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&#Gemeinsam lernen. Ab 2019 sollen alle Kinder in Brandenburg unabhängig von ihren Voraussetzungen in eine Schule gehen.

© dpa;

Brandenburg: Förderschüler an die Normalschule

Bis 2019 sollen Förderschulen für extrem lernschwache, auffällige und behinderte Schüler auslaufen

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Potsdam - Brandenburgs Schulen stehen vor der größten Reform in der Geschichte des Landes seit 1990: Bildungsministerin Martina Münch (SPD) will ab 2019 alle Kinder gemeinsam in den Regelschulen wohnortnah unterrichten lassen: Und zwar auch die derzeit rund 10 000 Kinder mit extremen Lernschwächen und Verhaltensauffälligkeiten, mit körperlichen und geistigen Behinderungen, die einhundert spezialisierte Förderschulen im Land besuchen. Die sind als Schulform nach den rot-roten Plänen ein Auslaufmodell, „eine Sackgasse“, wie Münch am Mittwoch in Potsdam sagte. „Es geht um Vermeidung jedweder Ausgrenzung.“ Schon ab Schuljahr 2013/2014 sollen Erstklässler mit Förderbedarf nicht mehr wie bisher an Förderschulen, sondern an normalen Grundschulen eingeschult werden. Bildungs-Gewerkschaft (GEW)  und Opposition befürchten eine Überforderung des Schulsystems, das wegen anhaltend schlechter Ergebnisse im Ländervergleich in der Kritik und zudem unter Spar-Druck steht.

Den rot-roten Kurs auf die sogenannte „inklusive Schule“ begründete Münch mit der von Deutschland ratifizierten UN-Konvention für Menschen mit Behinderungen, nach der behinderte Kinder künftig „gleichberechtigt ... Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Grundschulunterricht“ und einer späteren Sekundarschulausbildung haben müssen. Bisher haben Förderschüler, die die Sonderschulen nach der 10. Klasse verlassen, keinen anerkannten Abschluss und deshalb geringe Chancen auf Ausbildung und Jobs. Der Umbau „zu einer Schule für alle“ werde Schule „nachhaltiger verändern als der PISA–Schock“, glaubt Münch. Mit den rund 6000 Kindern mit sonderpädagogischem Bedarf, die schon jetzt integriert herkömmliche Schulen besuchen, sowie 427 Sonderpädagogen an Grundschulen habe das Land bereits gute Voraussetzungen für die „Inklusion“, wie der etwas sperrige Fachbegriff für das Ganze heißt.

Nach dem Fahrplan von Münch sollen zuerst die bisherigen 55 Förderschulen für Kinder mit extremen Lernschwächen und Verhaltensauffälligkeiten bis 2019 schrittweise auslaufen. Später sollen die Schüler mit geistigen und körperlichen Behinderungen, die spezielle Schulen besuchen, folgen. Münch machte keinen Hehl daraus, dass alles angesichts finanzieller Zwänge mit dem bestehenden Bilungsetat gemeistert werden soll und kaum mit zusätzlichem Personal gerechnet werden kann. Anders als in Finnland wird es zwei Lehrer pro Klasse zwar „stundenweise“, aber „nicht in der Regel“ geben, so Münch, die auf die jetzigen Sonderschulpädagogen und die Fortbildung regulärer Lehrer setzt. 

Die Pläne lösen gleichwohl Befürchtungen und Kritik aus. So unterstützen Grüne, Linke, aber auch die GEW den Gemeinschaftsansatz. „Wenn man nicht die Rahmenbedingungen und Standards sichert, wird es ein Billigmodell“, warnt aber  GEW-Landeschef Günther Fuchs. Schon jetzt seien Schulen und Lehrer mit heterogen Klassen überfordert, gebe es „kaum Geld für Fortbildung“. Er habe große Sorge, dass die neue Ministerin „zwar schnell versucht, ein Thema zu besetzen“, aber die Voraussetzungen dafür nicht gesichert würden. Sonderpädagogen an Grundschulen sind in der Praxis im Grunde die „Vertretungsreserve“, sagte auch die Grüne Marie-Luise von Halem. Die FDP fordert „Augenmaß“ und „fundierte Konzepte“. Selbst der Linke-Koalitionspartner, der das Ziel teilt, ist zurückhaltend. „Damit jedes Kind individuell gefördert werden kann, müssen die Rahmenbedingungen stimmen“, sagte Bildungsexpertin Gerrit Große. Dazu gehörten neben Fortbildung eine grundständige Ausbildung von Sonderpädagogen an der Universität Potsdam – die war abgeschafft worden – sowie „die Ressourcen für kleine Lerngruppen und die entsprechenden räumlichen Voraussetzungen“. Für den gesellschaftlichen Dialog dafür sei „Zeit nötig“.

Die Union lehnt die Pläne strikt ab. Aus der UN-Konvention lasse sich das Aus für Förderschulen nicht automatisch ableiten, sagte CDU-Fraktionschefin Saskia Ludwig. Sie verwies auf Bayern, dass weiter auch auf Förderschulen setze, und auf Wahlfreiheit der Eltern, ob ihre Kinder eine Förderschule oder eine Regelschule besuchen. Alle Kinder unter einem Dach könne vielleicht „mit ganz, ganz kleinen Gruppen funktionieren, nicht aber unter den hiesigen Bedingungen“, sagt Ludwig. „Hier ist es ein Angriff auf die Kinder.“ 

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