Brandenburg: Jedes dritte Kind in Berlin wird nicht mehr im Kiez eingeschult
Rund 10 000 Familien stellen Wechselanträge – auf Suche nach anderem Profil oder besserer Lage
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Berlin - Berlins Eltern werden immer wählerischer: Mehr als jedes dritte Kind besucht inzwischen nicht mehr die Grundschule im eigenen Einzugsgebiet. Das ergab eine Umfrage dieser Zeitung. Demnach werden je nach Region inzwischen 20 bis über 50 Prozent der Erstklässler an ihrer zuständigen Grundschule abgemeldet. Sie besuchen stattdessen eine andere staatliche oder freie Schule. Angesichts einer Gesamtzahl von rund 27 800 Erstklässlern haben die Schulämter es also mit fast 10 000 Wechselwünschen zu tun.
Die Gründe für die Ummeldungen variieren: Mal ist es die Flucht vor einer sozial brisanten Schülermischung, oftmals ist es aber auch ein besonderes Schulprofil, das die Familien interessiert, betont Roger Gapp vom Schulamt Tempelhof-Schönefeld. Die Eltern wünschen dann etwa eine staatliche Europaschule oder Französisch als erste Fremdsprache.
Andere Eltern wechseln, weil sie ein Ganztagsangebot wünschen – oder es umgekehrt ablehnen. Wenn Eltern wünschen, dass die Kinder am Nachmittag zum Beispiel noch bestimmte Musik- oder Sportaktivitäten wahrnehmen, lehnen sie unter Umständen eine gebundene Ganztagsschule mit ihrem Pflichtangebot bis 16 Uhr ab. „Unsere Ganztagsschulen werden nicht so gut angenommen“, bedauert denn auch der Bildungsstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Peter Beckers (SPD). In seinem Bezirk wollen sich inzwischen 40 Prozent der Familien nicht mit der Grundschule im eigenen Kiez zufriedengeben – im Ortsteil Kreuzberg liegt die Quote bei 42, in Friedrichshain bei 37 Prozent.
Wie eine Studie des Migrationsrates kürzlich ergab, führt das Wechselverhalten inzwischen dazu, dass nur noch ein Bruchteil der Grundschulen die umliegende Bevölkerungsstruktur abbildet. Es gibt demnach Grundschulen, deren Migrantenanteil zwei-, drei- oder sogar fünfmal höher oder niedriger liegt als in der direkten Nachbarschaft.
In den sozialen Brennpunkten ist die Wechselquote der bildungsnahen Schichten mit und ohne Migrationshintergrund besonders hoch. Hingegen weiß ein Großteil der bildungsfernen Familien nicht einmal, dass es diese Wechselmöglichkeit überhaupt gibt.
Am geringsten ist die Wechselquote in Mitte: Dies kann damit zusammenhängen, dass hier besonders viele bildungsferne Familien wohnen. Aber auch damit, dass Mitte sogenannte Schulsprengel bildet: Familien können hier zwischen mehreren Grundschulen wählen, ohne Wechselanträge stellen zu müssen.
Am häufigsten lassen Eltern in Charlottenburg-Wilmersdorf ihre zuständige Grundschule links liegen. Bildungsstadträtin Elfi Jantzen (Grüne) erklärt das sowohl mit sehr vielen besonderen Grundschulprofil-Angeboten im Bezirk als auch mit der Flucht vor manchen Brennpunkt-Grundschulen im Bezirk. Inzwischen besucht berlinweit bereits jedes zehnte Kind eine Privatschule, der Anteil variiert auch hier stark je nach Bezirk.
Die Gesamtzahl der Erstklässler, die nicht an einer Schule im Einzugsgebiet ankommen, dürfte aber noch höher liegen. Denn nicht berücksichtigt werden kann die Dunkelziffer der Familien, die eine falsche Adresse angeben, um an ihrer Wunsch-Schule mit Sicherheit angenommen zu werden. Susanne Vieth-Entus
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