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Von Thorsten Metzner: Historiker-Streit um die „kleine DDR“

In der Nachwende-Enquete-Kommission werden zwei neue Gutachten zum Umgang mit SED-Opfern beraten – sie enthalten Zündstoff

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Potsdam - In der Enquete-Kommission zum Umgang mit der SED-Diktatur in Brandenburg droht neuer Streit um die Analysen von Versäumnissen seit 1990 und nötige Konsequenzen. Das Gremium aus Experten und Abgeordneten wird am heutigen Freitag zwei bisher interne Gutachten beraten. Beide bergen Zündstoff.

In einer den PNN vorliegenden 91-Seiten–Expertise zum „Umgang mit ehemals politisch Verfolgten und Benachteiligten“ kommt der Historiker und Medienanwalt Johannes Weberling (Viadrina Frankfurt)) etwa zum Fazit, dass diese in Brandenburg in den Aufbaujahren nach der Wende vernachlässigt wurden. „Der Umgang öffentlicher Stellen, gesellschaftlicher Organisationen mit politisch ehemals Verfolgten und Benachteiligten fand jedenfalls in der ersten Dekade wenn überhaupt nur in Form von Lippenbekenntnissen statt“, heißt es in dem Gutachten. Stattdessen habe sich die Politik auf die Auseinandersetzung um die Stasi-Kontakte des ersten Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) konzentriert. Die Rehabilitierung und Entschädigung von SED-Opfern sei „rein verwaltungstechnisch“ als „Minimalprogramm“ umgesetzt worden. Ehemals politisch Verfolgte hatten damals „das Gefühl, alleingelassen zu sein.“ Er gibt einige konkrete Empfehlungen, wie Opfern geholfen, wie diese stärker aus dem Schatten geholt werden könnten. So wird ein jährlicher Schüler-Geschichtswettbewerb „Brandenburg zwischen Diktatur und Demokratie“ angeregt. Außerdem sollte unter anderem über eine Anlaufstelle aus „ehrenamtlich arbeitenden“ Rechtsanwälten“ das „offensichtliche“ Defizit bei Rechts-Beratungen „zügig“ behoben werden. Auslöser ist der Befund der „untypischen Lücke“, dass weitaus weniger DDR-Verfolgte Entschädigungsleistungen erhalten, als strafrechtlich rehabiliiert worden sind. Für das Gutachten waren 182 Institionen und Organisationen angeschrieben worden. Die Resonanz war „auffällig“ unterschiedlich. Während 15 der 18 Kommunen antworteten, sich auch die Kirchen offen zeigten, antworten 3 von 20 Gewerkschaften, beim Sport sieben von 20 Institutionen.

Im zweiten Gutachten hat der Potsdamer Geschichtswissenschaftler und frühere DDR-Militärhistoriker Jürgen Angelow die „Würdigung von Opposition und Widerstand“ im Land untersucht, vor allem in den im Land existierenden sechs Gedenkstätten, darunter in der Potsdamer Lindenstraße oder im ehemaligen KGB-Gefängnis. Das Gutachten übernimmt weitgehend die Auskünfte, die ihm die Einrichtungen gaben. Angelow macht auf Finanzierungsnöte aber auch auf Defizite im Geschichtsunterricht aufmerksam und warnt vor einem einseitigen DDR-Bild. Vielmehr gehe es darum, „verschiedene `Bilder´ zuzulassen. Mitglieder der Enquete kritisieren die Expertise, die etwa weitgehend das Eigenlob der Landeszentrale für politsiche Bildung übernehme, als zu unkritisch und lückenhaft.

Einen Historiker-Streit hatte es schon um ein kritisches Gutachten von Christian Thönelt zum in Brandenburg nach 1990 vermittelten Geschichtsbild gegeben, das Institutionen wie das Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZFF) und diverse Politiker als „zu dünn“ kritisiert hatten. Daraufhin warnte wiederum Enquete-Mitglied Professor Klaus Schroeder vom Forschungsverbund SED-Staat in einem internen Brandbrief an die Kommission: Das alles deute für ihn „schon jetzt darauf hin, dass diese Institutionen bei der Aufklärung über die sozialistische Diktatur alles richtig gemacht haben wollen“ und die Gründe „für die Verklärung der DDR“ auf den Wiedervereinigungsprozess abwälzen wollen. Wenn die „Kommission nur als Alibi für eine Scheinlegitimation der Brandenburger Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen dient, könnte das Land Brandenburg viel Geld und Ärger einsparen“, schrieb Schroeder, „indem es die Arbeit der Kommission einstellt.“

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