Jugendmesse "You" in Berlin: Karneval der Jugendkultur
Von allem ein bisschen zu viel: Tausende Teenies besuchen die Jugendmesse „You“ in Berlin – für Selfies, Schminktipps und den perfekten Karriereplan. Über die Jugend von heute
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Berlin - Wie Hunderte Klassenfahrten gleichzeitig, kreischend und haarezuppelnd, mit Leggings und Selfiestangen, stürmen die ersten Teenies das Berliner Messegelände. Freitag, erster Tag, die Sonne knallt.
An diesem Wochenende lockt die Jugendmesse „You“ wieder Tausende Jugendliche an. Mittendrin, ein Mann mit grauem T-Shirt, Sportschuhen und zurückgegelten Haaren. In der Hand eine Wasserflasche. Das wird ein hartes Wochenende. Daniel Barkowski, 41, Projektleiter. Noch sieht er frisch aus.
Es ist die 16. Jugendmesse in Berlin, er ist seit zehn Jahren dabei. Was hat sich verändert? „Früher gab die Bravo die Trends vor“, sagt er, „heute machen das die Jugendlichen selbst.“ Zum Beispiel Youtube. Das Phänomen kann er auch nicht so richtig nachvollziehen. „Aber auch ich gucke mir Tutorials an, wie man die Heizung entlüftet.“ Damit ist er eher ein Exot in der Youtuberwelt. Die meisten Erklärvideos drehen sich um den perfekten Lidstrich oder superhippe Handtaschen. Mit Klickzahlen im Millionenbereich. „Mit Leuten wie Dagi Bee können sich Teenies viel besser identifizieren als mit Heidi Klum“, sagt er. Jugendliche würden darauf stehen, weil sie gucken können, was ihnen gefällt. Es nicht wie im TV vorgesetzt bekommen. Youtuber haben keine Redaktion, die Videos entstehen im eigenen Zimmer. Alles ist echt, oder sieht zumindest so aus.
Und weil der Kontakt zwischen Youtube-Macher und Youtube-Gucker deutlich intimer ist als zwischen Günther Jauch und seiner Zielgruppe, wurden die Stars der Szene zur Autogramm- und Selfiestunde nach Berlin geladen. Richtig bizarr könnte das dann am Samstag werden, wenn sich Tausende überdrehte Kids mit ihren Internethelden fotografieren lassen wollen. Bereits am Freitagmittag befestigte das Sicherheitspersonal Metallzäune in der Halle. „Früher wollten die noch Bands sehen, jetzt nur ihre Youtuber live erleben“, sagt Barowski. Was für Leute ziehen sich das denn rein?
Leila ist 13, trägt ein rosa Top mit dem weißen Aufdruck „#Selfie“ und eine knappe weiße Hose. In der Hand eine schwarze Plastikstange, in der ihr Smartphone befestigt ist. Das nennt man Selfiestick und ist dazu da, noch tollere Fotos von sich selbst zu machen. Zu ihrer Clique gehören Cem, Undercut, Röhrenjeans, Hemd bis in die Kniekehlen, und Laura, bauchfrei, schwarze Hose, runde Sonnenbrille, Hosenträger. Sie kommen aus Neuruppin. Hipster von morgen. „Wallah, es gibt noch Plätze“, ruft Cem und die drei verschwinden. In der Mitte der Halle machen sich die Flying Steps warm, eine Hip-Hop-Tanzgruppe aus Berlin. Auf der Jugendmesse finden am Wochenende auch die Berliner Streetdance-Meisterschaften mit über 90 Gruppen und über 1000 Teilnehmern statt. „Tanz hat in den vergangenen zehn Jahren immer funktioniert“, sagt Barkowski. Er möchte, dass die Teenies neue Sportarten ausprobieren. „Ich geh gleich ’ne Runde Wakeboard fahren.“ Hinterher!
Denn zum ersten Mal ist auch der Sommergarten geöffnet. Englischer Rasen, darauf wartend, von Teenies zertrampelt zu werden. In der Mitte ein riesiger Pool mit Wakeboardanlage. Ein Wakeboard ist wie ein Surfbrett, das an den Füßen befestigt ist. Mit den Händen hält man sich an einer Stange fest und wird durch das Wasser gezogen. Wer gut ist, springt bis zu fünf Meter hoch und macht Saltos. Wie der 19-jährige Wakeboard-Weltmeister Christopher Klein, der am Freitag sein Können zeigte.
Neben all dem „Fun“, der auf der Internetseite versprochen wurde, gibt es auch eine Karriere-Halle. Das erinnert ein wenig an den Werbespruch: „Vitamine und Naschen“, funktioniert allerdings ziemlich gut. Es gibt Bewerbungstipps und Berufswahltests, außerdem stellen sich Ausbildungsbetriebe vor. Dafür haben die Unternehmen ihre hippesten Azubis losgeschickt. Viele Bärte, Brillen und Undercuts, überall gibt es was umsonst. „Voll geil, macht mega Spaß“, sagt ein Handelsfachmann mit Tunnel im Ohr. An seinem Stand kann man Selfies machen und ausdrucken. Also im Prinzip Fotos, aber das würde langweilig klingen.
Neben einer Popcornmaschine steht ein Wagen in Tarnfarben. Er sieht aus wie ein Panzer, es sei aber nur ein „GDK Boxer Gruppentransporter“ erklärt ein blonder Soldat, das Gesicht schweißüberstörmt. Kann man sich hier auch verpflichten? „Die Seelenfänger sind woanders“. sagt er. Da schauen wir doch mal nach. „Wir wollen uns als positive Einheit vorstellen“, sagt Oberstabsgefreiter Hülya Yücel von der deutschen Marine. „Rekrutierung ist nicht unser Hauptziel. Wer will, kann sich allerdings zu einer Karriere bei der Bundeswehr beraten lassen.“ Vor dem Messegelände halten Aktivisten „Keine Bundeswehr auf der You“-Plakate hoch.
Die „You“ ist nicht nur was für Teenies auf der Suche nach Orientierung, sondern auch für Erwachsene mit Interesse an einer Feldforschung über die Jugend von heute. „Ungeschminkt kommen, geschminkt gehen“, ruft ein Moderator und verweist auf einen Stand. Das könnte das Motto der Messe sein. Von allem ein bisschen zu viel. Simon Grothe
Simon Grothe
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