Brandenburg: Kritik an Behörden muss erlaubt sein
Verfassungsgericht urteilt auf Beschwerde des Flüchtlingsrats Brandenburg für Meinungsfreiheit
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Potsdam - Schlappe für Potsdamer Gerichte: Das Bundesverfassungsgericht hat in einem am gestrigen Freitag veröffentlichten Kammerbeschluss Entscheidungen des Potsdamer Amtsgerichts und des Landgerichts zum Negativ-Preis „Denkzettel“ des brandenburgischen Flüchtlingsrates wegen übler Nachrede kassiert und zugleich die Meinungsfreiheit gestärkt. Scharfe Kritik an öffentlichen Stellen muss ohne staatliche Sanktionen möglich sein, dies gehöre zum Kernbereich der Meinungsfreiheit, entschied Karlsruhe. Gerichte müssten dies bei der Abwägung mit den Rechten der betreffenden Behörden und ihrer Mitarbeiter besonders berücksichtigen. Die Verurteilung von Mitarbeitern des Flüchtlingsrats wegen übler Nachrede widerspreche dem von der Meinungsfreiheit gedeckten Recht auf polemische Zuspitzung.
Konkret geht es um zwei Mitarbeiter des Flüchtlingsrates, die im März 2010 verantwortlich waren für die Verleihung des jährlich zum „Antirassismustag“ verliehenen „Denkzettels für strukturellen und systemimmanenten Rassismus“. Der Negativpreis ging an das Rechtsamt der Stadt Brandenburg und eine namentlich benannte Sachbearbeiterin. Der Flüchtlingsrat hatte mit dem Preis der Behörde vorgeworfen, einem Flüchtling aus Sierra Leone wider besseren Wissens eine Vortäuschung seiner fachärztlich bescheinigten Gehörlosigkeit unterstellt zu haben, um damit die Aufenthaltserlaubnis abzulehnen und die Abschiebung voranzutreiben. Sachbearbeiterin Sabine B. hatte mit Rückendeckung des Rathauses wegen übler Nachrede gegen den Preis und die Nennung ihres Namens geklagt. Die Staatsanwaltschaft hatte das Verfahren ursprünglich eingestellt und erst nach einer Beschwerde wieder aufgenommen. Das Amtsgericht verurteilte die beiden Mitarbeiter des Flüchtlingsrat dann im März 2012 zu Geldstrafen von je 900 Euro, weil die Behauptung des Flüchtlingsrats nicht wahr sei.
Dabei hatte selbst das Verwaltungsgericht Potsdam 2010 das Vorgehen der Stadt Brandenburg gegen den Afrikaner gerügt und gewarnt, ihn „zum Spielball staatlichen Handelns“ zu machen. Doch das Landgericht Potsdam lehnte die Berufung des Flüchtlingsrats gegen das Urteil des Amtsgerichts ab und kritisierte die persönliche Diffamierung der Mitarbeiterin. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hob bei Entscheidungen nun auf Beschwerde des Flüchtlingsrats auf. Das Amtsgericht muss deshalb erneut darüber befinden, wobei das Verfassungsgericht nur auf bekannte Grundsätze verwies, die die Strafgerichte bei der Beurteilung von Kritik an öffentlichen Stellen beachten müssen. Die Potsdamer Gerichte aber haben der Meinungsfreiheit nicht genügend Bedeutung beigemessen und das Grundrecht der Flüchtlingshelfer auf Meinungsfreiheit verletzt, stellte Karlsruhe fest. Die Sachbearbeiterin sei nicht derart in ihrer Ehre verletzt, dass dies die Meinungsfreiheit überwiegen könnte. Zum Schutz der Meinungsfreiheit müsse im Einzelfall eine unzutreffende Tatsachenbehauptung toleriert werden, wenn diese zum wertenden Teil der Äußerung gehöre. Die Richter werteten die Äußerungen des Flüchtlingsrates als bewertende Stellungnahme, die vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt sei.
Allerdings hat die Sachbearbeiterin die Aktivisten auch zivilrechtlich auf Schadenersatz verklagt. In diesem Verfahren sollte der Beschluss aus Karlsruhe abgewartet werden. Alexander Fröhlich
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