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NSU-Affäre und Berliner Rocker. Nach einer Schießerei vor dem Clubhaus der Bandidos in Berlin-Wedding wurden am 5. Juli DNA-Spuren gefunden, die teilweise mit DNA-Spuren aus dem letzten Versteck des NSU in Zwickau übereinstimmen.

© Gero Breloer/dpa

Zurückhaltung von V-Mann-Akten: Henkel in der NSU-Affäre unter Druck

Gegen Senator und Polizei werden neue Vorwürfe laut. Zugleich räumt der V-Mann Thomas S. ein, für das Neonazi-Trio Sprengstoff geliefert zu haben. Die Polizei prüft derweil DNA-Spuren mit NSU-Bezug ins Rockermilieu

Stand:

Innensenator Henkel unter Druck

In der NSU-Affäre muss Berlins Innensenator am heutigen Montag im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses erneut kritische Fragen gefallen lassen. Es gibt schwere Vorwürfe, nach denen die Berliner Polizei dem Generalbundesanwalt Akten zum V-Mann Thomas S. verweigert hat, damit diese nicht beim Bundestagsuntersuchungsausschuss zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) landen. Mit in der Kritik steht Innensenator Frank Henkel (CDU), der dem Ausschuss nicht alle Materialien zukommen ließ. Bei seiner ersten Aussage im Ausschuss am vergangenen Dienstag hatte Henkel behauptet, dies sei auf Drängen der Bundesanwaltschaft geschehen. Ein Sprecher dieser Behörde hatte dies jedoch zurückgewiesen.

Henkel und sein Sprecher wollten sich am Sonntag dazu nicht äußern und verwiesen auf die Polizei. Polizeisprecher Stefan Redlich bestätigte aber ein Schreiben des Berliner Staatsschutzchefs Oliver Stepien vom 3. April, in dem er unter anderem ausführte, warum er der Bundesanwaltschaft nicht wie angefordert die kompletten Akten über den V-Mann übergeben könne. Stepien begründete dies damit, dass sich die Polizei gegenüber dem V-Mann zur Verschwiegenheit über dessen Identität verpflichtet habe. „Dies ist ein ganz normaler Vorgang im Umgang mit V-Personen“, sagte Redlich. Bis heute habe dieser die Polizei nicht davon befreit, auch wenn man bereits im Mai diesbezüglich an ihn herangetreten sei. Stepien habe in dem sechsseitigen Schreiben an die Bundesanwaltschaft betont, zum NSU-Komplex „offen zu kommunizieren“. Aus diesem Grund verfasste die Polizei ein sogenanntes Behördengutachten, in dem die Aussagen des V-Manns zur Neonaziterrorzelle NSU wiedergegeben wurden. Die Bundesanwaltschaft habe am 27. März Einblick in die kompletten Akten gehabt.

Sowohl Linke und Grüne übten heftige Kritik. Henkel sei seiner Mitteilungspflicht gegenüber dem Untersuchungsausschuss nicht nachgekommen sei. Grünen-Innenexperte Benedikt Lux sagte, Innensenator und Polizei hätten „komplett betriebsblind“ gehandelt. Linken-Fraktionschef Udo Wolf warf Henkel vor, lediglich auf die Polizei zu verweisen. „Das ist eine Frage der politischen Verantwortung“, sagte Wolf.

Der CDU-Innenpolitiker Robbin Juhnke hingegen sagte, dass die Bedenken bei der Polizei und beim Staatsschutz angemessen und begründet waren, ergebe sich aus der Vorgehensweise des Generalbundesanwalts. Der habe, wie aus einer Erklärung hervorging, die V-Mann- Akten auch erst an den Untersuchungsausschuss weitergegeben, nachdem Beeinträchtigungen laufender Ermittlungen nicht mehr befürchtet werden mussten.

Der V-Mann

Thomas S. arbeitete zehn Jahre lang für die Berliner Polizei als Informant und lieferte bereits im Jahr 2002 brisante Hinweise zum Terrortrio, denen damals aber nicht nachgegangen worden war. Jetzt räumte er ein, der Zwickauer Terrorzelle in den 1990-er Jahren Sprengstoff geliefert zu haben, um damit dem NSU-Mitglied Zschäpe zu imponieren, sagte S. der „Welt am Sonntag“. Mit Beate Zschäpe, der Frau aus dem Neonazi-Trio, sei er 1996 kurzzeitig liiert gewesen. Zugleich hat er versucht, die Vorwürfe gegen Innensenator Henkel zu entkräften und seinen eigenen Einfluss in der Affäre herunterzuspielen. Er glaube nicht, dass die Behörden mit seinen Informationen das Trio hätte festsetzen können. Daneben bestätigte S. gegenüber der „Welt am Sonntag“, bereits zu DDR-Zeiten Informant der politischen Polizeiabteilung K1 gewesen sei. Er habe Berichte über rechte Fußballfans des damaligen DDR-Fußball-Oberligisten FC Karl-Marx-Stadt geliefert, der er selbst angehörte.

Neue DNA-Spuren mit NSU-Bezug

Zugleich gibt es neue NSU-Spuren nach Berlin. Die Polizei befasst sich derzeit mit zwei DNA-Proben, eine davon könnte eine Verbindung zwischen der Zwickauer Neonazi-Terrorzelle NSU und dem Berliner Rockermilieu belegen. Das erfuhr diese Zeitung aus Sicherheitskreisen. Es geht um Spuren, die am Tatort einer Rocker-Schießerei in Wedding und im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen das Neonazi-Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe gefunden worden waren. Auch hier aber war es nur DNA-Fragment, das auf einer Diskette im letzten Versteck des Nazi-Trios in Zwickau sichergestellt worden war.

Nach PNN-Informationen gehen die Ermittler aber nur von einer „geringen Restwahrscheinlichkeit“ der Übereinstimmung aus. Der Fund sei ein sogenannter „Spur-Spur-Treffer“. Das heißt, es liegen zwei Proben mit Übereinstimmungen vor, die sich derzeit aber keiner Person zuordnen lassen. Die Bundesanwaltschaft sieht in den DNA-Spuren keinen Beweis für eine Verbindung zwischen der NSU und Berlins Rockerszene. „Die wenigen Übereinstimmungen sind nicht als Beleg dafür geeignet, dass die Spuren von ein und derselben Person stammen“, sagte der Sprecher des Generalbundesanwalts, Marcus Köhler, in Karlsruhe. Nach den Ermittlungen hätten sich „keine Anhaltspunkte für strafrechtlich relevante Verbindungen“ zwischen NSU-Mitgliedern und dem Rocker-Milieu ergeben.

Spezialisten der Kriminaltechnik arbeiten derzeit daran, die vage Übereinstimmung mittels hochkomplizierter Verfahren zu überprüfen, um zu erfahren, ob die Spuren doch noch ein und derselben Person zuzuordnen sind. Ein endgültiges molekular-biologisches Gutachten liege bisher nicht vor, hieß es. Aber auch wenn BKA und Kriminaltechniker des Berliner LKA einen direkten Zusammenhang zwischen der NSU-Mordserie und den Schüssen im Rockermilieu vorerst ausschließen, prüfen die Ermittler dennoch mögliche Hypothesen. Und dabei geht es eher um die Grauzone zwischen Rockern und Neonazis.

Dass auf einer damals in Wedding mutmaßlich von den Hells Angels auf die Bandidos abgefeuerten Patronenhülse eine DNA-Spur mit NSU-Bezügen gefunden wurde, könnte nach Ansicht der Ermittler mit den Verbindungen zwischen den Hells Angels und der rechten Szene zusammenhängen. Die Ermittler selbst sind da aber sehr vorsichtig. Möglicherweise gibt es einzelne Mitglieder, die früher als aktive Neonazis Kontakte zur NSU hatten und sich später den Hells Angels angeschlossen haben. Oder es ging um rein Geschäftliches, Waffenhandel, nämlich.

Verbindungen des Umfelds des NSU ins Rockermilieu gibt es durchaus. Vor allem die rechtsradikale Skinhead-Truppe „Blood and Honour“ ist sowohl im Rechtsradikalen- als auch im Rockermilieu verankert. Verflechtungen der Zwickauer Terrorzelle selbst mit der Rockerszene sind aber bislang nicht belegt. Auch wenn Beate Zschäpe wie berichtet 2011 im Erfurter Landgericht bei einem Rockerprozess gesichtet worden sein soll.

In einer nichtöffentlichen Sitzung des Innenausschusses hatte Innensenator Frank Henkel am Dienstag von der DNA-Übereinstimmung berichtet, sie aber nicht bewertet oder eingeordnet. Inzwischen hat der SPD-Abgeordnete Tom Schreiber Strafanzeige wegen Geheimnisverrats gestellt. Offenbar seien von Parlamentariern Inhalte aus vertraulichen Sitzungen gezielt lanciert worden, sagte Schreiber. Schreiber sieht aber undichte Stellen nicht nur auf Landesebene sondern auch bei den Politikern im Bundestag.

Nach PNN-Informationen gibt es noch eine weitere NSU-Verbindung nach Berlin. Henkel hatte am Dienstag im Innenausschuss von einem weiteren Treffer beim Abgleich von Spuren in der DNA-Datenbank des BKA berichtet. So soll an einer Socke im NSU-Wohnmobil in Eisenach, in dem sich die NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos 2011 erschossen hatten, die gleiche DNA gefunden worden sein wie in einem in Berlin gestohlenen Wagen. Nach Angaben aus Berliner Sicherheitskreisen war das Auto 2002 gestohlen worden, Brandenburger Polizisten fanden es verlassen im Umland. Alle Erkenntnisse waren Berlins Behörden übergeben worden. Wie sich erst nach Auffliegen der NSU-Mordserie herausstellte, stimmen die im Wagen gefundenen DNA-Spuren mit jenen im NSU-Wohnmobil überein. Die erfolglosen Ermittlungen gegen Unbekannt seien seinerzeit aber bereits eingestellt, die Akten vernichtet worden. Ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft sagte, „wir prüfen den Fall“. Erst am Freitag war die Ermittlungsbehörde dem Vernehmen nach über den Fall informiert worden. Der Sprecher des Senators erklärte, er kommentiere Inhalte der vertraulichen Sitzung des Innenausschusses nicht. Bundesanwaltschaftssprecher Köhler sagte: „Nach den bisherigen Ermittlungen gibt es keine zureichenden Anhaltspunkte dafür, dass die mutmaßlichen NSU-Mitglieder an Fahrzeugdiebstählen beteiligt gewesen sein könnten.“

Tatsächlich hat dieser Fall am Samstag kurzzeitig zu Verwicklungen zwischen dem Berliner Senat und der Brandenburgs Landesregierung geführt. An die Medien war aus dem Innenausschuss heraus zunächst lediglich die Information lanciert worden, Henkel habe über eine DNA-Spur gesprochen, die nach Brandenburg führe. Bei den Sicherheitsbehörden in Potsdam sorgte das kurzzeitig für Aufregung. Unklar ist, ob absichtlich eine falsche Fährte nach Brandenburg gelegt wurde oder nur fahrlässig unvollständige Informationen weiter gegeben wurden.

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