GEWALT AN BERLINER SCHULEN: Geschlagen und mit dem Handy gefilmt Tendenz: steigend
Berlin: Drei Attacken in Grundschulen in Moabit und Neukölln und einem Wilmersdorfer Gymnasium
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Berlin - Nach einer Woche der Gewalt gegen Berliner Lehrer wurden gestern drei Fälle bekannt, bei denen Schüler geschlagen und verletzt wurden. Zwei Fälle ereigneten sich in so genannten sozialen Brennpunkten in den Stadtteilen Moabit und Neukölln, einer in einem Wilmersdorfer Elitegymnasium. An der Moabiter Kurt-Tucholsky-Grundschule wurden die Schläge sogar mit einem Mobiltelefon gefilmt. Eine Elfjährige hatte auf dem Schulhof mit drei Klassenkameraden einen Zehnjährigen geschlagen und getreten. Zuvor hatte das Mädchen einem Jungen befohlen, das Ganze zu filmen. Als das Opfer auf dem Boden lag und weiter getreten wurde, stoppten Sechstklässler die Attacke.Ob die Zahl der Gewalttaten in diesem Schuljahr insgesamt höher ausfallen wird als im letzten Jahr (siehe Kasten), kann die Bildungsverwaltung noch nicht sagen.
Konrektor Gerd Combecher stellte das Handy sicher, der knapp einminütige Film wurde später von der Schulleitung gemeinsam mit der Polizei ausgewertet. Dadurch konnten drei weitere Schüler benannt werden. Alle Beteiligten, auch das Opfer, sind laut Schulleiterin Iris Pakulat aus dem arabischen Sprachraum, alle gehen in eine fünfte Klasse. Das Opfer wurde leicht verletzt.
Eine Stunde zuvor hatte die Neuköllner Kielhorn-Schule die Polizei gerufen. Dort wurde ein 15-Jähriger von zwei schulfremden Jugendlichen in die Ecke des Pausenhofes gedrängt und bedroht: Er solle ja nicht zur Polizei gehen, sonst drohten ihm „Schläge und Schlimmeres“, so die Polizei. Am Freitag war dieser 15-Jährige in der Schule von einem 13-jährigen Klassenkameraden mit einer Tischtenniskelle geschlagen worden. Dabei hatte der Libanese einen Bluterguss am Kopf erlitten. Am Montag berichtete das Opfer der Schulleiterin den Vorfall. Diese rief die Polizei. Die beiden anderen Jugendlichen hat die Polizei noch nicht ermittelt. Wie der 13-jährige Täter und Anstifter sollen sie ebenfalls arabischer Herkunft sein. Schulleiterin Marion Seidel sagte, der 13-Jährige sei kein klassischer Schläger, „dem ist das peinlich“. Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) kündigte gestern an, dass die Schulhöfe besser vor Schulfremden gesichert werden sollen.
Nicht Schulfremde, sondern eigene Schüler waren in den Vorfall am altsprachlichen Wilmersdorfer Goethe-Gymnasium beteiligt. Direktorin Gabriele Rupprecht berichtet, dass der Täter zu einer dreiköpfigen Schülergruppe von Neuntklässlern gehörte, die seit einem Dreivierteljahr von Siebtklässlern gemobbt wurde. Die Situation sei vor zwei Wochen eskaliert, nachdem einer der Siebtklässler einem der Neuntklässler ein Gebäckstück entrissen und auf den Boden geworfen habe. In der darauffolgenden Hofpause habe sich der „ganze Frust der neun Monate entladen“: Der Neuntklässler schlug dem Siebtklässler ins Gesicht, das Nasenbein brach. Alle Beteiligten sind Deutsche.
Rektorin Rupprecht bedauert, dass das Mobbing nicht rechtzeitig erkannt wurde. Schüler hätten sich zwar an Lehrer gewandt, aber an verschiedene und zu verschiedenen Zeitpunkten. So sei die „irrige Meinung“ entstanden, das Problem sei behoben. Jetzt habe man sich vorgenommen, „aufmerksamer zu sein“. Polizei und Schulpsychologen seien eingeschaltet. Der Täter wurde zwei Wochen vom Unterricht suspendiert. Zudem sei die Androhung eines Verweises „in Arbeit“, sagte Rupprecht. Sie wies den Vorwurf von Eltern zurück, zum Zeitpunkt des Vorfalls habe eine Hofaufsicht gefehlt.
In den vergangenen Tagen waren in drei Berliner Schulen Lehrer angegriffen oder bedroht worden: In Tempelhof hatten zwei maskierte 14-Jährige eine 58-Jährige im Klassenzimmer angegriffen und ihre Tasche geraubt. Am Montag hatte ein 17-Jähriger in einer Oberschule einen 54-jährigen Pädagogen niedergeschlagen. Der Serbe ist der Polizei bereits vielfach wegen Gewalttaten aufgefallen.
ZENTRALE ERFASSUNG
Berlin gehört zu den wenigen Bundesländern, die alle Gewalttaten zentral erfassen und systematisch auswerten. Deshalb gibt es einen genauen Überblick über die Art der Delikte, Herkunft der Täter sowie über die Verteilung auf Schulformen und Bezirke. Die aktuellsten Zahlen stammen aus dem Schuljahr 2005/06.
DELIKTE
Insgesamt wurden 1573 Delikte an die Schulverwaltung gemeldet – gegenüber 894 im Vorjahr. In fast 1000 Fällen handelte es sich um Körperverletzung oder gefährliche Körperverletzung. Zudem gab es 319 Bedrohungen, 56 Beleidigungen, 18 Erpressungen, sieben Mobbing-Fälle, 17 Raubtaten, 24 sexuelle Übergriffe, 22 Sachbeschädigungen, und 80 Mal ging es um (Rechts-)Extremismus. 44 Vorfälle fielen in keine dieser Rubriken.
LEHRER ALS OPFER
Noch stärker als die Zahl der Gewalttaten insgesamt stieg die Zahl der Übergriffe auf Lehrer. Hier gab es fast eine Verdoppelung von 196 auf 374. Darunter waren 138 Fälle von gefährlicher Körperverletzung und 21 von Körperverletzung. 144 Mal wurden sie bedroht. Jeder fünfte Fall ereignete sich in Mitte. Auch Lichtenberg und Friedrichshain-Kreuzberg waren überproportional vertreten. 160 Gewaltdelikte gegen Lehrer ereigneten sich an Grundschulen, 55 an Hauptschulen und 33 an Gesamtschulen.
TÄTERHERKUNFT
Obwohl nur jeder vierte Berliner Schüler nichtdeutscher Herkunft ist, sind sie an mehr als jedem zweiten Gewaltvorfall beteiligt. Im Detail bedeutet dies, dass sie Täter oder Mittäter waren in 396 der 724 Fälle von Körperverletzung und in 167 der 262 Fälle von gefährlicher Körperverletzung. sve
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