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NACHTFLÜGE: Hoffnung auf ruhigere Zeiten rund um Schönefeld

Wie Anwohner des neuen Flughafens und Politiker auf das neueste Leipziger Urteil zum Thema Nachtflüge reagieren.

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Potsdam - Erst Frankfurt am Main, dann Schönefeld? Kaum zwei Monate vor der Eröffnung des neuen Willy-Brandt-Flughafens (BER) spitzt sich der Konflikt um den Schutz von rund 25 000 Anwohnern vor Fluglärm erneut zu. Am Mittwoch forderten Bürgerinitiativen im Berliner Umland und Umweltverbände ein strengeres Nachtflugverbot am BER, nachdem das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am größten deutschen Flughafen Frankfurt am Main Flüge zwischen 23 Uhr und 5 Uhr strikt verboten hat. In Schönefeld soll dagegen, aber auf ein Kontigent begrenzt, bis Mitternacht geflogen werden können. Zwar sehen Flughafengesellschaft, Ministerrpräsident Matthias Platzeck (SPD) und das Potsdamer Verkehrsministerium „keine Auswirkungen“ des Urteils auf die von den Leipziger Richtern im Herbst 2011 ausdrücklich bestätigte Nachtflugregelung am BER. Doch nun wächst der politische Druck auf den Bund sowie die Länder Brandenburg und Berlin als Eigentümer des Flughafens, im eigenen Ermessen weniger Nachtflüge zu erlauben.

So macht sich dafür die Union in Brandenburg – anders als die Parteifreunde in Berlin – für Verbesserungen stark. Landeschefin Saskia Ludwig sprach sich dafür aus, die derzeitige Nachtflugregelung im Planfeststellungsbeschluss für Schönefeld an einem „Runden Tisch“ zu überprüfen. „Fünf Stunden Nachtschlaf sind für die Brandenburger definitiv zu wenig“, sagte Ludwig. Sie verwies ausdrücklich auf das Bundesumweltamt, das deutschlandweit ein Nachtflugverbot zwischen 22 Uhr und sechs Uhr fordert. „Platzeck muss nun endlich erklären, wie er mit den neuen Fakten umgehen will.“

Brandenburgs von Platzeck geführte rot-rote Landesregierung steht in der Frage unter besonderem Druck, weil hier die allermeisten Betroffenen leben. Platzeck zeigte sich vom Urteil aber wenig überrascht, zumal sich Elemente der Brandenburger Kontigentregelung für die Randflugzeiten darin wiederfinden und es für den BER folgenlos ist. Er nehme den Lärmschutz ernst, sagte Platzeck. „Wir werden die ersten Betriebsmonate abwarten und dann im Lichte aktueller Erkenntnisse des praktischen Betriebes weitere Möglichkeiten zur Verbesserung des Lärmschutzes diskutieren und im Interesse der Betroffenen umsetzen.“

Der Linke-Koalitionspartner, der früher vehement für ein striktes Nachtflugverbot eintrat, sich unter Rot-Rot aber zurückhaltend äußerte, begrüßte das Urteil als Signal, dass mehr Lärmschutz auch in der Nacht möglich sei. Die Flughafengesellschaft müsse das neue Urteil als Zeichen der Zeit verstehen. Linke-Verkehrsexpertin Kornelia Wehlan forderte einen neuen Diskussionsprozess für weitere Einschränkungen in den Nachtrandzeiten.

„Konsequenz muss sein, dass auch die Anwohner des BER auf ruhigere Nächte hoffen können“, erklärte Marc Nellen, brandenburgischer Landeschef des Verkehrsclubs Deutschland (VCD). „Der Kern ist, dass die Richter das Recht der Bürger auf ungestörte Nachtruhe anerkannt haben“, sagte Matthias Schubert, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Fluglärm. Das Urteil werde dem in Brandenburg bevorstehenden Volksbegehren für ein umfassendes Nachtflugverbot Auftrieb geben, mit dem eine absolute Ruhezeit von 22 bis 6 Uhr gefordert wird. Schubert sagte, „dass Frankfurt ein internationales Drehkreuz ist, Schönefeld indes mit einer solchen Bestimmung nie geplant und genehmigt wurde“. Schubert, der auch Chef der Kleinmachnower Bürgerinitiative gegen Fluglärm ist, sieht gute Erfolgsaussichten für das Volksgebehren (siehe Kosten). „Der Start fällt terminlich mit der Eröffnung des neuen Großflughafens zusammen, da werden viele Brandenburger sicher noch einmal aufgerüttelt“.

Der Bürgerverein Berlin Brandenburg (BVVB), die älteste und radikalste Flughafen-Initiative der Region, sieht mit dem Urteil jedweden Erweiterungen des BER einen Riegel vorgeschoben. „Stadtnahe Flughäfen haben keinerlei Zukunft mehr“, sagte Sprecher Kristian-Peter Stange. Jetzt sei Platzeck gefragt, „seinen warmen Worten endlich Taten folgen zu lassen, für einen großzügigeren Schallschutz und minimalen Nachtschutz zu sorgen.“

Der Sprecher der Flughafengesellschaft Ralf Kunkel dagegen forderte von den Lärmgegnern, die von den Leipziger Richtern bestätigte Nachflugregelung endlich zu akzeptieren: „Das gehört zu den demokratischen Gepflogenheiten.“

Juristisch könnte das Leipziger Urteil von gestern zumindest indirekt Folgen für den BER in Schönefeld haben. Der renommierte Berliner Rechtsanwalt Reiner Geulen, in Deutschlands Amtsstuben ein gefürchteter, weil findiger Verwaltungsjurist, erstritt für die Stadt Offenbach und andere Gemeinden rund um den Frankfurter Flughafen das Nachtflugverbot. Jetzt klagt seine Kanzlei aber auch für mehrere Gemeinden im südlichen Berliner Umland wie Kleinmachnow gegen das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung wegen der festgelegten Flugrouten. „Wir werden uns auf dieses Urteil berufen“, sagte Geulen. Denn es stärke noch einmal den Anspruch auf umfassenden Lärmschutz für die Betroffenen. „In dieser Hinsicht ist es ein Grundsatzurteil.“ An der Nachflugregelung am BER aber ist nicht zu rütteln. Das sagt selbst der Rechtsanwalt. Vielmehr könne das Berliner Modell nun Vorbild für die Hessen werden. Geulens Fazit mit Blick auf den Lärmstreit um Schönefeld ist klar: „Bei allen Verfahren brauchen wir mehr volle Transparenz und eine frühzeitige Bürgerbeteiligung.“

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