Brandenburg: Jeder kann anpacken
Nicht zugucken, mithelfen! In den Flutgebieten werden immer noch viele Freiwillige gesucht. Benötigt werden vor allem Deichläufer
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Potsdam - Die Hilfsbereitschaft für die Hochwasseropfer kennt keine Uhrzeit und keine Entfernungen. „Kurz vor Mitternacht standen fünf Berliner vor dem Rathaus und wollten unbedingt noch Sandsäcke füllen“, sagt der Wittenberger Bürgermeister Oliver Hermann. „Sie hatten sich abends im Hauptbahnhof in den Zug gesetzt und wollten bei der Rettung der Deiche einfach dabei sein, am nächsten Morgen aber wieder an ihren Arbeitsplätzen in Berlin stehen.“ Allerdings musste der Bürgermeister den Enthusiasmus der fünf Männer etwas dämpfen. Es bestand erst mal kein akuter Bedarf an Sandsäcken, weil am Tage Hunderte Helfer auf dem zentralen Sandsackplatz an der Alten Ölmühle in Wittenberge unentwegt Säcke gefüllt hatten. Mit einem herzlichen Dankeschön, einem Schlafplatz für die wenigen Nachtstunden und dem Versprechen einer raschen Wiederkehr endete diese Episode im Hochwassergebiet in der Prignitz.
„Uns haben in den letzten Tagen unzählige Berliner geholfen“, sagt Bürgermeister Hermann. „Manche Gruppe hatte sogar eine Fahne mit dabei und kennzeichnete so ihr Revier auf dem Sandplatz.“ Außer einer Suppe, Schrippen und Getränken gab es keine Entschädigung. Danach frage ohnehin niemand. Wer aber als Berufstätiger helfen wolle, müsse erst seinen Arbeitgeber kontaktieren. Die Behörden stellen auch Nachweise über die Einsatzzeit aus.
Da sich die Situation an den Deichen jederzeit ändern kann, schwankt auch der Bedarf an Helfern. Deshalb sollten sich Freiwillige in jedem Fall vor ihrem Aufbruch in die Katastrophengebiete Auskünfte in den Kommunen wie beim Bürgertelefon der Stadt Wittenberge (03877 566 90 00) einholen – Sandsäcke waren Mittwoch aber genug gefüllt. Auf jeden Fall werden in der Prignitz in den kommenden Tagen dringend Deichläufer benötigt. Sie sind zu zweit und manchmal auch allein unterwegs. In Zwölf-Stunden-Schichten haben sie auf einem drei bis fünf Kilometer langen Abschnitt den Zustand der Deiche und der Sandsackbarrieren zu kontrollieren. Wenn sie Schwachstellen entdecken, müssen sie sofort den Einsatzstab anrufen. „Die Deichläufer müssen gut sehen und möglichst sehr gut hören können, denn oft zeigen sich Schäden in Deichen durch ein Gluckern des Wassers“, weiß Bernd Lindow vom Krisenstab des Landkreises Prignitz. „Und beim ständigen Hin- und Herlaufen im zugewiesenen Abschnitt kommen schon einige Kilometer zusammen. Das setzt eine gewisse Kondition voraus.“
Doch auch nach dem Rückzug des Hochwassers werden in den besonders betroffenen Landstrichen viele freiwillige Helfer gebraucht. Selbst wenn in der Prignitz am 73 Kilometer langen Flussabschnitt die Elbe in ihrem Bett bleiben sollte, stehen die Anwohner vor einem Riesenberg von Arbeit. Schließlich müssen die mehr als eine Million Sandsäcke, die allein in der Prignitz gefüllt und an die Deiche verlegt wurden, wieder weggeräumt werden.
Dankbar über Helfer sind besonders jene Orte, in denen die Flut ganze Straßenzüge heimgesucht und eine dicke Schicht aus Schlamm und Geröll hinterlassen hat. Grimma bei Leipzig gehört dazu, während in Pirna, Meißen, Riesa, Bad Schandau oder im Kurort Rathen in der Sächsischen Schweiz das große Aufräumen noch gar nicht begonnen hat. Hier sollten die Hilfsbereiten einfach in den jeweiligen Rathäusern anrufen und die aktuelle Lage erfragen.
Wasserdichte Handschuhe, Gummistiefel, Kopfbedeckung und ausreichend Sonnenschutzcreme sowie Mückenschutz sollten sich im Gepäck befinden, ebenso wie Utensilien für eine Übernachtung, Schlafanzüge, -säcke, Isomatten. Vielerorts stellen Bewohner ein Bett im trockenen Obergeschoss ihrer Häuser bereit. Es gibt auch immer noch Plätze in den großen Quartieren für die Feuerwehren und Angehörigen anderer Hilfsorganisationen.
Helfen in Extremsituationen birgt auch Risiken. Gesundheitsbehörden warnen vor einer Infektionsgefahr durch das Flutwasser. Dieses hatte in Thüringen mehrere Kläranlagen überschwemmt. Trotz der großen Verdünnung finden sich im Wasser Keime, zumal auch zahlreiche Tiere ertranken und mitgerissen wurden. Ein entsprechender Impfschutz ist deshalb sehr ratsam. Nach dem Ablaufen des Hochwassers sei diese Infektionsgefahr aber gering, sagen die Fachleute.
Beim Bad Wilsnacker Bürgertelefon mit der Nummer 038791 99 91 19 erfährt man zwischen 7 und 20 Uhr, an welchem Standort dringend Helfer gesucht werden. „Wir haben schon eine Reihe von Anfragen, es könnten aber durchaus noch mehr sein“, sagt ein Mitarbeiter: „Erfreulich ist, dass auch viele kleine Firmen ihre Hilfe anbieten, mit Fahrzeugen und spezieller Technik.“ Denn solche Mobile werden jetzt in vielen Gebieten benötigt, in denen es bereits ans Aufräumen geht. Dann ziehen Bundeswehr und Technisches Hilfswerk meist ab, weil sie anderswo in noch akut bedrohten Regionen gebraucht werden.
Doch zurück bleibt das Chaos. Im südbrandenburgischen Mühlberg ist das etwa so, wobei die Stadt auch auf finanzielle Hilfen hofft. Man könne auch direkt Geld auf das Konto der Stadt überweisen, sagt Kämmerin Gabriele Kretzschmar. Ein spezielles Hochwasserkonto gibt es aber nicht. Auch das Land Brandenburg wolle kein zentrales Konto einrichten, hieß es zuletzt. Vielleicht auch wegen der Querelen, die es nach der großen Oderflut im Jahr 1997 um die finanziellen Hilfeleistungen gab.
Um eine eher langfristige Unterstützung, die dringend notwendig sei, bittet Manfred Metzger, der von Berlin aus den Einsatz des Technischen Hilfswerks koordiniert: „Wir brauchen dringend ehrenamtliche Führungskräfte, aber das muss man lernen“, sagt er: „Also gehen Sie zum THW in ihrem Bezirk oder Heimatort und lassen sich ausbilden.“ Die Aufgaben des THW würden immer anspruchsvoller, auch weil es weniger Bundeswehrstandorte mit Technik gebe.
Manche Hilfsgemeinschaften koordinieren ihre Arbeit über Facebook (www.facebook.com/hochwasser.sachsen.anhalt). Da werden viele Dankeschön-Bilder gepostet. Der Radiosender MDR Sputnik hat auch ein Helfer-Vermittlungstelefon (08000 21 00 00) und lädt am morgigen Freitag ab 16 Uhr alle Anpacker zum Dankeschönkonzert nach Halle. Das Motto: „Halle gemeinsam“. Da wird sicher auch die Helfer-Hymne 2013 gespielt, das Stück von Capital Cities, „Save and sound“. Gemeinsames Tun schweißt zusammen – so gibt es schon Single-Flirtseiten von Deichhelfern. S. Dassler, A. Kögel, C.-D. Steyer
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