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Brandenburg: Häftlinge mit dem Rosa Winkel

Homosexuelle NS-Opfer wurden jahrzehntelang vergessen / Nur 14 Augenzeugenberichte aus Sachsenhausen bei Berlin

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Homosexuelle NS-Opfer wurden jahrzehntelang vergessen / Nur 14 Augenzeugenberichte aus Sachsenhausen bei Berlin Von Axel Schock Berlin/Oranienburg. Manchmal genügte ein freundschaftlicher Kuss, um in den Jahren des nationalsozialistischen Regimes als Homosexueller in die Mühlen der Justiz zu geraten und wegen „widernatürlicher Verfehlungen“ nach Paragraf 175 verurteilt zu werden. Rund 130 000 Männer waren von 1933 bis 1945 in Deutschland in so genannten Rosa Listen als homosexuell erfasst, rund 50 000 von ihnen wurden wegen ihres Schwulseins verurteilt und in Gefängnisse, Zuchthäuser und Konzentrationslager gesteckt. Auffallend viele, rund 1200, wurden in den Jahren 1936 bis 1945 im KZ Sachsenhausen bei Oranienburg nahe Berlin inhaftiert. In der Lagerhierarchie standen sie ganz unten und hatten mit die geringste Überlebenschance. Rudolf Höß, Lagerführer in Sachsenhausen und später Kommandant von Auschwitz, schrieb während seiner Haft in Polen, dass diese „Krankheit“ durch schwerste körperliche Arbeit zum „Erlöschen“ gebracht werden müsse. In Schwerstarbeit sah Höß einen idealen Weg, die „Seuche“ der Homosexualität zu bannen. Als Konsequenz daraus wurden die Homosexellen für die härtesten Arbeitseinsätze abkommandiert. In Sachsenhausen verendeten so Schwule im Schlamm der Tongrube oder schufteten bis zur Entkräftung im dazugehörigen Klinkerwerk. Genauso gefürchtet war das Strafkommando „Schuhläufer“. Um Schuhe für die Wehrmacht zu testen, wurde die Gefangenen täglich viele Stunden im Laufschritt immer rund um das Lager gejagt. Kaum einer überlebte diese Tortur länger als zwei Wochen. Viele von ihnen wurden kastriert und zu Dutzenden wurden sie planmäßig zu Tode geprügelt oder erschossen. Wie viele schwule Männer in Sachsenhausen ums Leben kamen, weiß niemand so genau. Von 300 homosexuellen Häftlingen konnten anhand von Akten die Namen ermittelt werden. Unter ihnen: der Berliner Kabarettist Robert Odemann. 1938 war er wegen „widernatürlicher Unzucht“ zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden. 1940 kam er für weitere eineinhalb Jahren in Haft und wurde nach der Strafverbüßung „vorbeugend“ ins Konzentrationslager Sachsenhausen überstellt. Als das Lager 1945 geräumt und die Häftlinge sich auf den Todesmarsch in Richtung Ostsee begeben mussten, gelang ihm die Flucht. Auf eine Rehabilitierung wartete er jedoch bis zu seinem Tod 1985 in Berlin vergebens. Denn weder interessierte sich jahrzehntelang die Geschichtsforschung für das Schicksal der homosexuellen Opfer des NS-Regimes noch wurde den Überlebenden Wiedergutmachung angeboten. „Die nach 1945 anhaltende Diskriminierung und Strafverfolgung der Homosexuellen führte dazu, dass sich kaum einer von ihnen zu Wort meldete“, betonte der Berliner Historiker Andreas Sternweiler. Gemeinsam mit seinem Kollegen Joachim Müller hat er über zehn Jahre akribisch die Lagergeschichte der Homosexuellen in Sachsenhausen erforscht. Erschwerend für die Forschungsarbeit sei gewesen, dass kaum schwule Häftlinge die Zeit dort überlebt und sich aus Scham und Angst vor weiterer Demütigung nicht zu Wort gemeldet haben. Lediglich 14 Augenzeugenberichte, so Sternweiler, konnten ausfindig gemacht werden. Die Angst der Überlebenden war begründet. Der Anti-Homosexuellenparagraf 175 bestand auch nach 1945, wenn auch entschärft, weiter. Und selbst die Ermittlungsakten der Gestapo wurden lediglich umetikettiert und von den bundesrepublikanischen Behörden einfach weitergeführt.

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