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Brandenburg: „Kalkulierte Existenzvernichtung“

Landespolitiker sammeln bei einer Anhörung in Rheinsberg Argumente gegen das Bombodrom

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Rheinsberg - Bürgermeister Manfred Richter (SPD) weiß, wovon er spricht. 20 000 Euro bringt die hoch verschuldete Stadt Rheinsberg allein in diesem Jahr für den Rechtsstreit mit der Bundeswehr gegen das Bombodrom auf. „Ich würde das Geld auch lieber in Kindertagesstätten und Schulen stecken“, sagt Richter. Aber die Region lebe vom Tourismus, dazu gebe es keine Alternativen. Ähnlich äußerten sich Bürgerinitiativen, Branchenvertreter und Landespolitiker aus Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern bei ihrem gestrigen Treffen im Rheinsberger Schloss. Sollte die Luftwaffe die Kyritz-Ruppiner-Heide wieder für Tiefflüge nutzen dürfen, wäre das das Aus für die Branche, hieß es unisono. Deshalb dürfe der frühere Luft-Boden-Schießplatz nicht wieder in Betrieb gehen.

Bei ihrer Sitzung in Rheinsberg haben der Hauptausschuss des Brandenburger und der Innenausschuss des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern damit abermals untermauert, was ohnehin Konsens ist. Vielmehr wollen die Landtage den Druck auf die Bundespolitik verstärken – und Argumente für die Auseinandersetzung mit der Bundesregierung sammeln, sagt Brandenburgs SPD-Fraktionschef Günter Baaske.

Nicht von ungefähr halten die Parlamentarier die Anhörung im Rheinsberger Schloss ab. Es ist ein touristischer und kultureller Leuchtturm im Norden der Mark. Musikakademie und Kammeroper sind bundesweit bekannt. „Können Sie sich ein Violinenkonzert vorstellen, wenn hier ein Tiefflieger vorbeidonnert?“ Der Bürgermeister fürchtet, seine Stadt könnte den Status als staatlich anerkannter Erholungsort verlieren, also auch Fördermittel.

Es ist ein Horrorszenario, dass den Landespolitikern an diesem Tag vermittelt wird. Christian Gilde (SPD), Landrat von Ostprignitz-Ruppin, spricht von 15 000 Arbeitsplätzen, die durch das Bombodrom und den Fluglärm gefährdet seien. Und das sei nur eine vorsichtige Schätzung, heißt es. Millioneninvestition würden ad absurdum geführt.

Die Bundeswehr-Pläne bedrohten den wichtigsten Wirtschaftsfaktor, erklärte René Kohl, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Potsdam. Zwei Drittel der IHK-Mitgliedsunternehmen rechneten mit einem Stellenabbau. Seit 1999 sei die Wertschöpfung um zehn Millionen auf 33 Millionen Euro gestiegen. 345 Millionen Euro seien im Ruppiner Land in den Tourismus investiert. Weitere Investitionen könnten wegen der unklaren Situation aber bislang nicht umgesetzt werden. Das Ruppiner Land ist laut Tourismus Marketing Brandenburg die wachstumsstärkste Urlaubsregion in der Mark und mit 1,2 Millionen Übernachtungen pro Jahr Spitzenreiter. Das Gebiet zwischen Müritz und Neuruppin gilt als größtes Wassersportrevier Europas. Uwe Strunk, Hauptgeschäftsführer des märkischen Hotel- und Gaststättenverbandes, nannte das Vorhaben der Luftwaffe daher eine „kalkulierte Existenzvernichtung“.

Seit 16 Jahren währt der Streit über das Bombodrom nun. Dort plant die Luftwaffe 1700 Übungseinsätze im Tiefflug pro Jahr. 2007 gab das Verwaltungsgericht Potsdam mehreren Musterklagen statt und kassierte eine Betriebserlaubnis des Bundesverteidigungsministeriums. 2009 will das Oberverwaltungsgericht über eine Berufung entscheiden. Benedikt Schirge, Sprecher der Bürgerinitiative Freie Heide, forderte klare Signale aus Berlin, zumal selbst der Bundesrechnungshof den Übungsplatz für überflüssig halte. SPD-Fraktionschef Baaske will nun verstärkt bei Bundespolitikern für ein Votum gegen das Bombodrom werben. Rheinsbergs Bürgermeister Richter sagt: „Eine politische Entscheidung ist langsam überfällig. Wir können nicht noch zwanzig Jahre vor den Gerichten streiten.“

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