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„Häuser und Türen werden markiert“ : Zahl antisemitischer Vorfälle in Brandenburg um 28 Prozent gestiegen
Judenhass breitet sich in der Mark aus, von Pöbeleien bis Schmierereien. In Potsdam wurde der neue Monitoring-Bericht zu Antisemitismus für 2024 vorgestellt.
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In der Gedenkstätte Sachsenhausen wurde die Außenmauer beschmiert: „Good old times“. In Cottbus gab es eine Attacke, bei der das Opfer körperlich und verbal verletzt wurde: „I kill you jüdische Schweine.“ Im Land Brandenburg ist die Zahl antisemitischer Vorfälle erneut drastisch gestiegen und keine Trendwende ist in Sicht. Das geht aus dem Monitoring-Bericht für 2024 der Fachstelle Antisemitismus hervor, der am Mittwoch in der Staatskanzlei in Potsdam vorgestellt wurde.
Im vorigen Jahr wurden demnach 484 antisemitische Vorfälle registriert. Das ist eine Steigerung um 28 Prozent gegenüber 2023. Ob Holocaust-Relativierungen, Hakenkreuze oder Judenhass-Pöbeleien – es gibt weiter keine Entwarnung. Stattdessen tritt Antisemitismus immer offener und unverblümter auf, in Gedenkstätten, Bildungseinrichtungen und selbst im Wohnumfeld von Jüdinnen und Juden.
Die meisten Fälle in Oberhavel und Potsdam
„Antisemitismus zeigt sich jetzt offen auf der Straße, nicht mehr nur versteckt in der Anonymität des Internets“, sagte Dervis Hizarci, Vorstandschef der Kreuzberger Fachstelle gegen Antisemitismus (Kiga), die seit 2022 im Auftrag des Landes den Bericht erstellt. Nach seinen Worten werden inzwischen Einrichtungen oder Wohnungen von Jüdinnen und Juden direkt zur Zielscheibe. „Häuser und Türen wurden markiert. Das ist eine neue Qualität für das Land Brandenburg. In Berlin gab es das schon vorher“, warnte Hizarci. „Wir werden in Kürze einen Kipppunkt erreichen, was das Wohlbefinden von Jüdinnen und Juden in Brandenburg betrifft.“

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„Antisemitismus ist bedrohlicher geworden“, erklärte Staatskanzleichefin Kathrin Schneider. Brandenburg tue viel, um jüdisches Leben „sichtbar und sicherer“ zu machen.
Wir werden in Kürze einen Kipppunkt erreichen, was das Wohlbefinden von Jüdinnen und Juden in Brandenburg betrifft.
Dervis Hizarci, Vorstandschef KiGa e.V.
Die meisten Fälle, nämlich 213 Fälle oder 44 Prozent, hatten demnach einen rechtsextremen oder rechtspopulistischen Hintergrund, in 94 Fällen war es antisraelischer Aktivismus, in 18 Fällen Islamismus. Regionale Spitzenreiter sind der Kreis Oberhavel mit den Gedenkstätten Sachsenhausen und Ravensbrück und die Landeshauptstadt Potsdam mit der Synagoge und einer Reihe von jüdischen Einrichtungen. In Oberhavel wurden 77 Fälle registriert, davon allein 66 in den Gedenkstätten. Das entspricht einer Steigerung um 40 Prozent. In Potsdam wurden 75 Fälle registriert, eine Steigerung um 66 Prozent. Überproportional betroffen waren laut Bericht die Landkreise Barnim mit 50 Fällen und Oder-Spree mit 44 Fällen.
Rechtsextremer Hintergrund dominiert
Das Dunkelfeld bleibe groß, erklärte Hizarci. Zugleich, auch das 2024 ein ausgeprägter Trend, stieg israelbezogener Antisemitismus im vorigen Jahr auf 94 Fälle an, eine Steigerung um 19 Prozent. Hintergrund waren der Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober 2023, die Militäraktionen Israels und die propalästinensischen Demonstrationen in Deutschland. Dieser Antisemitismus trete unter rechten, linken, säkularen und nationalistischen Vorzeichen auf, „das Verbindende ist das gemeinsame Feindbild Israel“, sagte Hizarci.
„Antisemitismus ist Realität, tägliche Normalität in Brandenburg“, warnte Andreas Büttner, Brandenburgs Antisemitismusbeauftragter. „Es ist keine Randerscheinung, sondern ein strukturelles Problem. Die Hemmschwellen sinken. Was man sich früher nicht getraut hat, wird jetzt getan.“ Büttner zitierte aus einer E-Mail, die am Mittwochmorgen vor der Pressekonferenz im Potsdamer Synagogenzentrum eingegangen war: „Ihr seid die neuen Nazis. Früher habt Ihr Brunnen vergiftet, heute mischt ihr Drogen ins Essen. Jude bleibt halt Jude. Tod den israelischen Okkupationskräften.“ Auch Antisemitismus von links müsse klar benannt werden, sagte Büttner.
In den alljährlichen Monitorbericht der Fachstelle fließen Straftaten der polizeilichen Kriminalstatistik ein, Meldungen aus Gedenkstätten, von einem Online-Meldeportal und auch von zivilgesellschaftlichen Beratungsstellen wie der „Opferperspektive“ und „Utopia“. Von den 484 Fällen kamen 276 von der Polizei. Es gebe eine Scheu, Fälle zur Anzeige zu bringen, auch wegen des gesunkenen Vertrauens in Institutionen, hieß es.
Dass in der Brandenburger Gesellschaft Antisemitismus durchaus verankert ist, belegt auch der „Brandenburg-Monitor“ zu den Einstellungen und Werten der Bevölkerung im Land regelmäßig. Nach dem letzten Bericht von 2024 sind 13 Prozent der Brandenburger der Auffassung, dass der „Einfluss der Juden zu groß“ ist.
Für 2025 dürfte eine weitere Steigerung antisemitischer Vorfälle zu erwarten sein, zumal sich die Lage im Nahen Osten nach dem jüngsten Angriff Israels auf den Iran zuspitzt. Das war am Mittwoch auch Thema im Innenausschuss des Landtages. Konkrete Hinweise auf Angriffe auf jüdische Einrichtungen in Brandenburg lägen aktuell nicht vor, sagte dort Innenminister René Wilke (parteilos). „Wir gehen von einer abstrakt hohen Gefährdung aus“, sagte Wilke.
Im Land Brandenburg gibt es nach seinen Angaben 110 jüdische Objekte, dazu gehören auch Friedhöfe und Gedenkorte. „Wir werden es nicht schaffen, konstant vor jeder Einrichtung einen Streifenwagen stehen zu haben“, sagte der Minister. 13 Einrichtungen im Land gelten als polizeilich besonders relevant und werden entsprechend geschützt, unter anderem auch durch bauliche Maßnahmen und Kamerasysteme. Die Sicherheitsmaßnahmen unterlägen im Austausch mit den jüdischen Gemeinden einem ständigen Monitoring und würden bei Bedarf entsprechend angepasst. „Das Thema hat eine hohe Priorität und es gibt eine große Sensibilität dafür.“
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