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Brandenburg: Jobkiller EU-Osterweiterung

Beim Zoll an polnischer Grenze fallen hunderte Jobs weg/„Jeden Tag neue Gerüchte“

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Beim Zoll an polnischer Grenze fallen hunderte Jobs weg/„Jeden Tag neue Gerüchte“ Von Jörg Schreiber Frankfurt (Oder). Die 20 Mitarbeiter der Gerlach Zolldienste GmbH auf der größten deutsch-polnischen Lkw-Abfertigungsanlage Swiecko II bei Frankfurt (Oder) haben alle Hände voll zu tun. Jetzt – wenige Wochen vor der EU-Osterweiterung – gebe es für ihre Zollagentur „Arbeit ohne Ende“, sagt die Frankfurter Niederlassungsleiterin Anneliese Balke. Viele deutsche Importeure orderten noch riesige Warenmengen, weil sie befürchteten, dass Einfuhren aus Polen nach dem 1. Mai deutlich teurer werden. Agenturen wie Gerlach stellen für diese Auftraggeber die Zollpapiere aus und kassieren die Gebühren. Doch die Stimmung ist mies: Mit Polens EU-Beitritt fällt an Oder und Neiße die Zollgrenze. Lastzüge können dann von Estland bis Portugal ohne Warenkontrolle durchfahren. Nur noch Güter, die über die neue EU-Außengrenze am Bug etwa aus Russland oder der Ukraine in die Europäische Union kommen, müssen verzollt werden. „Rund 80 Prozent unserer Arbeit bricht weg“, sagt Balke. Während aber keiner der vom Staat bezahlten Zöllner die Kündigung fürchten muss, stehen bei den privatwirtschaftlich betriebenen Zollspeditionen Massenentlassungen an. Die 21 deutschen Agenturen allein am Terminal Swiecko II verschickten Kündigungen an 150 der 200 Mitarbeiter, sagt Balke, die auch der Frankfurter Interessengemeinschaft der Zollspediteure vorsteht. An der gesamten Grenze zu Polen und Tschechien würden mehrere hundert Stellen wegfallen. Auch Gerlach müsse sich in Frankfurt von drei Viertel der Belegschaft trennen. Das weitverzweigte Tochterunternehmen der Post zahle wenigstens Abfindungen, die meisten kleineren Agenturen könnten nicht mal das. Dabei sieht die Situation am wichtigsten deutsch-polnischen Übergang in Frankfurt, den jährlich über eine Million Lkw passieren, noch vergleichsweise gut aus. Deutschland wird hier ab dem 1. Mai ein Binnenzollamt unterhalten. Wo sich der Zoll aber ganz zurückziehe wie am Übergang Guben/Gubinek und in Küstrin-Kietz, werden zwangsläufig auch alle Agenturen komplett schließen, sagt Balke. Zum Jahresende wolle Gerlach prüfen, ob sich die Grenzniederlassungen an den beiden Autobahnübergängen in Pomellen bei Szczecin (Stettin) und Forst noch rechnen. Doch auch die Situation für die verbleibenden Mitarbeiter ist unklar: Denn die Speditionsbüros in Swiecko und Forst sind wie die Zollämter auf polnischem Gebiet angesiedelt. Eine deutsch-polnische Vereinbarung, die das regelt, läuft zum 1. Mai aus. Der Zoll geht davon aus, dass ein neuer Staatsvertrag rechtzeitig unterzeichnet wird, sagt ein Sprecher der für ganz Brandenburg zuständigen Oberfinanzdirektion Cottbus. Die neue Vereinbarung gelte aber nur für die Zollbehörde. Die Speditionen müssten dagegen privatrechtliche Mietverträge mit dem Eigentümer der Anlage – dem polnischen Staat – abschließen. „Für uns ist das eine unsichere Situation. Jeden Tag gibt es neue Gerüchte“, sagt Balke. Notfalls müssten sich die Speditionen doch auf deutscher Seite niederlassen, wie es am Übergang Waidhaus an der tschechischen Grenze schon entschieden worden sei. Auch die Konditionen seien völlig offen. Mehrere Speditionen werden in Swiecko II ihre Büros schließen, weiß Balke. Von den 465 Quadratmeter Bürofläche, die die Frankfurter Interessengemeinschaft der Zollspediteure dort gemietet hat, würden ab Mai schätzungsweise nur noch 300 gebraucht. Sie befürchtet, dass der Mietpreis, der schon heute bei 25 Euro pro Quadratmeter liege, für die Verbleibenden dann weiter steigt. Anders als beim EU-Beitritt Spaniens gebe es diesmal weder Übergangsmaßnahmen noch Hilfen für die Agenturen, sagt Balke. Brüssel habe Unterstützung mit der Begründung abgelehnt, dass die Situation lange genug bekannt gewesen sei. Es gebe lediglich EU-Zuschüsse für Umschulungen, für die Kofinanzierung hätten die kleinen Speditionen aber kein Geld. Die meisten gekündigten Mitarbeiter würden damit geradewegs in die Arbeitslosigkeit gehen, zumal Ausweichjobs in der Region kaum zu haben seien. Wer jung und mobil sei, ziehe weg, sagt Balke. Zwei ihrer Mitarbeiter seien in die Schweiz versetzt worden, das seien aber Einzelfälle.

Jörg Schreiber

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