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Kirchenasyl: Immer auf der Flucht

Frankfurter evangelische Gemeinde gewährt tschetschenischer Familie Kirchenasyl

Frankfurt(Oder) -  „Die Todesangst bestimmt unser Leben“, sagt Khava Amaeva mit gesenktem Blick leise auf Russisch. Die 38-jährige Tschetschenin wirkt deutlich älter, hat tiefe Sorgenfalten im Gesicht und dunkle Augenränder. Jahrelange Morddrohungen, Schikanen und Einschüchterungen aus politischen Gründen sowie eine abenteuerliche Flucht haben offenbar ihre Spuren hinterlassen. Seit einer Woche sind die Frau und ihre vier Kinder in Frankfurt (Oder). Als die Familie abgeschoben werden sollte, gewährte die evangelische Gemeinde Kirchenasyl.

Im November vergangenen Jahres war die Familie aus dem Nordkaukasus zunächst nach Moskau gereist, dann weiter über Weißrussland und Polen schließlich nach Deutschland, wo sie an der Autobahn 12 zu Weihnachten vergangenen Jahres von der Bundespolizei wegen illegaler Einreise festgenommen wurde. Seit einer Woche sind Amaeva und die Kinder im Frankfurter Kirchenasyl und kommt endlich einmal etwas zur Ruhe - auch wenn die Ungewissheit über den Verbleib ihres untergetauchten Ehemannes sie quält.

„Wir haben viel Unterstützung von der Gemeinde“, sagt die gelernte Konditorin erstmals lächelnd. Langeweile komme hier nicht auf, ergänzt die 18 Jahre alte Tochter Malika und erzählt begeistert vom Schlittschuhlaufen auf dem Frankfurter Helenesee gemeinsam mit ihren Geschwistern - den 13-jährigen Zwillingen Ahmed und Mahmet und der dreijährigen Hedi - und der Pfarrers-Familie Falkenhagen.

Für Pfarrerin und Gemeindekirchenrat gab es kein Zögern, als sie über die Flüchtlingsberatung des Diakonischen Werkes in Eisenhüttenstadt vom Schicksal der von Abschiebung bedrohten Familie erfuhren. Die Kirchengemeinde helfe solange, bis alle gesetzlichen Möglichkeiten ausgeschöpft seien, sagt Pfarrerin Katharina Falkenhagen. Der Aufenthalt werde durch Spenden der Gemeindemitglieder finanziert.

„Das Kirchenasyl ist eine Möglichkeit, die tschetschenischen Flüchtlinge vorübergehend sicher unterzubringen, um in dieser Zeit mit den Behörden zu verhandeln“, ist sie überzeugt. Denn inzwischen kümmert sich eine auf Asylrecht spezialisierte Berliner Rechtsanwältin um die rechtlichen Belange der Amaevs. Sie legte Widerspruch gegen den Rücküberstellungsbescheid ein, stellte zudem beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Asylantrag sowie bei Gericht einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz.

„Die Frau und die 18-jährige Malika sind schwer traumatisiert. Wichtig sind für sie jetzt Halt und Sicherheit sowie eine professionelle Therapie“, sagt ein Flüchtlingsberater des Diakonischen Werkes. Beide Frauen waren Mitte Januar zusammengebrochen und ins Krankenhaus eingeliefert worden, als die Behörden sie über die Oder gen Osten zurückbringen wollten.

Eine Abschiebung zurück nach Polen, dem laut EU-Asylrecht „sicheren Drittland“, könnte eine Retraumatisierung bewirken, meint der Diakonie-Berater. Die psychologische Betreuung dort sei begrenzt und aus Deutschland zwangsweise rückkehrende Flüchtlinge würden in geschlossene Lager gesteckt. „Die Verfolger aus Tschetschenien sind auch in Polen aktiv.“

Dies hatte Khava Amaeva schon während ihrer Flucht erleben müssen. Gerade deshalb sei sie weiter nach Deutschland geflüchtet, habe das letzte Ersparte in ein Taxi investiert, das sie mit ihren vier Kindern über die polnisch-deutsche Grenze brachte, erzählt sie. Sie suche doch nur ein friedliches Leben ohne Angst, wo ihre Kinder unbehelligt zur Schule gehen und die älteste Tochter Malika studieren könne.

„Sie muss erst wieder Vertrauen fassen und Kraft schöpfen“, meint Pfarrerin Falkenhagen. Sie und die Frankfurter Kirchengemeinde haben bereits Erfahrungen mit dem Kirchenasyl, beherbergten vor gut einem Jahr schon einmal einen Vater und seine vier Töchter aus Tschetschenien. Den Rest der Familie, die Mutter und vier weitere Kinder, hatten sie während der monatelangen Flucht verloren. Die Frau und ihre Söhne und Töchter hatten es bis Belgien geschafft und dort Asyl beantragt. Auch der in Frankfurt gestrandete Vater durfte mit den restlichen Kindern schließlich nach Belgien weiterreisen, so dass die tschetschenische Familie nach fast zwei Jahren endlich wieder komplett war.

Nach Informationen der Pfarrerin geht ihnen gut, Anfang Februar kam das zehnte Kind zur Welt. Ein ähnlich glückliches Ende wünscht sie auch ihren aktuellen Gästen.

Bernd Kluge

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