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&#Lässt sich auch plastinieren. Gunther von Hagens mit einem Skelett. Der 1945 geborene Plastinator studierte Medizin, arbeitete am Anatomischen Institut der Universität Heidelberg und beschäftigte sich bis 1995 mit der Erfindung und Entwicklung der Plastination. 2006 gründete er die Gubener Plastinate GmbH.

© Patrick Pleul/dpa;

Brandenburg: „Ich jedenfalls stehe lieber im Museum, als zu verwesen“

Gunther von Hagens über seine Krankheit, eine neue Ausstellung in Berlin und seine Kritiker

Stand:

Herr von Hagens, Sie sind schwer erkrankt. Werden Sie sich nach Ihrem Tode ebenfalls plastinieren lassen und welche Pose würden Sie sich für das Exponat wünschen?

Ich habe durchaus schon genaue Vorstellungen, wie mich Frau Angelina Whalley, die Kuratorin aller Körperwelten, später mal plastinieren soll. Ich möchte die Besucher am Eingang der Ausstellung in Willkommensgeste begrüßen. Den entsprechenden Grußtext haben wir bereits digital aufgezeichnet. Die Beschriftung könnte lauten: „Hier steht zufrieden: Gunther von Hagens, Erfinder der Plastination und Demokratisierer der Anatomie, denn „Ich war einmal, was Du bist: lebendig. Du wirst sein, was ich bin: tot. Und Du kannst werden, was ich wurde: Körperspender und Plastinat.

Wie weit ist Ihre Erkrankung fortgeschritten? Ist es Ihnen noch möglich, selbstständig Plastinate herzustellen?

Leider bin ich dazu nur noch in meiner Vorstellung, nicht jedoch mehr praktisch in der Lage. Doch immer noch kann ich gedanklich voraus präparieren, Arbeitsanweisungen geben und so die Arbeit des Plastinations-Teams betreuen.

Am morgigen Mittwoch wollen Sie in Berlin Ihre neue Ausstellung „Körperwelten – Eine Herzenssache“ eröffnen. Steht diese Ausstellung im Zusammenhang mit Ihrer Krankheit?

Nur insofern direkt, weil ich bei der Eröffnung nicht zugegen sein kann, da ich mich gegenwärtig zur medizinischen Behandlung im Ausland aufhalte. Indirekt insofern, als dass mir durch meine Erkrankung bewusster als je zuvor wurde, dass das Leben die große Ausnahme und der Tod das Normale ist. Deshalb, so wie ich bewusster und gesünder zu leben versuche, wünsche ich mir auch für unsere Ausstellungsbesucher dem Ausstellungsmotto gemäß herzbewusster zu leben. Dazu gehört vor allem das Rauchen aufzugeben oder noch besser gar nicht erst damit anzufangen und das eigene Normgewicht anzustreben. Die Körperwelten – Eine Herzenssache zeigt Wege dazu auf. Denn inzwischen sind Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems in den Industrieländern die häufigste Todesursache. Statistisch leidet jeder Vierte in Deutschland unter Bluthochdruck – also auch rund 875 000 Berliner. Die fatalen Folgen sind oftmals unentdeckte Krankheiten wie Arterienverkalkung, Herzinfarkt oder Schlaganfall.

Was wird gezeigt?

Gezeigt werden mehr als 200 echte menschliche Präparate, darunter über zwanzig Ganzkörper-Plastinate. Eine Vielzahl davon zum Schwerpunktthema „Herz“. Durch die anschauliche Darstellung unseres Innenlebens, der einzelnen Organfunktionen und häufigsten Erkrankungen, wollen wir die Besucher dazu bewegen, herzbewusster und somit gesünder zu leben.

Im Dezember 2010 habe Sie für Guben einen drastischen Stellenabbau bekannt gegeben. Ist das der Anfang vom Ende der Gubener Plastinate GmbH?

Ich hoffe nicht und versuche mein Möglichstes, um gerade dies zu vermeiden. Gegenwärtig entsteht dort etwas Neues. So werde ich bereits in wenigen Monaten, also noch dieses Jahr, die Öffentlichkeit mit etwas völlig Neuem, nämlich dem Ergebnis meiner künstlerischen Arbeiten überraschen. Zudem werden auch künftig in Guben Silikonplastinate und Gefäßgestalten entsprechend den eingehenden Aufträgen hergestellt. So wird es sowohl das Plastinarium als auch die Körperwelten-Ausstellungen weiter geben, wenngleich wir mit Beginn der Berliner Ausstellung ab Mai das Plastinarium in Guben nur noch freitags, samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr öffnen. Dies hat außer der geografischen Nähe zu Berlin vor allem damit zu tun, dass uns auch die neue brandenburgische Bildungsministerin Münch mit einem ‚Sehverbot’ ihrer Schulklassen während der Unterrichtszeit bedacht hat. Und weniger Besucher erfordern schon aus wirtschaftlichen Gründen verkürzte Öffnungszeiten.

Wer wird Ihre Arbeit nach Ihrem Tod weiterführen?

Was den Bereich Plastination angeht, wird diesen Sommer der kirgisische Mediziner Volodja Chereminsky mit Familie dauerhaft nach Guben kommen. Er ist seit nunmehr 15 Jahren mein begabtester und fähigster Schüler und vertritt die Plastination und Anatomie der Tiere in meinem Sinne in China bereits seit Jahren. Er wird die fachliche Leitung der Produktion übernehmen. Die kaufmännische Verantwortung übernimmt mein Sohn Rurik von Hagens, der zu Beginn dieses Jahres in unser Unternehmen als kaufmännischer Leiter eingetreten ist. Dessen ungeachtet versuche ich nach wie vor meinem Vater nachzueifern, der bereits stolze 95 Jahre alt ist. In den mir verbleibenden Jahren möchte ich noch eine ganze Serie technologischer anatomischer Entwicklungen zur Patent- und Produktreife bringen, die ich in den letzten 35 Jahren in meinem Kopf entwickelt habe. Ferner möchte ich die Brücke zwischen Anatomie und Kunst schlagen. So schweben mir als finale Lebensarbeiten anatomische Meisterwerke vor, die sich mehr für Ausstellungen in Kunstmuseen denn in den Körperwelten eignen dürften.

Sechs von Kündigung betroffene Mitarbeiter haben einen Vergleich mit Ihnen abgelehnt. Wie ist der aktuelle Stand und welche Lösung sehen Sie?

Ehrlich gesagt, das weiß ich ganz bewusst nicht, und werde mich damit jetzt auch nicht näher befassen, weil ich nämlich aus gesundheitlichen Gründen emotionale Belastungen von mir fernhalten soll. Und deshalb bin ich froh, dass ich die mit den so notwendigen wie bedauerungswürdigen Entlassungen verbundenen Fragen in die Hände meines Berliner Anwaltsteams zu legen in der Lage war.

Immer wieder sind einige Ihrer Exponate auf Kritik gestoßen. Was fasziniert Sie daran, Plastinate menschlicher Leichen zu einem Sexakt zu arrangieren?

Sex und Tod sind beides Tabuthemen, die ich aus der Ecke des Verruchten hervorrücke und in Kombination ins Rampenlicht der Öffentlichkeit stelle. Die anatomische Darstellung des Sexualaktes gehört einfach in die Körperwelten, denn schließlich ist jeder Mensch durch diesen fundamentalsten Akt in der Natur entstanden. Außerdem trägt das Sex-Plastinat zu Aufklärung und Schutz vor Geschlechtskrankheiten bei. Wer mit eigenen Augen sieht, wie nur Millimeter zwischen dem Penis und dem Inneren des kleinen Beckens der Frau liegen, der begreift, dass es auch bei Aids um diese Millimeterschranke geht und dass deshalb „mit“ besser ist als „ohne“.

Auch Ihre Verkaufsabsichten für menschliche Plastinate stoßen auf Ablehnung. Die evangelische Kirche fordert sogar ein Verbot. Wie viel Umsatz haben Sie bisher mit dem Plastinate-Verkauf gemacht und wer sind die Käufer?

Der Aufschrei der Kirche währte wie so oft nur kurz. Protest des Protestes wegen, eben um auf sich aufmerksam zu machen. Interessanterweise war es die Kirche selbst, wenn auch die katholische, die mich vor fast 30 Jahren mit der Präparation des Fersenbeins der Heiligen Hildegard von Bingen beauftragte. Außerdem verkaufen wir Plastinate nicht an jedermann. Da echte menschliche Plastinate und die bedrohter Tierarten nur sogenannten qualifizierten Nutzern zugänglich sind, besteht der Käuferkreis aus Professoren, Krankenhäusern, Universitäten – Institutionen mit Lehr- oder Forschungsauftrag. Dagegen haben viele Privatleute großen Gefallen an unserem aus Obst, Gemüse und Tiergewebe bestehenden echten Schmuckpräparaten. Der Umsatz liegt noch nicht in dem von mir gewünschten Bereich, da muss noch die Werbung verbessert werden.

Halten Sie die Bedenken der Kirche für altmodisch oder scheinheilig?

Ich kratze halt am historisch bedingten Leichen-Alleinvertretungsanspruch der Kirche. Obwohl die Leiche doch während der Trauerzeremonie unbeachtet im Sarg bereits am Verwesen ist. Mir kommt das Verdienst zu, die Leiche vom nutzlosen Trauerobjekt zum potenziell nützlichen Kulturgut als Lehrobjekt gemacht zu haben. Ich jedenfalls stehe dereinst doch viel lieber im Museum, noch dazu besser konserviert als es je einem Pharao vergönnt war, als zu verwesen. Zudem sehe ich mich mit meiner Mission in vornehmster christlicher Tradition. In der Renaissance war es doch der damalige Papst selbst, der durch seine Präpariererlaubnis in Padua und Bologna die Geburt der modernen Medizin einleitete. Und statt sich an diese damalige Fortschrittshaltung zu erinnern, wird insbesondere von den protestantischen Kirchenrepräsentanten vergessen, dass die christliche Religion als einzige den berechtigten Anspruch hat, die anatomiefreundlichste auf Erden zu sein. Einer Religion, in deren figural-sakralem Zentrum eine Leiche, nämlich Jesus am Kreuz, existiert und die die Körperspende zur Plastination in der Heiligen Schrift, nämlich in den Korintherbriefen, mit der Aussage ermuntert, dass uns mit der Wiederauferstehung ein neuer Leib gegeben wird. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die meisten unserer über 11 500 lebenden Körperspender Christen sind.

Die Fragen stellte Matthias Matern

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