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Brandenburg: Hausleitung

Wie Justizminister Schöneburg die Machtverhältnisse im Gefängnis umdreht

Glaubt man den Bediensteten der Justizvollzugsanstalt in Brandenburg/Havel, dann haben sie jetzt einen einen neuen Chef: Detlef W., 57, in den 1980er-Jahren verurteilt wegen Mordes an einer 16-Jährigen; im Jahr 2000 verurteilt wegen Entführung und brutalster Vergewaltigung einer 13-Jährigen, verdächtig der Erpressung von Mitgefangenen, Gewaltaten im Gefängnis, Drogenhandels, Schmuggels, Nötigung und des Handels mit verboteten Gegenständen in der JVA Brandenburg. In einem Papier sind im Ministerium W.s Gewalttaten, die er mit seinem Lebensgefährten und Mittäter René N. begangen hat, aufgelistet. Es ist mehr als 70 Seiten dick. In Brandenburgs Gefängnissen zählt er zu den schweren Fällen.

Die neue Macht verliehen hat diesem Detlef W. nach Ansicht der Vollzugsbeamten: Volkmar Schöneburg, 55, Beruf: Strafverteidiger, derzeit ausgeübter Beruf: Minister der Justiz des Landes Brandenburg.

In den Jahren von 2001 bis 2006 war Schöneburg der Anwalt von Detlef W. Heute ist er der Chef der Wärter seines Ex-Mandanten. Und in beiden Berufen soll sich der Minister um die beiden Schwerverbrecher gekümmert haben. Zuletzt am Mittwochabend nach Dienstschluss. Da griff er, wie er am Donnerstag eingestehen musste, in ein Verfahren ein, mit dem die JVA-Leitung und die Fachabteilung des Justizministeriums andere Insassen und auch die Bediensteten vor seinem Ex-Mandanten schützen wollte: W. sollte am Donnerstagmorgen gegen 4.45 Uhr von Vollzugsbeamten geweckt und, wie es heißt, unter Anwendung von Zwangsmaßnahmen in die JVA Cottbus verlegt werden. Dem Minister missfiel, dass sein als brutal geltener Ex-Mandant geweckt und von zum Selbstschutz „gepanzertern Vollzugsbeamten“ abtransportiert werden sollte. Das Ergebnis: W. sitzt weiter in Brandenburg/Havel ein. Die Aktion wurde auf abendliche Weisung des Ministers komplett abgesetzt. Er halte die Sicherungsverlegung, eine Maßnahme unter Zwang, für unverhältnismäßig, sagte Schöneburg am Donnerstag.

Seine Fachleute sehen das anders. „W. hatte zuvor mehrfach und manifest damit gedroht, bei einer Verlegung Gewalt gegen sich und andere anzuwenden, er hat auch mit Selbstmord gedroht – verbunden mit der Drohung, dann andere mitzunehmen“, so ein Insider gegenüber den PNN. In solchen seltenen schweren Fällen sei es zum Schutz des Gefangenen und der Vollzugsbaemten nötig, eine Zwangsverlegung in den Morgenstunden durchzuführen. „Wir müssen uns doch schützen“, so ein Bediensteter: „Jemanden gegen 5 Uhr in der Früh zu wecken und mit Handschellen abzuführen, ist doch kein Verstoß gegen Menschenrechte.“

Weil Schöneburg die nach seiner Aussage schärfste Maßnahme für unangemessen hielt, ordnete er an, als „milderes Mittel“, das zum gleichen Erfolg führen könne, die Zelle von Detlef W. und seinen „Läufern“ bei  Drogengeschäften zu durchsuchen. Die Ergebnisse der Razzia lagen Schöneburg am Nachmittag aber noch nicht vor. „Es war keine einsame Entscheidung“, sagte er.

Schöneburg ordnete an, eine Überstellung in ein anderes Gefängnis ohne Zwang zu prüfen. Der Minister zog auch die Angaben der Anstaltsleitung in Zweifel. „Die Vorwürfe der Anstaltsleitung gegen den Häftling wegen Drogenhandels fußten größtenteils auf Vermutungen.“ Auf Nachfragen des Ministeriums habe die Anstaltsleitung am Donnerstag Strafanzeige gegen W. gestellt.

In Brandenburg/Havel und im Fachressort im Justizministerium herrscht nun Verbitterung: „Wir haben jetzt folgende Situation: Wir werden nie wieder einen anderen Insassen dazu bekommen, über das subkulturelle Agieren von Detlef W. auszusagen.“ Ein anderer: „Die Tür ist zu, die Insassen vertrauen uns nicht mehr, sie glauben nicht, dass wir sie vor Insassen wie W. noch schützen können. In der Wahrnehmung anderer Gefangener steht W. unter dem Schutz des Ministers.“

Mit seinen guten Verbindungen an die Spitze der brandenburgischen Justiz hatte Schwerbrecher W. nach Ausasagen von Vollzugs- und Betreuungspersonal ohnehin schon immer und oft geprahlt. Schöneburg sagte nun am Donnerstag, W. habe ihm auf seine Mailbox gesprochen, er habe diese teils abgehört, meist aber ignoriert. „Das war eine Einbahnstraße“, sagte Schöneburg. Es sei aber ein Fehler gewesen, seine Handynummer für Anrufe aus der Anstalt nicht gesperrt zu haben. Das habe er jetzt getan.

Nach Aktenlage hat W. mehrmals wöchentlich das Mobiltelefon des Ministers angerufen – vom Festnetztelefon in der Zahlstelle der Anstalt, für das jeder Insasse eine eigene PIN-Nummer hat. Ausweislich der Anruflisten in der JVA hat W. über einen langen Zeitraum oft mehrmals wöchentlich, meist aber mindestens einmal wöchentlich, Schöneburgs Mobilnummer gewählt. Nur in seltenen Fällen kam laut Liste keine Verbindung zustande. In einigen Fällen war die Verbindung dann eher kurz. In vielen Fällen weist die Abrechnung laut Insidern auch mehrere Minuten Verbindungszeit aus.

Oft, wenn W. von seinem Ex-Anwalt und jetzigen Oberaufseher Schöneburg gesprochen habe, habe er ihn beim Vornamen genannt, berichten Vollzugsmitarbeiter und therapeutisches Personal: „ich wende mich an Volkmar...“, wenn dieses oder jenes geschehe, werde er sich „an Volkmar wenden“. Vor Mitgefangenen habe er mehrfach mit „meinen Telefonanten mit Volkmar“ geprahlt.

Schöneburg erklärte, er könne nichts dafür, wenn früheren Mandanten damit prahlen, ihn zu kennen. Ansonsten habe er sich auch nie eingemischt, der Gefangene sei durch seine Weisungen nie privilegiert worden. Und der Fall um Detlef W. habe auch bei seinen Vorgängern i immer oberste Priorität gehabt – und der ist tatsächlich brisant. Laut Schöneburg sind Detlef W. und René W. seit mehr als 30 Jahren in einer gemeinsame Zelle inhaftiert gewesen, sie lernten sich 1982 kennen, im Knast wurden sie ein Paar. Nach der Entlassung entführten und vergewaltigten sie eine 13-Jährige und wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

In den Jahren von 2001 bis 2006 war Schöneburg dann der Anwalt von Detlef W., in jener Zeit, als W. mit seinem Lebenspartner gegen ein Urteil vorging, dass die gemeinsame Unterbringung untersagte. Die Paar-Zelle ist eine bundesweite Rarität. In Berlin wäre das nicht möglich. „Mir ist kein Fall bekannt, in dem Paare gezielt in einem Haftraum untergebracht werden“, sagte eine Sprecherin der Berliner Justizverwaltung.

Ende November wurden das Verbrecherpaar getrennt, als René N. nach Verbüßung der Haftzeit in die Sicherungsverwahrung verlegt wurde. Weil sie die Besuchszeiten als zu rigide empfanden, seien sie Anfang Dezember in einen Hungerstreik getreten, so Schöneburg. Auch in diesem Fall habe er eingegriffen und ein Gespräch mit der Anstaltsleitung und den Anwälten der Häftlinge vermittelt.

Die Vollzugsbeamten fühlen sich aber von Schöneburg hintergangen. Die Leitung der JVA-Brandenburg wollte sich am Donnerstag nicht zu den Vorfällen äußern. Ein Vollzugsbediensteter sagte nur: „Der Minister hat uns verraten – er hat unsere Autorität hier hinter Gittern untergraben.“ (mit dpa)

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