Brandenburg: Hilflos nach den Schikanen
Brandenburg fordert mehr Unterstützung für einstige DDR-Heimkinder. Viele wurden grausam drangsaliert
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Potsdam/Berlin - Ausbildungsbeihilfen oder erstmals in ihrem Leben eine funktionsgerechte Küche, Therapien, Kuren, altersgerechte Möbel – einstige Heimkinder aus der DDR, die bis zum 18. Lebensjahr in repressiven Spezialanstalten Unrecht und Leid erfahren haben, können über den „Hilfsfond Ost“ seit 2012 vielfältige Unterstützungen erhalten. Zur Seite stehen ihnen dabei Beratungsstellen in Potsdam und Berlin. Doch seit die Mittel des Fonds wie berichtet komplett ausgegeben sind, ist damit Schluss. „Seit Jahresbeginn können wir nicht mehr konkret zu Hilfen beraten und dürfen diese nicht vereinbaren“, klagt Brandenburgs Beauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, Ulrike Poppe.
Unterstützt von den Berliner Beratern forderte sie am Donnerstag Bund und Ländern auf, endlich zu handeln. „Bevor ein neues Budget bewilligt wird, sollte man uns wenigstens schon einen Teilbetrag umgehend zusichern.“ Andernfalls werde die Geduldsprobe für die Betroffenen unerträglich.
Es geht um frühere Heimkinder mit bedrückenden Schicksalen. Sie waren meist in sogenannten Sonder- und Spezialheimen oder Jugendwerkhöfen „zur Umerziehung zu einem sozialistischen Menschen durch Arbeit“ untergebracht. Häufig wegen „abweichenden Verhaltens“, was oft bedeutete: Sie selbst hatten sich als Jugendliche dem staatlichen Persönlichkeitsideal verweigert. Oder sie wurden schon im Kindesalter ihren DDR-kritischen Eltern weggenommen, als man diese inhaftierte. In den Werkhöfen mussten sie ab 14 Jahren körperlich schwer arbeiten, teils mehr als 40 Stunden pro Woche – beispielsweise am Bau oder in Getränkekombinaten. „Es war Kinderarbeit wie zur Zeit der Industrialisierung, die jungen Körper wurden völlig überfordert“, sagen Berater. Die Kinder und Jugendlichen wurden drangsaliert, misshandelt, waren Betreuern ausgeliefert – ohne jede Geborgenheit. Man isolierte sie von der Umgebung, unterrichtete sie im Heim, versagte vielen eine solide Berufsausbildung. Auch Lebenserfahrung und praktische Fähigkeiten wie Kochen oder den Umgang mit Geld konnten sie während der oft jahrelangen Heimkarriere nicht erwerben. Körperliche Gebrechen, Traumata, Verhaltensstörungen, dauerhafte Armut und Lebensuntüchtigkeit sind bis heute die Folgen.
Brandenburgs Beratungsstelle „für Heimkinder in der DDR zwischen 1949 und 1990“ gehört zum Potsdamer Dienstsitz von Ulrike Poppe. Allein in Brandenburg lebten in dieser Zeit rund 74 000 Kinder und Jugendliche in Heimen. In der gesamten DDR sollen es 400 000 gewesen sein. Dazu gehörten aber auch viele, die nicht aus politischen, sondern aus sozialen Gründen ins Heim kamen, beispielsweise, weil sie zu Hause verwahrlosten, die Eltern sich nicht um sie kümmerten. Diese Kinde kamen dann aber meist nicht in die Werkhöfe und Spezialheime, sondern in andere, weniger repressive Einrichtungen. Bei den Beratungsstellen sprechen diese einstigen Heimkinder heute entsprechend seltener vor.
Der Hilfsfonds Ost wurde im Juni 2012 eingerichtet. Bund und Länder stellten 40 Millionen Euro bereit. Das Geld war aber im Dezember 2013 aufgebraucht. Kurz danach sicherten die Verantwortlichen zwar maximal weitere 160 Millionen Euro zu, abrufbar sind diese Gelder aber bislang nicht. Zuvor müssen die Ministerpräsidenten der Bundesländer noch eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnen.
Die Berater fürchten nun, dass dies erst im Herbst geschieht. Denn spätestens bis zum 31. September müssen die einstigen Heimkinder Hilfen beantragen. Danach verfällt ihr Anspruch. Nach Ablauf dieser Frist weiß man folglich genauer, wie viel zusätzliches Geld noch benötigt wird. Das wollten die Politiker wohl abwarten, wird vermutet. Außerdem sorgt sich das Beratungsteam, dass die Bedingungen für Hilfen aus dem Fonds angesichts der knappen öffentlichen Kassen verschärft werden.
Zugleich ist der Andrang bei den vier Beratern in Potsdam aber „riesengroß“. Rund 500 Brandenburger im Alter ab 35 Jahren wurden schon unterstützt, knapp 2000 weitere warten auf Beratungen. Und Poppe schätzt, dass bis Ende September noch mal bis zu 3000 Menschen auf uns zukommen“ – und vieles benötigen: vom Rentenzuschuss bis zum Rollator. Deshalb übt auch Brandenburgs Bildungsministerin Martina Münch (SPD) Druck auf die anderen Länder aus. Ihre Sprecherin ist aber optimistisch: „Wir glauben, dass die zusätzlichen Hilfsgelder jetzt zeitnah kommen.“ Verschärfte Voraussetzungen seien kein Thema. Man könne doch die neuen Antragsteller nicht schlechter stellen als bisherige Hilfeempfänger.
„Sie glauben ja nicht, was für ein großes Glück ein neues Sofa für eine 60-Jährige bedeutet, die sich noch nie gemütlich einrichten konnte und auch als Heimkind kein richtiges Zuhause hatte“, sagt die Potsdamer Beraterin Birgit Schmelz. Es ist eine kleine Wiedergutmachung.
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