Brandenburg: Je früher, desto besser
Auf dem Fachtag Kriminalprävention ging es um die Frage, wie Vorbeugung von Gewalt erfolgreich wird
Stand:
Die Grundschule Schwärzesee in Eberswalde liegt in einem Stadtviertel, den Soziologen als sozialen Brennpunkt bezeichnen. Hohe Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit vieler Bewohner kennzeichnen das dortige Brandenburgische Viertel. Das schlägt sich auch im Alltag der Schwärzesee-Grundschule nieder. Gewalt ist hier aus Sicht von Schülern, Lehrern und Eltern ein alltägliches Problem auf dem Schulhof, vor allem verbale und psychische Gewalt, aber auch tätliche Übergriffe. Es gibt allerdings auch Wege, diese Entwicklung abzumildern.
Seit 2007 läuft an der Schule das Anti-Gewalt-Projekt „Boxenstopp“. Wissenschaftler der Universität Potsdam haben das Projekt nun auf seine Wirkung überprüft. Die Umfragen unter Schülern, Lehrern und Eltern sind positiv ausgefallen: Gewalt ist rückläufig, und sogar die schulischen Leistungen haben sich signifikant verbessert. Den Schülern werden in dem Projekt in Eberswalde Kompetenzen übertragen. Schneeballschlachten zum Beispiel sind verboten, aber nicht die Lehrer, sondern die Schüler selbst achten darauf, dass das Verbot eingehalten wird.
„Schüler können in dem Eberswalder Schulprojekt vieles selbst regeln. Das gibt ihnen eine Wertigkeit, die sie positiv wahrnehmen“, erklärte der Erziehungswissenschaftler Wilfried Schubarth. Er hat herausgefunden, dass die Förderung von Eigenständigkeit und Verantwortung bei den Schülern nicht nur zu weniger Gewaltbereitschaft, sondern eben auch zu besseren schulischen Leistungen führen kann. Das Vermitteln von sozialen Kompetenzen würde sich auch auf kognitive Fähigkeiten positiv auswirken. Neben der Mitbestimmung ist die Konfrontationsmethode ein wichtiges Prinzip des Projektes. Die Schüler werden mit ihren Taten konfrontiert, um so Lösungswege zu finden. Wichtig ist dabei, dass Lehrer und Eltern miteinbezogen werden.
Die Ergebnisse wurden am Freitag beim Fachtag Kriminalprävention des Landespräventionsrates und der Universität Potsdam im Innenministerium vorgestellt. Brandenburgs Innenminister Ralf Holzschuher (SPD) sagte, dass nachhaltige Prävention von Kriminalität so früh wie möglich ansetzen müsste, in Schulen und Kindergärten würde man noch am meisten erreichen. Er verwies auf Streitschlichter-Projekte an den Schulen, in denen Kinder frühzeitig lernen, Konflikte mit anderen Mitteln zu lösen als mit Gewalt. Der Jugendforscher Dietmar Sturzbecher von der Uni Potsdam hatte unlängst im Hinblick auf Rechtsextremismus betont, dass die Grundlagen für solche Prägungen bereits im Kindergartenalter gelegt würden. Die Anfälligkeit für Vorurteile wie auch die Neigung zur gewaltsamen Durchsetzung von Zielen hätten in diesem Alter ihre Wurzeln.
Der Erziehungsforscher Andreas Beelmann (Uni Jena) konnte zwar bestätigen, dass bei Vorbeugung von Kriminalität grundsätzlich je früher, desto besser gelte. Doch bestimmte Präventionsmaßnahmen sollten nicht zu früh vorgenommen werden. So seien Grundschüler der unteren Klassen beispielsweise mit Streitschlichter-Programmen meist noch kognitiv überfordert. Ganz frühe Prävention würde sich hingegen bei schwangeren Frauen aus prekären Verhältnissen lohnen, da deren Kinder später vergleichsweise häufig kriminelle Wege einschlagen würden. Der Einsatz von Familienhebammen habe sich in diesem Zusammenhang als positiv erwiesen.
Beelmanns Fazit lautet, dass Prävention von Kriminalität zwar kein leichtes Geschäft sei, sich aber, wenn man es richtig und unter guten Rahmenbedingungen umsetze, lohnen würde. Studien hätten gezeigt, dass sich der anfänglich hohe finanzielle Aufwand nach 25 bis 40 Jahren um ein Vielfaches auszahlen würde. „Wenn die Betroffenen nicht im Gefängnis landen, sondern einen Job haben und Steuern zahlen, zahlt sich das für die Gesellschaft aus.“ Auch wenn man dazu einen langen Atem brauche. Allerdings sollte man Gewalt und Kriminalität nicht losgelöst von ihren gesellschaftlichen Ursachen sehen. Soziale Ungleichheit sei neben gesellschaftlichen Normen nach wie vor der hauptsächliche Wegbereiter von kriminellen Laufbahnen. „Das überlagert alles andere“, so Beelmann. Werde die Kluft zwischen Arm und Reich nicht verringert, sei insgesamt auch keine Absenkung der Kriminalität zu erwarten.
Wie man letztlich Prävention von Kriminalität wirksam und erfolgreich gestalten kann, hängt von vielen Faktoren ab. Zum Beispiel auch davon, wie viele Akteure man dafür mit ins Boot holt. Als vorbildlich bezeichnete Uni-Forscher Schubarth das „Mit-Ein-Ander“-Projekt im Landkreis Ostprignitz-Ruppin. Der dortige Präventionsberater der Polizei, Michael Breitschwerdt, erklärte, dass sich das Konzept von der Kita bis in die Schule erstrecke, zahlreiche Akteure aus den Kommunen sind eingebunden. Jan Kixmüller
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: