
© Boris Roessler/dpa
Drogenpolitik in Brandenburg: „Konsumenten entkriminalisieren“
Der Landtagsabgeordnete René Wilke (Linke) will die Drogenpolitik des Landes Brandenburg neu aufstellen. Im PNN-Interview spricht er über die Entkriminalisierung von Konsumenten, die Gefahr von Crystal Meth und eigene Erfahrungen beim Kiffen.
Stand:
Herr Wilke, haben Sie auch nur mal an einem Joint gezogen, wie es einst der frühere Ex-Präsident Bill Clinton nannte, oder haben Sie auch mal inhaliert?
Ich habe in meiner frühen Jugend auch schon mal an einem Joint sowohl gezogen als den Rauch auch inhaliert. Da war ich vielleicht 15 Jahre alt.
Und danach weitergemacht?
Mir hat das nichts gegeben. Ich habe einmal probiert und nicht weitergemacht. Überhaupt gehe ich mit Drogen sehr vorsichtig um. Ich rauche seit drei Jahren nicht mehr. Alkohol trinke ich zwei, drei Mal im Jahr.
Sie haben sich vorgenommen, die Drogenpolitik des Landes Brandenburg neu aufzustellen. Singen Sie bald im Plenum Bob Marleys „Legalize it“?
Es gibt da unterschiedliche Auffassungen in unserer Fraktion, wie man damit umgeht. Wir wollen Cannabis nicht verharmlosen und keineswegs zum Konsum aufrufen. Das ist eine Droge wie Nikotin und Alkohol, vor deren Folgen man warnen muss.
Warnen ist gut. Die hochgezüchteten Pflanzen heutzutage hinterlassen bei Jugendlichen schwere psychische Schäden.
Genauso wie Alkohol. Ich finde die willkürliche Einordnung als illegale Droge gegenüber den legalen Drogen schwierig. Das wird von der Wissenschaft nicht nur angezweifelt, sondern für groben Unsinn gehalten. Wir wollen eine Entkriminalisierung für die Konsumenten, die Möglichkeit kontrollierter Abgabe wie in anderen europäischen Ländern. Stellen, wo man bestimmte, maximale Mengen im Monat erwerben kann. Die Abgabe von Cannabis muss kontrolliert erfolgen und medizinisch beobachtet werden. Das ist allemal besser als unkontrolliert, vom kriminellen Dealer um die Ecke.
Also doch „Legalize it“?
Entkriminalisierung ist etwas anderes als eine Legalisierung. Ich könnte mir auch eine Legalisierung vorstellen. Aber das wird ohnehin auf Bundesebene entschieden. Was wir tun können, ist die Freigrenzen für den Eigenbedarf zu überdenken. Für medizinische Behandlungen müssen die Bedingungen aber deutlich verbessert werden.
In Brandenburg liegt die Eigenbedarfsgrenze bei sechs Gramm, bei der die Staatsanwaltschaft von der Strafverfolgung absehen kann. Wie hoch wollen sie denn gehen?
Das regelt jedes Land selbst. Andere Bundesländer wie Berlin erlauben zehn Gramm. Darüber müssten wir in Brandenburg diskutieren.
Das größte Problem dürfte derzeit aber nicht chillende oder verpeilte Kiffer sein, sondern Konsumenten von Crystal Meth.
Ja. Das ist ein ernstes Problem. Deshalb haben wir am vergangenen Freitag eine Konferenz veranstaltet, um uns mit Experten auszutauschen. Denn es gibt unterschiedliche Einschätzungen über die Situation. Wir wissen, dass Crystal Meth ein zunehmendes Problem ist, ein Schwerpunkt ist der Süden Brandenburgs. Es weitet sich aber in andere Regionen aus.
Und was wollen Sie gegen diese, von Experten als gefährlichste deklarierte Droge tun? In Brandenburg hat sich die Zahl bekannter Meth-Konsumenten seit 2010 vervierfacht. Die Dunkelziffer ist sicherlich höher.
Schauen wir uns die Zahlen an. 2014 gab es in Brandenburger Kliniken 12 529 Behandlungen aufgrund von Drogenmissbrauch. Davon waren 86 Prozent Fälle Alkoholmissbrauch, 379 Fälle von Cannabismissbrauch und 526 Fälle mit verschiedenen Substanzen wie Heroin, Ecstasy oder Crystal. Im Jahr 2010 hatten wir insgesamt noch 9754 Fälle. Das ist ein klarer Anstieg um 9,4 Prozent. Der Schwerpunkt verlagert sich zunehmend zu Crystal. Allerdings dürfen wir nicht ausblenden, dass das größte Problem weiterhin der Alkoholmissbrauch ist. Das zeigen auch die Zahlen aus den Suchtberatungsstellen. Fünf Prozent der Ratsuchenden nahmen sogenannte Stimulanzien, dazu zählt auch Crystal. 11 Prozent waren wegen Cannabis dort, aber 72 Prozent wegen Alkoholproblemen. Die Suchtberatungsstellen in den Kommunen und auch die Landessuchtkonferenz haben ihre Arbeit aber bereits verstärkt auf Crystal ausgerichtet.
Bleiben wir bei Crystal. Marco Mette, der Leiter Kriminalpolizei bei der Polizei in Cottbus forderte bei der Konferenz, dass die Polizei so ausgestattet werden müsse, damit sie der Beschaffungskriminalität Herr werden könne. Denn darauf seien immerhin zwei Drittel der Eigentumsdelikte in der Lausitz zurückzuführen. Mehr Polizei?
Die Frage ist doch, wollen wir die Händler und Dealer oder die Konsumenten bekämpfen. Durch Kriminalisierung und strafrechtliche Verfolgung jedenfalls lassen sich die Konsumenten bisher nicht abschrecken. Wo das versucht wurde, in Sachsen, Thüringen oder Bayern, hat das zu keiner Verbesserung der Zahlen geführt, im Gegenteil, sie sind weiter gestiegen. Das ist also zu kurz gegriffen. Daher brauchen wir einen Paradigmenwechsel und müssen Drogenabhängige nicht vorrangig als Kriminelle, sondern als Patienten betrachten. Damit sie mich nicht falsch verstehen: Wer Straftaten begeht, muss bestraft werden. Aber wir werden dem Problem nicht Herr werden, wenn wir vor allem hinter den Konsumenten her sind. Die Polizei erwartet zu Recht eine politische Schwerpunktsetzung. Ich sage: Sie muss vorrangig gegen die Händlerringe vorgehen, die kriminell agieren, um den Ursprung und nicht die Wirkung zu bekämpfen.
Bei Beschaffungskriminalität sind die Konsumenten trotzdem kriminell.
Selbstverständlich. Aber selbst die Polizei sagt, solange sich mit Crystal so viel Geld verdienen lässt, werden Händlerringe und das Geschäft damit funktionieren. Der Ursprung des Problems sind die Händlerringe, nicht die Konsumenten. Ein Paradigmenwechsel wäre die medizinische Ausgabe von Ersatzdrogen wie in der Schweiz. Ziel muss es sein, dass die Konsumenten nicht mehr zum Dealer gehen, sondern im Falle einer Abhängigkeit, von Ärzten kontrolliert eine Ersatzdroge erhalten, verbunden mit therapeutischen Angeboten, anstatt sie in Milieu, in die Beschaffungskriminalität zu drängen, wo sie nicht mehr für die Therapie und die Gesellschaft erreichbar sind. Damit würde die Droge auch dem kriminellen Markt entzogen werden. Die Gefahr von gestrecktem, mit Gift vermischtem Zeug wird reduziert. Das ist die Chance die Konsumenten weiter gesellschaftlich zu erreichen und mir lieber, als sie an kriminelle Strukturen zu verlieren. Und was auch fehlt ist eine Schnittstelle: Wenn die Polizei einen Konsumenten aufgreift, dann fehlen ihr Ansprechpartner, um ihm zu helfen, bevor er nach seiner Entlassung wieder abrutscht.
Also alles nicht so schlimm mit Crystral?
Crystal ist hochgefährlich, das darf man nicht verharmlosen. Darum geht es auch nicht. Es geht um die Frage, wie man bestmöglich Kriminelle bekämpft und Abhängigen hilft. Man muss aber auch fragen, was es über unserer Gesellschaft aussagt, wenn immer mehr Menschen zum Alkohol greifen, um abzuschalten. Wenn immer mehr Menschen, vom Studenten bis zum Manager, zu Crystal greifen, um mit dem Stress klarzukommen und Leistung zu bringen.
Der Befund ändert ja nichts. Sie wollen ja Drogenpolitik in Brandenburg machen und können nicht die gesamtgesellschaftlichen Zustände verändern.
Das ist richtig. Aber es ist ein Indikator, um zu sehen, dass es hier ein wachsendes sozialpolitisches Problem gibt. Ein Zeichen, dass wir ernst nehmen müssen. Wenn Schwangere oder allein Erziehende Crystal konsumieren, um den Berufsalltag, die Versorgung der Kinder, einen Zweitjob und den Alltag unter einen Hut zu bekommen, dann ist das ein großes gesellschaftliches Problem, ein Alarmsignal.
Und wie geht es jetzt weiter im Kampf gegen Crystal Meth?
Angesichts des rasanten Anstiegs müssen wir dem Thema mehr Aufmerksamkeit schenken und die vorhandenen, gut funktionierenden Strukturen im Kampf dagegen noch besser unterstützen. Ich bin aber gegen unstrukturierten Aktionismus und auch gegen eine isolierte Betrachtung dieser einen Droge. Um ein genaueres Lagebild zu bekommen, wird Crystal Meth ab nächstem Jahr in der Statistik in den Krankenhäusern und bei der Suchtberatung einzeln erfasst. Was wir bei der Konferenz auch erfahren haben ist, dass betroffene Eltern, in deren Familien Drogenkonsum auftritt, mehr Hilfe brauchen. Es besteht ganz klar Handlungsbedarf.
Das Interview führte Alexander Fröhlich
ZUR PERSON: René Wilke, 31, aus Frankfurt (Oder) ist seit 2014 Landtagsabgeordneter, stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion und dort sozial- sowie gesundheitspolitischer Sprecher.
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