Brandenburg: Expedition in den eigenen Wahlkreis
Außenminister Steinmeier erkundet für vier Tage Brandenburg – nur seinen Ortsverein besucht er nicht
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Brandenburg/Havel - Noch übt man in Kirchmöser gegenüber dem neuen Genossen verständnisvolle Nachsicht. „Ein prominenter Reisender wie Frank-Walter Steinmeier ist an seinem Reiseprogramm relativ unschuldig. Das machen doch nassforsche Leute der Landes-SPD oder aus seinem Büro“, sagt Andreas Wehnert. Der 59-jährige ist Kassierer im SPD-Ortsverein Kirchmöser, den er im Januar 1990 einst mitgegründet hatte. Aber Funktionen sind in der kleinen Truppe ohnehin egal. Man trifft sich einmal im Monat, man hält in dem 4000-Seelen-Vorort der unsionsregierten Stadt Brandenburg das sozialdemokratische Fähnlein hoch, so gut es eben geht. Die große und die kleine Politik sieht man eher bodenständig, pragmatisch. „Wenn etwas für Menschen erreicht wird, ist es egal, welche Partei das tut“, sagt Wehner. „Eine Nahles-Fraktion haben wir nicht.“ Und Grabenkämpfe wie in der städtischen SPD auch nicht.
Das ist also die neue politische Heimat des Außenministers und früheren Kanzleramtschefs Steinmeier. Am 6. Juli ist der 51-Jährige als 19. Mitglied dem SPD-Ortsverein Kirchmöser beigetreten. Seit gestern tourt er – in seinem Sommerurlaub – für eine Woche durch seinen künftigen Wahlkreis 60, in dem er zur Bundestagswahl 2009 das Direktmandat holen will. Zum Auftakt radelte er vom Kloster Lehnin in die Spargelstadt Beelitz. Er feierte am Abend mit Genossen auf der Burg Ziesar, immer mit dabei ein Großaufgebot von Journalisten. 150 haben sich angemeldet. Er wird in den nächsten Tagen Premnitz und Rathenow, am Freitag die Stadt Brandenburg besuchen. Nur in Kirchmöser selbst, dieser idyllischen Halbinsel inmitten von Havelseen, bei seinem Ortsverein lässt sich Steinmeier merkwürdigerweise nicht blicken.
Dabei hätte man dem Neuen einiges zu zeigen. Wehnert erzählt von der stolzen Industriegeschichte, auf die dieses Kirchmöser zurückblicken kann, das wie die Stadt Brandenburg immer ein Arbeiter-Ort war, vor dem Zweiten Weltkrieg auch mit einer starken SPD. „Jeder deutsche Eisenbahner kennt Kirchmöser.“ Der Ort, eine Autostunde von Berlin entfernt, mit dem Regionalexpress 35 Minuten von Potsdam, wäre nichts ohne die Bahn. Schon in den 1920er Jahren stand hier ein Reichsbahnausbesserungswerk, 1928 kam die Zentralschule der Deutschen Reichsbahn dazu, der ganz Kirchmöser gehörte, bis auf den alten, von Bauerngehöften gesäumten Dorfkern. Von dieser Geschichte zeugen heute nicht nur prächtige ziegelrote Industriegebäude, in denen wieder Firmen – zumeist aus der Schienenbranche – produzieren, ob Hochgeschwindigkeitsweichen oder Gleis-Reparatur-Triebwagen. Ein modernes Bahnstromwerk steht hier, ein Forschungszentrum der Deutschen Bahn AG. Und es siedeln sich neue Firmen an wie kaum anderswo im Land. „Kirchmöser brummt“, sagt Wehnert. Das erste alte, neue Industriegebiet ist bereits ausgelastet. Ein zweites Gewerbegebiet wird gerade erschlossen, „natürlich mit Gleisanschluss“. Die neue Brücke, die Platanenallee – Wehnert gerät immer mehr ins Schwärmen.
Nur nach Kurt Beck fragt man lieber nicht. Da wird der sonst Redefreudige einsilbig. „Ich möchte mich über den Vorsitzenden nicht auslassen. Wir Brandenburger haben so unsere Probleme mit Leuten, die von ganz weit hinten kommen.“ Wäre Beck ein Kanzlerkandidat, der einer Angela Merkel Paroli bieten könnte? Wehnert schweigt ein Nein, antwortet dann aber doch. „Steinmeier ist von seinem ganzen Auftreten ein Sympathieträger.“ Und ein Profi genug, auch zum Auftakt seiner Sommerreise eigene Ambitionen auf eine Kanzlerkandidatur 2009 zu dementieren.
Dass Steinmeier doch noch nach Kirchmöser kommt, später, wenn der Rummel etwas nachlässt, da ist sich Wehnert sicher. „Vielleicht eher privatissimo, ohne den Medientross.“ Er würde das SPD-Mitglied Nummer 19 jedenfalls zuerst auf den 65 Meter hohen Wasserturm, Baujahr 1916, führen, von wo der Außenminister ein atemberaubendes Panorama über die Havelseenplatte, über seinen Wahlkreis genießen könnte. Er weiß, dass alle, die einmal dort oben gestanden haben, von dieser Landschaft nicht mehr lassen können. „Wir sind das erste Wasser, wenn man von Sachsen-Anhalt nach Brandenburg kommt. Inzwischen kommen die Leute aus Braunschweig.“
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