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Nachwende-Debatte: Enquete-Kommission streitet über Expertenrückzug

SPD-Experte verlässt aus Protest das Landtags-Gremium. SPD-Fraktionschef erneuert Kritik an dem auch SPD und Linke sitzen und das von einer SPD-Abgeordneten geleitet wird.

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Potsdam - In Brandenburg gerät die Enquete-Kommission zum Umgang mit der SED-Diktatur in Turbulenzen: Nachdem der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel demonstrativ seinen Rücktritt erklärte und dies mit dem geringen Niveau und der zunehmenden Politisierung des Gremiums begründete, gab es am Donnerstag gegenseitige Schuldzuweisungen zwischen der rot-roten Koalition und der Opposition aus CDU, FDP und Grünen im Landtag. Linke-Fraktionschefin Kerstin Kaiser sprach von einer „krisenhaften Situation“ und forderte eine Selbstverständigung über „die Geschäftsgrundlage“, einen „Zwischenstopp“. Es gebe keine Krise, nötig sei aber „mehr Bereitschaft zum Diskurs, zum Dialog“, sagte hingegen Susanne Melior (SPD), die Vorsitzende der Enquete-Kommission. „Es ist wichtig, dass die Arbeit nicht in Schutt und Asche gelegt wird.“

Die Wogen schlagen deshalb so hoch, weil Merkel, der Direktor am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), Präsident des Leibniz-Instituts für Globale und Regionale Studien (GIGA) in Hamburg ist und als ein führender deutscher Demokratieforscher gilt, den Rückzug mit scharfer Kritik verbunden hat. In einem Interview mit der „Märkischen Allgemeinen“ beklagte der von der SPD in das Gremium entsandte parteilose Wissenschaftler, dass die meisten bisherigen Gutachten „nicht den wissenschaftlichen Standards entsprachen“, die Debatte zu „rückwärtsgewandt“ geführt werde. Seine Einschätzung sehe er mit dem jüngsten Gutachten zur Stasi-Überprüfungspraxis bestätigt, in dem versucht werde, einzelne Personen wie Ex-Ministerpräsident Manfred Stolpe „ohne wirklich neue Sachverhalte namhaft“ zu machen. Diese Kritik teilt auch Melior, die das Gutachten ansonsten für wissenschaftlich hält. „Die Gutachter hatten nicht den Auftrag zu bewerten, ob der Landtag Stolpe hätte herauswerfen sollen oder nicht.“

Merkels Rückzug wurde allgemein bedauert. Es wäre besser gewesen, wenn er selbst „zur Niveausteigerung beigetragen hätte“, sagte Helmut Müller-Enbergs, ebenfalls Mitglied der Kommission.

Während Linke-Fraktionschefin Kaiser und SPD-Fraktionschef Ralf Holzschuher sich durch Merkel nun bestätigt sehen, wiesen CDU, FDP und Grüne dessen Kritik zurück. Dass die Enquete mit politischem Streit verbunden sei, „gerade bei diesem Thema, gerade in Brandenburg“, liege in der Natur der Sache, erklärte CDU-Mitglied Dieter Dombrowski. „Es ist kein Hörsaal, in dem die Studenten an den Lippen eines Professors hängen.“ Im Übrigen gebe es schon konkrete Ergebnisse, etwa für nötige Verbesserungen im Geschichtsunterricht, zum Umgang mit SED-Opfern oder zu Gedenkstätten. Die FDP-Abgeordnete Linda Teuteberg sagte, die jüngere Generation habe „aus guten Gründen viele Fragen zum Übergang Brandenburgs in die Demokratie.“ Daher sollte die Enquete „nicht aus durchsichtigen parteipolitischen Interessen beschädigt werden.“ Rot-Rot wirft umgekehrt der Opposition vor, die Enquete als Instrument gegen die Koalition zu missbrauchen. „Eine Enquete ist kein Untersuchungsausschuss“, sagte Kaiser. Grünen-Fraktionschef Axel Vogel vermutet, dass hinter dem Rückzug Merkels fast zeitgleich zu den jüngsten Angriffen Holzschuhers gegen das Stasi-Gutachten Kalkül steckt. „Ich glaube nicht an Zufall. Hier wird versucht, die Kommission zu desavouieren.“ Vor Schlussfolgerungen müsse die Analyse stehen. Aber bei der SPD gebe es in Bezug auf Stolpe „Pawlowsche Reflexe.“

Auch der frühere Bündnis-90-Fraktionschef im ersten brandenburgischen Landtag Günter Nooke erklärte, die Analyse des Falls Stolpe sei entscheidend für das Verständnis, was „vor 20 Jahren in Brandenburg alles nicht geschah“. Er verweist darauf, dass es in den 90er Jahren in der Debatte um die Stasi-Verbindungen des damaligen Regierungschefs in der Bevölkerung, bei westdeutschen Politikern als frühere Gesprächspartner Stolpes und der evangelischen Kirche „Interesse, geschweige denn eine Mehrheit zur Geschichtsaufarbeitung nicht zu finden war.“

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