Brandenburg: Kohlelobby an den Pranger gestellt
Greenpeace outet Landespolitiker. Lob aus der Wissenschaft für Rot-Rot
Stand:
Potsdam - Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) hält Bedenken zur Klima- und Gesundheitsgefährdung durch Emissionen bei der Braunkohleverstromung für übertrieben. In Deutschland habe sich eine „postindustrielle Denkweise entwickelt“, sagte Platzeck am Donnerstag in Potsdam auf dem Akademietag der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften zu Perspektiven der Energiewende für Brandenburg. Er selbst sei in der Nähe eines Gaswerks groß geworden, kenne Lärm und Gestank industrieller Produktion. „Vielleicht ist man heute an mancher Stelle etwas zu empfindlich gegenüber Emissionen geworden“, so der Regierungschef.
Wie berichtet hatte erst in der vergangenen Woche die Umweltschutzorganisation Greenpeace eine Studie vorgelegt, nach der Feinstaub aus den drei Braunkohlekraftwerken des Energiekonzerns Vattenfall in Südbrandenburg und Sachsen zu einer erhöhten Sterblichkeit führt. Insgesamt 640 Menschen sterben demnach statistisch an den dort ausgestoßenen Schadstoffen jedes Jahr früher als nach der durchschnittlichen Lebenserwartung. Am gestrigen Donnerstag legte Greenpeace mit einer weiteren Untersuchung im Zusammenhang mit der Braunkohleförderung und -vertstromung nach. In ihrem „Schwarzbuch Kohlepolitik“ listet die Umweltorganisation 45 Bundes- und Landespolitiker auf, die sich angeblich einseitig für die Förderung der schadstoffintensiven Braun- und Steinkohle eingesetzt haben. Von den 45 Politikern stammen alleine sieben aus dem Land Brandenburg, darunter etwa Platzeck, Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Linke), SPD-Fraktionschef Ralf Holzschuher, der SPD-Europaabgeordnete Norbert Glante, die umweltpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Martina Gregor-Ness, und der SPD-Bundestagsdirektkandidat Ulrich Freese.
Der Fraktionchef der Grünen im brandenburgischen Landtag, Axel Vogel, forderte die SPD auf, notwenige Distanz zur Kohleindustrie herzustellen. Dazu zähle auch, dass Gregor-Ness ihren Aufsichtsratsposten bei Vattenfall niederlege. Sie sei als Aufsichtsratsmitglied verpflichtet, dem Wohl des Energiekonzerns zu dienen, daraus ergebe sich ein klarer Interessenkonflikt zu ihrem Landtagsmandat, meinte Vogel. Auch Freese, der mehrere Vattenfall-Aufsichtsratsmandate ausübe, müsse erklären, dass er im Fall seiner Wahl in den Bundestag diese Posten abgebe. Der ehemalige Landtagsabgeordnete Freese habe sich schon während seiner Zeit im Landtag „als oberster Kohle-Lobbyist profiliert“, sagte der Grünen Fraktionschef.
SPD-Fraktionschef Holzschuher wies die Forderungen zurück und warf den Grünen einen „verbohrten Kampf gegen die Braunkohle“ vor. Sowohl Gregor-Ness als auch Freese seien fachlich qualifizierte und demokratisch gewählte Interessenvertreter der Arbeitnehmer beim größten Arbeitgeber in der Lausitz.
Umweltschützer, die Grünen und Tagebaugegner aus der Lausitz fordern bereits seit Längerem wegen des hohen Kohlendioxidausstoßes bei der Verstromung und der Abbaggerung von Ortschaften zugunsten der Förderung den Ausstieg Brandenburgs aus der Braunkohle.
Unterstützung für ihr Festhalten an der Braunkohle erhielt die rot-rote Landesregierung aus der Wissenschaft. Auf dem Akademietag, an dem unter anderem Klaus Töpfer, Direktor des Potsdamer Institute for Advanced Sustainability Studies, und der frühere VW-Chef Bernd Pischetsrieder teilnahmen, lobte etwa der Präsident des Karlsruher Instituts für Technologie, Professor Eberhard Umbach, die Energiestrategie 2030 des Landes, die die weitere Braunkohlevertromung als Brückentechnologie vorsieht. „Ich habe mir die Strategie angeschaut und muss sagen, ich finde sie gut“, sagte Umbach. Das Festhalten an der Kohle sei ein Weg, den man gehen müsse, um bei der Energiewende auch kostenmäßig ins Ziel zu kommen. Matthias Matern
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: