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Brandenburg: Entrüstungssturm

Brandenburgs Kommunal-Spitzen und Politiker wehren sich gegen Neufassung von Hartz IV

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Brandenburgs Kommunal-Spitzen und Politiker wehren sich gegen Neufassung von Hartz IV Potsdam – Brandenburgs kommunale Spitzenverbände haben gestern gegen den Beschluss der Bundesregierung scharfes Geschütz aufgefahren, sich nicht mehr an den Miet- und Heizkosten für Empfänger des Arbeitslosengeldes (ALG) II zu beteiligen. Auch aus der Berliner und Brandenburger Politik kam harsche Kritik. Der Geschäftsführer des Städte und Gemeindebundes Brandenburg, Karl-Ludwig Böttcher, sagte, aus seiner Sicht verstoße der Kabinettsbeschluss gegen das grundgesetzlich verankerte „Rückwirkungsverbot“. Der Bund könne „kein Gesetz beschließen, dass den Kommunen rückwirkend Geld nimmt“, sagte Böttcher den PNN. Er sprach von „ausgemachtem Blödsinn, den die Regierung da beschlossen hat“ und warf Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) vor, gezielt mit falschen Zahlen zu operieren. Clement habe „offenbar mit Einzeldaten aus einigen Stadtstaaten argumentiert“, so Böttcher weiter. Die Oberbürgermeisterin von Brandenburg/Havel, Dietlind Tiemann (CDU) drohte mit einem Gang vor das Bundesverfassungsgericht. Das Bundeskabinett hatte am Mittwoch die Streichung des Bundesanteils und die Rückforderung von bisherigen Zahlungen beschlossen. Die Datenüberprüfung habe ergeben, dass die Kommunen durch die Leistungen für Unterkunft und Heizung deutlich geringer belastet werden, als es im Vermittlungsverfahren geschätzt worden war, hieß es. Allein für die 14 Landkreise und vier kreisfreien Städte Brandenburgs würde das Gesetz „eine Kostenlücke von etwa 200 Millionen“ für das laufende Jahr bedeuten“, so Städtebund-Chef Böttcher gegenüber den PNN: „28 Millionen für die kreisfreien Städte und etwa 170 Millionen für die Landkreise.“ Die Stadt Berlin müsste für das Jahr 2005 auf 340 Millionen Euro verzichten. Das ist der Zuschuss, den Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) im laufenden Jahr erwartet. Nun fordert die Bundesregierung aber von allen Kommunen den Anteil von 29,1 Prozent an den Kosten für Unterkunft und Heizung zurück, der ihnen im Juni 2004 zugesagt wurde. Ob der Bundesrat und der neu gewählte Bundestag das mitmachen, ist fraglich. Falls doch, wäre es „für Berlin und die anderen ostdeutschen Städte eine Katastrophe“, so die Berliner Sozial-Staatssekretärin Petra Leuschner. Denn die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe – im Rahmen von Hartz IV – entlastet die Kommunen in den neuen Ländern deutlich weniger als die westdeutschen Städte und Gemeinden. Das liegt an der großen Zahl von Langzeitarbeitslosen in Ostdeutschland, die seit Januar 2005 das Arbeitslosengeld II bekommen. Für sie war vor den Hartz-Reformen der Bund komplett zuständig. Seit Jahresbeginn müssen die Kommunen die Unterkunftskosten weitgehend selber tragen. Der Bund gibt 29,1 Prozent dazu und hat außerdem die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger unter seine Fittiche genommen. Auch sie erhalten das neue Arbeitslosengeld II. So wurden die Kommunen von der Sozialhilfe größtenteils entlastet. In Berlin heben sich die Be- und Entlastungseffekte fast auf. Der Senat spart im laufenden Jahr knapp eine Milliarde Euro Hilfen zum Lebensunterhalt; also die klassische Sozialhilfe. Auf der anderen Seite müssen für die Kosten der Unterkunft für die Hartz IV-Empfänger rund 1,1 Milliarden Euro aufgebracht werden. Davon übernimmt der Bund etwa 340 Millionen Euro. Rechnet man die übrigen Sozialhilfekosten hinzu, für die in der Regel die Bezirke aufkommen, wird Hartz IV in Berlin zum Nullsummenspiel. Anders dagegen in Brandenburg. Wie in allen anderen Bundesländern haben die Kommunalen Spitzenverbände auch in der Mark damit begonnen, die genauen Daten zu sammeln. Sie wollen überprüfen, ob die Bundeszuschüsse für die Unterbringungs- und Heizungskosten ausreichend waren. Nach bisherigem Stand, so Böttcher, seien Brandenburgs Kommunen be- statt entlastet worden. Laut Brandenburgs Oberbürgermeisterin Tiemann verkraften die kommunalen Haushalte keine weiteren Belastungen mehr. So müsse der Etat von Brandenburg/Havel des Jahres 2005 in Folge des „Hartz-IV“-Gesetzes ohnehin eine Mehrbelastung von knapp 1,6 Millionen Euro verkraften, sagte sie. Erlange der Beschluss des Kabinetts Gesetzeskraft, entstünden der Stadt 2005 Mehrkosten von über 7,7 Millionen Euro. Auch Städtebund-Chef Böttcher mahnte gegenüber den PNN, dass die Kommunen bei Rückzahlungen das Geld bei den ohnehin schon sinkenden Investitionen sparen müssten. Böttcher: „Das schlägt sich dann wieder auf die Wirtschaft nieder.“ Böttcher ist auf einer Linie mit Berlins Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) und deren Finanzkollege Thilo Sarrazin (SPD) in der Kritik am Bund. Die Forderung nach Rückzahlung der Unterkunftszuschüsse und die Ankündigung, im Jahr 2006 kein Geld mehr zu zahlen, sei unseriös, geradezu absurd. „Wir gehen davon aus, dass die Länder damit nicht einverstanden sind“, hieß es in der Finanzverwaltung. Der wirtschaftspolitische Sprecher der Linkspartei-Fraktion im Landtag, Ralf Christoffers, betonte, den Kommunen sei einst in Aussicht gestellt worden, sie würden Geld einsparen, wenn „Hartz IV“ in Kraft sei. In Ostdeutschland sei das Gegenteil eingetreten. Der stellvertretende FDP-Landesvorsitzende Hans G. Oberlack warnte, wenn die Bundesregierung Erfolg mit dem Vorstoß habe, müssten die Landkreise die Umlage erhöhen, auf die Kommunen kämen Nachzahlungen in Millionenhöhe zu. pet/zaw/dpa

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