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Brandenburg: Kritik am Staat erlaubt

Flüchtlingsrat darf die Behörden kritisieren. Amtsgericht muss eigenes Urteil zurücknehmen

Stand:

Potsdam - Der Flüchtlingsrat Brandenburg darf weiterhin staatliche Stellen und Behörden offen kritisieren, ohne sich vor rechtlichen Schritten fürchten zu müssen. Das Potsdamer Amtsgericht hat am gestrigen Dienstag zwei frühere Mitarbeiter des Flüchtlingsrates vom Vorwurf der üblen Nachrede freigesprochen – und es konnte auch gar nicht anders. Denn das Bundesverfassungsgericht hatte in einem im August veröffentlichten Kammerbeschluss ein anders lautendes Urteil eben dieses Potsdamer Amtsgerichts aus dem Jahr 2012, aber auch des Landgerichts zum Negativ-Preis „Denkzettel“ des Flüchtlingsrates wegen übler Nachrede kassiert und zugleich die Meinungsfreiheit gestärkt.

Im Kern hatten die Karlsruher Richter festgestellt: Scharfe Kritik an öffentlichen Stellen muss ohne staatliche Sanktionen möglich sein, dies gehöre zum Kernbereich der Meinungsfreiheit. Gerichte müssten dies bei der Abwägung mit den Rechten der betreffenden Behörden und ihrer Mitarbeiter besonders berücksichtigen. Die Verurteilung von Mitarbeitern des Flüchtlingsrats wegen übler Nachrede widerspreche dem von der Meinungsfreiheit gedeckten Recht auf polemische Zuspitzung.

Die Ex-Mitarbeiter des Flüchtlingsrates waren 2010 für die Verleihung des jährlich zum „Antirassismustag“ verliehenen „Denkzettels für strukturellen und systemimmanenten Rassismus“ verantwortlich. Der Negativpreis ging an das Rechtsamt der Stadt Brandenburg und eine namentlich benannte Sachbearbeiterin. Der Flüchtlingsrat hatte mit dem Preis der Behörde vorgeworfen, einem Flüchtling aus Sierra Leone wider besseren Wissens eine Vortäuschung seiner fachärztlich bescheinigten Gehörlosigkeit unterstellt zu haben, um damit die Aufenthaltserlaubnis abzulehnen und die Abschiebung voranzutreiben. Sachbearbeiterin Sabine B. hatte mit Rückendeckung des Rathauses wegen übler Nachrede gegen den Preis und die Nennung ihres Namens geklagt. Die Staatsanwaltschaft hatte das Verfahren ursprünglich eingestellt und erst nach einer Beschwerde wieder aufgenommen. Das Amtsgericht verurteilte die beiden Mitarbeiter des Flüchtlingsrat dann im März 2012 zu Geldstrafen von je 900 Euro, weil die Behauptung des Flüchtlingsrats nicht wahr sei.

Dabei hatte selbst das Verwaltungsgericht Potsdam 2010 das Vorgehen der Stadt Brandenburg gegen den Afrikaner gerügt und gewarnt, ihn „zum Spielball staatlichen Handelns“ zu machen. Doch das Landgericht Potsdam lehnte die Berufung des Flüchtlingsrats gegen das erste Urteil des Amtsgerichts ab und kritisierte die persönliche Diffamierung der Mitarbeiterin. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hob die Entscheidungen nach der Beschwerde des Flüchtlingsrats auf. Und das Amtsgericht Potsdam hätte das wissen können. Denn Karlsruhe hatte nur auf bekannte Grundsätze verwiesen, die die Strafgerichte bei der Beurteilung von Kritik an öffentlichen Stellen und zur Meinungsfreiheit beachten müssen. Die Sachbearbeiterin verklagt die Aktivisten dennoch weiter zivilrechtlich auf Schadenersatz von 400 Euro. Alexander Fröhlich

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