zum Hauptinhalt

Brandenburg: Führerschein zum Abitur Bildungsministerin Martina Münch hat es nicht leicht: Das Schulsystem ist im Osten das schlechteste – und beim Schüler-Bafög lauern Tücken

Potsdam - Gebrieft, instruiert hat man sie nicht. Natürlich finden Melanie Lesser (17), Alex Dietrich (17) und Joanna Fotlinski (18) von der Gesamtschule Eisenhüttenstadt, dass das Schüler-Bafög eine tolle Sache ist, die 50 oder 100 Euro, die ihnen wie inzwischen 1250 anderen Elft- und Zwölftklässlern aus ärmeren Familien in ganz Brandenburg Monat für Monat von der Landeskasse überwiesen werden.

Stand:

Potsdam - Gebrieft, instruiert hat man sie nicht. Natürlich finden Melanie Lesser (17), Alex Dietrich (17) und Joanna Fotlinski (18) von der Gesamtschule Eisenhüttenstadt, dass das Schüler-Bafög eine tolle Sache ist, die 50 oder 100 Euro, die ihnen wie inzwischen 1250 anderen Elft- und Zwölftklässlern aus ärmeren Familien in ganz Brandenburg Monat für Monat von der Landeskasse überwiesen werden. Die drei, zunächst sehr ruhig, und etwas schüchtern, sitzen am Mittwoch in der Potsdamer Staatskanzlei gemeinsam mit ihrem Schulleiter Torsten Tappert. Gewissermaßen als lebendige Kronzeugen werden sie auf einer Pressekonferenz von Bildungsministerin Martina Münch (SPD) präsentiert, die eine Bilanz des vor genau einem Jahr bisher in Brandenburg als einzigem Bundesland eingeführten Schüler-Bafögs verkünden will, eine positive Bilanz versteht sich.

Und die drei Kronzeugen sind, wie sie anschaulich erzählen, wirklich dankbar für das Geld. Wofür Sie es konkret verwenden? „Ich habe es zurückgelegt, für die Klassenfahrten in der 11. und 12.Klasse“ - „Ich spare für den Führerschein“ - „Ich spare für eine Bildungsreise, nehme es auch als Taschengeld, bezahle davon Handyrechnungen“. „Ich kaufe dafür Bücher“ Die Antworten der Schüler, die alle erklären, dass sie natürlich auch ohne Schüler-Bafög definitiv ihr Abi gemacht hätten, kommen ehrlich, ohne zu Zögern, ein ungeschönter, sehr sehr realer Ausflug in brandenburgische Lebenswirklichkeiten, und einer mit Tücken für die Ministerin.

Führerschein, Handy-Rechnungen, Taschengeld, bezahlt mit dem allein für Lernzwecke überwiesenen Schüler-Bafög? Es sieht so aus, als ob auch Münch ein wenig zusammenzuckt, als ausgerechnet genau jene Reizworte fallen, die der politisch und verwaltungsbürokratisch reinen Lehre widersprechen, die Reizworte, die auch die Opposition beschwor und beschwört, für die das Schüler-Bafög ein „Placebo“ ist, sinnlos, wirkunglos.

Also bemühen sich Münch und Schulleiter Tappert, offensiv die Einwände zu entkräften, was gar nicht so einfach ist. Dies sei ein Spiegelbild der Realität von Familien, die es nicht so dicke haben, wo es eben auf jeden Euro ankommt, heißt es. „Da ersetzt eine Summe die andere. Man kann das nicht im Detail genau auseinanderrechnen“, erklärt Münch. „Das Geld erhöht die Handlungsmöglichkeiten dieser Familien.“ In diesem Sinne kann die Ministerin selbst dem vom Schüler-Bafög finanzierten Führerschein etwas Positives abgewinnen, sogar mehr als einen Bildungszweck. Zitat: „Gerade in strukturschwachen Regionen müssen die jungen Leute mobil sein.“ Und die Handy-Rechnung? „Auch meine Kinder tauschen sich zu Hausaufgaben und Klausuren am Telefon aus.“ Nun ja.

Und Schulleiter Tappert, der nebenbei auch noch Vorsitzender des Brandenburgischen Pädagogenverbandes ist, was er erwähnt, der auch schon mal für die SPD bei den Kreistagswahlen seiner Region kandidierte, was vielleicht auch den Grad seiner Begeisterung etwas erklären mag, illustriert die aus seiner Sicht eindeutige „Errungenschaft“ des Schüler-Bafögs zumindest mit eindrücklichen Erfahrungen aus seiner Schule: Von insgesamt 50 Elftklässlern bezöge jeder zweite die Leistung. Es mindere den Druck, nebenbei jobben zu müssen, was Alltag in den Abi-Klassen sei: „Sie können jetzt ruhiger zum Abitur gehen.“ Vor zwei Jahren habe etwa eine Schülerin aus einer solchen Familie ein glänzendes Abitur hingelegt, „Notendurchschnitt 1,5“, „obwohl sie sogar noch in der Zeit der Abiturprüfungen stundenlang an der Supermarktkasse“ gesessen habe. Später habe sie ihm einmal gesagt, was der Preis der Doppelbelastung war - die verpasste 1,0. „Sie hat gesagt: 0,5 - das hat den Unterschied ausgemacht.“ Oder bei Klassenfahrten, da erlebe er immer wieder, wie wenig Geld manche haben: „Einmal hatte ein Mädchen 20 Euro mit, für sieben Tage Italien, auf Goethes Spuren.“

Und so geht diese Regierungs-Pressekonferenz, die haarscharf zum Bumerang geworden wäre, irgendwie doch noch einigermaßen über die Bühne. Es ist ein Tag, an dem Münch eine frohe Botschaft verkünden wollte und zugleich wie all ihre Vorgänger auch noch erstmals von Schlagzeilen eingeholt wurde, dass Brandenburg erneut beim Bildungsvergleich der Länder mies abschnitt, als schlechtestes ostdeutsches Land, ein Tag, an dem Grüne, FDP und CDU in Erklärungen prompt die Missstände, die Unterfinanzierung, die ungenügende Schulpolitik anprangern. Ihre Reaktion? Unbestimmt. Sie äußert Zweifel an der Studie, wegen alter Daten, verweist auf die 2000 neuen Lehrer, die sich positiv auswirken werden. Die Probleme kenne man selbst, „an Schwächen arbeiten wir“, sagt sie. Und Schulleiter Tappert aus Eisenhüttenstadt wirft ein, dass bei sozialer Gerechtigkeit, dem Feld, zu dem das Schüler–Bafög gehöre, Brandenburg ja ganz gut abgeschnitten habe. Irgendwann sagt er diesen Satz: „Manchmal tut mir die Bildungsministerin leid.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })