
© Britta Pedersen/dpa
Brandenburg: „Es ist schade um das verpfuschte Leben“
Ein Opfer des gefassten Serienbrandstifters empfindet eher Mitleid als Wut. Warum André H. seinen Sozialneid durch Autozündeleien auslebte, ist der Polizei noch nicht klar. Es wird weiter ermittelt.
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Berlin - Bislang hat er gestanden, 67 Autos angesteckt zu haben, insgesamt brannten rund 100 Fahrzeuge – doch die Polizei ist nach der Verhaftung des 27-jährigen André H. am Wochenende mit den Ermittlungen nicht am Ende. „Es muss geschaut werden, inwieweit er für weitere Taten infrage kommt – ausermitteln nennt man das“, sagte ein Beamter. André H., gelernter Maler und Lackierer, lebte mit seiner älteren Schwester und der schwer kranken Mutter in einer Wohnung im ersten Stock eines 60er-Jahre- Mietshauses in der Nähe zur Spree in Moabit. Die Mutter soll in einer Holzwerkstatt gearbeitet haben. Aus „Frust“ habe er gezündelt, soll H. den Ermittlern erzählt haben. Bisher war er strafrechtlich nicht auffällig.
Die Beamten sprechen bei H. von einem „diffusen Sozialneid“ auf andere, „psychisch auffällig“ sei das schon. Nachbarn erzählen, die Mutter von H. sammele Pfandflaschen, seine Schwester war damit auch an diesem Dienstag beschäftigt. Einige berichten, den 27-Jährigen habe man kaum gesehen. Warum H. seine Wut durch das Abfackeln von Autos abreagiert habe, wisse man nicht. Die Serie von Autobränden, für die er verantwortlich sein soll, endete plötzlich im August. Da hatte H. einen Job bei einer Zeitarbeitsfirma, die Caterings organisiert, gefunden.
In Justizkreisen hieß es am Dienstag, man glaube nicht, dass die Anklage wegen schwerer Brandstiftung noch dieses Jahr erhoben wird. Geprüft werde nun, ob er für weitere Brandstiftungen verantwortlich sei. Dies könne dauern, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Zwar stehen auf schwere Brandstiftung bis zu zehn Jahre Haft, Kenner gehen jedoch davon aus, dass der mutmaßliche Autobrandstifter nicht so lange ins Gefängnis muss. „Für Totschlag gibt es in der Regel acht Jahre, da wird man einen Brandstifter nicht zehn Jahre hinter Gitter bringen“, sagte ein Beamter. Fünf Jahre Gefängnis seien realistisch, schon weil André H. auch Menschenleben gefährdet haben könnte: Ende Juli soll er mehrere Wagen einer Autovermietung angezündet haben, über dem betroffenen Parkplatz befindet sich ein Altenheim. Der Parkplatz verfügt außerdem über eine Tanksäule, weshalb Explosionsgefahr bestand.
Nur einen Tag zuvor hatte fast ein Wohnhaus in Lichtenrade Feuer gefangen: Dort soll André H. einen Mercedes, der in dem Carport des Hauses in der Mellener Straße stand, angezündet haben. Eine meterhohe Stichflamme ging dabei bis unter das Dach. Weil die Hausbesitzer durch den Knall wach geworden waren, konnten sie nach draußen flüchten.
„Wir haben seit einem Vierteljahr die Handwerker im Haus, weil das Dach komplett neu gemacht werden musste“, sagt die Hausbesitzerin. „Im Badezimmer ist so gut wie jede Fliese verrußt.“ Der materielle Schaden samt abgebranntem Mercedes liege bei 150 000 Euro. „Das Auto war Vollkasko versichert, die Hausschäden übernehmen die Versicherungen“, sagt sie. Viel schlimmer sei der Stress, den die Schäden für alle Beteiligten verursacht haben. „Wir haben die obere Etage an ein Rentnerpaar vermietet. Die mussten wegen der Renovierungsarbeiten sechs Wochen zu ihrer Tochter nach Rostock ziehen.“ Was sie empfunden habe, als sie hörte, dass der mutmaßliche Täter gefasst wurde? „Es ist eher eine Art von Mitleid als Wut“, sagt die Frau. „Es ist schade um dieses verpfuschte Leben, denn der kommt wohl nicht mehr auf die Beine.“ Eine Zivilklage strebe sie nicht an. „Das bringt doch nichts als Ärger“.
In zahlreichen Medien war lange über linksradikale Täter spekuliert worden, befeuert wurde dies zuletzt durch die Festnahme eines Verdächtigen im September. Der 25-Jährige soll der linken Szene angehören und in einem alternativen Hausprojekt gewohnt haben. Verfassungsschützer und Staatsschutzbeamte hatten auch in der Vergangenheit zu bedenken gegeben, dass viele der Brandstiftungen wohl eher von unpolitisch gesinnten Jugendlichen und jungen Männern verübt werden. Auch in der Nacht zu Montag wurde in Lichtenberg ein Auto angesteckt.
Mit Blick auf den nicht zur linken Szene gehörenden André H. sagte der CDU-Rechtsexperte Peter Trapp: „Wer weiß, wer als nächster Täter geschnappt wird?“ Die Zählweise der Berliner Polizei, wonach vor allem dann der für politische Taten zutsändige Staatsschutz ermittelt, wenn angezündete Autos besonders teuer waren, sei verständlich. In Hamburg, der einzigen deutschen Stadt, in der ebenfalls regelmäßig Autos brennen, zählen die Behörden anders: Nur wenn sich Linke zu einer Brandstiftung bekannt hätten, etwa durch Bekennerschreiben oder hinterlassene Symbole, wird diese als politisch motiviert eingestuft. „Wer sich bei der Spekulation über die Täter auf Linksradikale konzentrierte“, sagte der Berliner Innenexperte Benedikt Lux (Grüne), „hat sein politisches Süppchen gekocht und ist nun dabei entlarvt worden.“
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