parlamentarische Mehrheit

Es wäre eine große Koalition, wenn die SPD als Wahlsieger und die CDU als Zweitplatzierter Brandenburgs neue Regierung bilden. SPD und Union hätten im neuen Landtag zusammen 51 Sitze, damit eine Mehrheit von sieben Mandaten. Der Sicherheitspuffer wäre für alle Abstimmungen – ob bei der Wahl von Dietmar Woidke zum Ministerpräsidenten oder zu jedem fachpolitischen Thema – groß genug, selbst wenn die SPD bei ihren Analysen etwa die frühere CDU-Landeschefin, direkt in Potsdam-Mittelmark gewählte Abgeordnete Saskia Ludwig abrechnet. Der Vize-Landesparteiechef und parlamentarische Geschäftsführer der Landtagsfraktion Ingo Senftleben formulierte es am Montag so: Wenn man die Ausgangslage nach der Wahl nehme, „dann bekommt Brandenburg nur dann eine stabile Regierung, wenn die CDU in der Regierung ist.“

Innere Stabilität und Personal

Das ist trotzdem ein Problem der CDU, da gibt die größten Bedenken bei der SPD, nachdem sich die Union seit 1990 regelmäßig in inneren Querlen zerlegt hatte. Seitdem Michael Schierack erst die Partei Ende 2012, später auch die Landtagsfraktion übernahm, herrscht allerdings Ruhe. Trotzdem gibt es Zweifel in der SPD, ob Schierack im Ernstfall die Union wirklich im Griff hätte. Die CDU tut auf offiziellen und inoffiziellen Kanälen alles, um die Bedenken der SPD zu zerstreuen. Eine anderes Manko ist die fehlende administrative Erfahrung des heutigen CDU-Führungspersonals, ob von CDU-Parteichef Michael Schierack oder anderen. Mögliche Minister wären neben Schierack etwa Ingo Senftleben, der für’s Bildungsministerium. Und fürs Wirtschaftsministerium kämen der ins Europaparlament und nun in den Lndtag gewählte Abgeordnete Christian Ehler oder der langjährige wirtschaftspolitische Sprecher Dierk Homeyer in Frage. Ein Kalkül der SPD wird auch schon die nächste Landtagswahl sein – etwa, ob bei einer Fortsetzung der rot-roten Koalition die CDU stark gemacht wird. 2009 war dieses Argument ein maßgeblicher Grund, die Linke in die Regierung zu holen. Diese Rechnung ging auf. Ein Nachteil ist, dass sich Woidke und Schierack bislang nicht näher kennen. Der CDU-Sondierungsgruppe soll auch Vize-Fraktionschef Dieter Dombrowski angehören, mit dem Woidke lange im Potsdamer Landtag zusammenarbeitete.

Inhalte und Programme

Für eine SPD/CDU-Koalition der SPD gibt es inhaltlich keinerlei unüberbrückbare Gegensätze. In der Inneren Sicherheit, bei der Aufstockung der Polizei, sind die Schnittmengen groß. Probleme wie den Unterrichtsausfall und marode Landesstraßen muss Woidke ohnehin lösen. In der Energiepolitik ist der Kurs identisch. Wie Woidke setzt sich der Lausitzer Schierack für eine Fortsetzung der Braunkohleverstromung ein, bis Energiegewinnung aus Wind und Sonne zuverlässung und zu moderaten Strompreisen möglich sind. Für eine Koalition mit der Union spricht auch die Koalition auf Bundesebene, wo Kanzlerin Angela Merkel mit den Sozialdemokraten regiert. Die neue Woidke–Regierung wird auf stärkeres Bundesengagement angewiesen sein, um die Grenzkriminalität einzudämmen. Und da steht Woidke, der früher Innenminister war, im Wort und in der Pflicht.

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