zum Hauptinhalt

Brandenburg: Kinder in Not: Die Nachbarn hören nicht mehr weg

Auch am Samstag befreite die Polizei wieder ein Geschwisterpaar in Berlin. Sozialsenatorin ist jetzt für regelmäßige Pflichtuntersuchungen

Stand:

Berlin - Wieder musste die Polizei zwei vernachlässigten Kindern helfen. In Friedenau hatten die Eltern am Samstag ihre Tochter und ihren Sohn (vier und zwei Jahre alt) spärlich bekleidet in der Wohnung alleingelassen. Nachbarn hörten die Kinder weinen und riefen die Polizei. Die Geschwister wurden vom Arzt untersucht und zum Kindernotdienst gebracht.

Nahezu täglich werden derzeit Kinder aus verwahrlosten Wohnungen befreit. Oder Minderjährige vor ihren Eltern in Sicherheit gebracht, weil sie geschlagen oder missbraucht werden. Seit dem 22. November häufen sich die Fälle: 29 Kinder wurden bekannt, die vernachlässigt, misshandelt oder missbraucht wurden (siehe Kasten).

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat angesichts der „erschreckend hohen Zahl von Kindesvernachlässigungen“ den von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einberufenen Kindernotgipfel begrüßt: „In Berlin ist bereits vieles auf den Weg gebracht worden – wie das Netzwerk Kinderschutz zur Früherkennung von Risikogruppen“, sagte er dem „Tagesspiegel am Sonntag“: „Wir werden im Frühjahr ein Programm zur verpflichtenden Vorsorgeuntersuchung von Kindern auflegen. Genauso wichtig ist aber, dass sich die gesamte Gesellschaft ihrer Verantwortung gegenüber unseren Kindern bewusst ist.“

In Berlin sei man dabei ein großes Stück vorangekommen, sagte die zuständige Dezernatsleiterin beim Landeskriminalamt, Gina Graichen: „Die Menschen begreifen, dass sie in der Mitverantwortung stehen.“ Immer öfter seien es aufmerksame Nachbarn, Erzieher oder Ärzte, die der Polizei einen Verdacht melden.

„Die Gesellschaft ist sensibler geworden“, sagte auch Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky. So würden mehr Fälle bekannt, und es entstünde der täuschende Eindruck, dass vernachlässigte Kinder ein neues Phänomen seien. „Es gab sie aber immer“, sagte der SPD-Politiker: „So wurde der Adventskranz von einem Hamburger erfunden, der sich im 19. Jahrhundert um vernachlässigte Kinder kümmerte. Und Jugendämter gibt es nur, weil es vernachlässigte Kinder gibt. Die Zahl der betroffenen Kinder hat aber in den letzten 20 Jahren stark zugenommen. Kein Wunder – in Neukölln lebt heute ein Drittel aller Bürger von sozialen Transferleistungen.“ Buschkowsky kritisierte, dass es immer wieder Kürzungen bei den Erziehungshilfen gab. Er finde aber gut, dass der Kita-Besuch ab 2011 kostenlos ist. Und er sei dafür, dass Kinder notfalls zwangsweise regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen besuchen.

Das kann sich inzwischen auch Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linke) vorstellen – „wenn die Untersuchungen in ein ganzes Netzwerk mit Hebammen, Jugendämtern, Sozialdiensten, Erziehern und Ärzten eingebettet sind“.

Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linke) will im März 2008 detaillierte Pläne zu den Früherkennungsuntersuchungen vorstellen. Bislang ist geplant, dass alle Eltern mit Vorschulkindern eine verbindliche Einladung zu den Untersuchungen erhalten. Erscheinen sie nicht, folgt eine Mahnung – und danach ein Besuch vom Jugendamt.

Jugendsenator Jürgen Zöllner (SPD) betrachtet die aktuellen Fälle von Vernachlässigung mit großer Sorge. Zugleich lobt er die Hotline Kinderschutz. Zwar könne nicht jeder Einzelfall ausgeschlossen werden, sagte er: „Aber von den mehr als 900 betroffenen Kindern, die seit dem Start der Hotline im Mai 2007 gemeldet wurden, konnte vielen Hunderten geholfen werden, die sonst viel später – oder sogar überhaupt keinen – Schutz und Unterstützung bekommen hätten.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })