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Brandenburgs Bildungsministerium: Im Selbstgespräch
Bildungsministerin Martina Münch ließ einen unbequemen Abteilungsleiter zwangsversetzen. Es ist nicht der einzige Grund für Aufruhr im Haus. Der Mann lud zum Abschied – und sprach Tacheles
Stand:
Aus ihrem Ministerbüro hätte sie alles genau verfolgen können. Ein Blick aus dem Fenster hätte genügt. Sie hätte in den Gesichtern ihrer Mitarbeiter lesen können, die dem Mann drüben auf der Empore zuhörten. Und vielleicht hat Martina Münch, 52, SPD, Bildungsministerin in Brandenburg, ja sogar geschaut, was da vis-à-vis von ihrem Schreibtisch geschah, in der gläsernen Kantine der Landesregierung. Dort verabschiedete sich am späten Donnerstagnachmittag nämlich Andreas Hilliger, 61 Jahre, aus dem Ministerium, in dem er seit 1990 tätig war, wo er die Kinder- und Jugendhilfe im Land mit aufgebaut und geprägt hat und seit fünfzehn Jahren Abteilungsleiter für Jugend und Sport tätig war. Allen Bildungsministern hatte er gedient: Marianne Birthler, Roland Resch, Angelika Peter, Steffen Reiche, Holger Rupprecht und – bis vor einer Woche – auch Martina Münch. Dass er nun in die Kantine lud zu einer privaten Veranstaltung, weil er nicht einfach verschwinden wollte, hat direkt mit der Ministerin zu tun. Eine Verabschiedung gab es für ihn nicht, auch keine Gelegenheit dazu, nachdem Münch Hilliger ins Wissenschaftsministerium zwangsversetzen ließ. Von einem Tag auf den anderen.
Schon dieses Holterdiepolter lässt ahnen, dass es kein üblicher Wechsel, keine normale Personalie im brandenburgischen Regierungsapparat ist, keine der Rotationen, die guttun, die nötig sind. Hier war es eher der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Denn der Umgang mit Hilliger ist ein Grund, lange nicht der einzige, weshalb erstmals in der Landesgeschichte derzeit ein Ministerium gegen seine Spitze auf die Barrikaden geht. Weshalb ausgerechnet in dieser Zeit, wo das Haus nach Rotstiftjahren die größten Ressourcen seit 1990 überhaupt hat, die Belegschaft in einem offenen Brief die „Sorge um die Handlungsfähigkeit“ wegen Überlastung formuliert und dezidiert gegen das Führungsklima unter der Ministerin und ihrem Staatssekretär Burkhardt Jungkamp protestiert und der Personalrat interveniert. Das alles hat, ein paar Monate vor der Landtagswahl auch politisch Wogen geschlagen, sodass sich Münch am Dienstag vor ein paar Tagen auf einer Sondersitzung des Bildungsausschusses im Landtag rechtfertigen musste.
Es herrschte dichtes Gedränge in der Regierungskantine. Hilliger musste viele Hände schütteln, Geschenke entgegennehmen. Es waren gut Einhundert, denen das wichtig war, vor allem Kollegen aus dem Bildungsministerium, die sich – sicher ist sicher – für diese außerdienstliche Aktivität an den Automaten für die Arbeitszeiterfassung ausgestochen hatten, Mitarbeiter aus anderen Ministerien, nein, keine Landtagsabgeordneten, aus keiner Partei. Es kamen Vertreter von Verbänden, Städtebund, Wohlfahrtspflege, freien Trägern, aus Kommunen, Menschen, die Hilliger viele Jahre als kompetenten, streitbaren wie loyalen Beamten kennen- und schätzen gelernt hatten. Warum ihn Münch versetzte? Im Ausschuss hatte sie dazu jede Auskunft verweigert. Dies sei Kerngeschäft exekutiven Regierungshandelns, sagte sie, und: Sie habe auch eine Fürsorgepflicht für Hilliger.
Der legte in seiner zehnminütigen Abschiedsrede offen, wie die Fürsorge ablief. Wie er am Freitag, 28. Februar, um 10 Uhr die Zwangs-Abordnung erhielt: Dienstbeginn im neuen Haus ab Samstag 1. März. Vierzehn Stunden. Ein Wochenende, um das Büro zu räumen. „Objekt eines solchen Prozesses zu sein schmerzt sehr“, bekannte er. Aber natürlich falle ein Beamter nicht tief, ein Abteilungsleiter schon gar nicht. Im Wissenschaftsministerium, wo er inzwischen die Grundsatzabteilung leitet, sei er sehr freundlich aufgenommen worden und habe wieder eine interessante Tätigkeit.
Hilliger hatte eine Botschaft. Und die war keine in eigener Sache, sondern eine grundsätzliche. Nämlich zu dem, was „das Charakteristikum einer Verwaltung in einem demokratischen Staat ist und wohin die Reise in Brandenburg geht“. Er sprach darüber, wie ein gesundes, funktionierendes Verhältnis von politischer Führung und Fachapparat in Ministerien aussehen müsste. Und da mache er sich „ernsthafte Sorgen um das Selbstverständnis, von dem das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport geprägt ist“, und auch um das „Signal an die öffentliche Verwaltung“, das davon ausgehe, wie man mit ihm verfuhr. Denn nach seiner Schilderung hatten Münch und Jungkamp ihm gegenüber als Begründung für die Versetzung „grundsätzliche Differenzen in dienstlichen Angelegenheiten“ genannt.
Wie er schilderte, gab es tatsächlich Differenzen, Konflikte, aber nie nach Entscheidungen der Hausspitze, sondern stets vorher, bei deren Vorbereitung. Auch in den drei Fällen, die man ihm konkret vorgehalten habe, seien die Beschlüsse der Leitung umgesetzt worden. „Denn wenn eine Entscheidung getroffen ist, dann muss sie umgesetzt werden.“ Worum es ging, sagte Hilliger nicht. Im Ministerium heißt es, es sei neben der umstrittenen Eingliederung des Landesjugendamtes ins Ministerium auch der von Münch wegen des Misshandlungs-Skandals verfügte Entzug der Betriebserlaubnis für die Haasenburg-Firma gewesen, was Hilliger juristisch für zu riskant gehalten habe. Eine Entscheidung Münchs, über die das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg nächste Woche verhandeln wird.
Nicht begreifen, nicht nachvollziehen kann Hilliger, so sagte er es sinngemäß, dass man ihm wegen fachlicher Voten, Hinweise, Warnungen, also weil er das tat, was die Pflicht eines Beamten ist, eine „nachhaltige Störung des Vertrauensverhältnisses“ anlastete. „Vertrauen ist keine Leistung, die Untergebene zu erbringen haben, nichts Einseitiges“, sagte Hilliger. Der Umgang mit ihm erwecke jedenfalls den Eindruck, dass diese Zweiseitigkeit durch den „hierarchiegeprägten Blick von oben“ nicht gesehen werde. Er befürchtet, dass das Schule machen könnte. „Nichts dürfte schlimmer sein als ein Ministerium, in dem nach einer Äußerung der Hausleitung zu einem Sachverhalt nur noch das große Nicken zugelassen ist. Ein Ministerium ist zwar hierarchisch organisiert, arbeitet aber nicht nach Befehl und Gehorsam.“ Es bestehe bei der Wahrnehmung von Vorgesetztenfunktionen immer die Gefahr einer verzerrenden Asymmetrie. „Das habt ihr sicher gelegentlich auch mit mir erlebt.“
Und dann folgte ein Satz, der vielen in der Kantine aus der Seele sprach, weil er aus ihrer Sicht das beschrieb, was im Ministerium Münchs derzeit im Argen liegt. „Je höher man aufsteigt, desto größer ist die Gefahr, dass das, was man für Kommunikation hält, in Wirklichkeit ein Selbstgespräch ist.“
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