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Brandenburg: Lange Leitung gegen den Kollaps
Studie: In Brandenburg müssen 2100 Kilometer neue Stromleitungen gebaut werden - für Öko-Strom
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Potsdam - Allein in Brandenburg müssen bis zum Jahr 2020 über zweitausend Kilometer neue Hochspannungs-Trassen errichtet werden. Sonst droht ein „Kollaps“ der Netze, wenn das Land den Ausbau erneuerbarer Energien im bisherigen Tempo weiter vorantreiben will, wie es die Landesregierung vorhat. Das ist das brisante Ergebnis einer neuen „Netzstudie“ der Technischen Universität Cottbus im Auftrag des Wirtschaftsministeriums, die Minister Ralf Christoffers (Linke) am Montag in Potsdam vorstellte. „Erneuerbare Energien ohne Netzausbau, das geht nicht“, sagte Christoffers, der „verstärkte Akzeptanzprobleme“ erwartet. Zugleich rückt die Frage immer mehr in den Mittelpunkt, wer für die neuen Trassen am Ende aufkommt. Denn die Strompreise werden um „ein bis zwei Cent je Kilowattstunde“ steigen, „wir reden über 100 bis 150 Euro für eine Durchschnittsfamilie“, sagte Christoffers. Denn noch ist es nicht geklärt, ob der Netzausbau bundesweit auf die Strompreise umgelegt wird - oder nur in den Regionen, wo die Trassen gebaut werden. „Es kann nicht sein, dass diejenigen Länder wirtschaftsstrukturell und sozial benachteiligt werden, die die meisten erneuerbaren Energien einsetzen“, warnte Christoffers. Grundlage der Berechnungen sind bisher zudem die Kosten von Freileitungen und noch nicht von Erdkabeln, die aber unter bestimmten Bedingungen bei 110-KV-Leitungen nach Plänen auf Bundesebene zur Pflicht werden sollen.
Von neuen Trassen werden im Land Brandenburg laut Studie die Prignitz und die Uckermark, Barnim und Elbe-Elster am meisten betroffen sein. Schon jetzt gibt es aber nicht nur gegen neue Wind- und Solarparks, von denen nirgendwo in Deutschland so viele entstanden sind wie hierzulande, überall Bürgerinitiativen. Widerstände gibt es auch bereits gegen erste geplante Hochspannungstrassen, wie in der Uckermark oder bei Marquardt nahe Potsdam. Doch die sind erst der Anfang, denn laut Studie hinkt die Anpassung der Überland- und Verteilnetze, die den Öko-Strom zu den Abnehmern in Ballungsräumen bringen müssen, weit hinter dem Ausbau erneuerbarer Energien her. Nach der BTU-Studie werden bis 2020 allein in Brandenburg 600 Kilometer neue 380-Kilovolt-Trassen und 1500 Kilometer neue 110-KV-Leitungen benötigt. Insgesamt geht es um Investitionen von über 2 Milliarden Euro. Das Problem hat sich noch verschärft und verschärft sich weiter. Eine Vorgängerstudie aus dem Jahr 2008 war noch von nötigen rund 800 Kilometern Stromtrassen ausgegangen. Und davon wurden bislang fast keine gebaut, bestätigte Klaus Pfeiffer vom BTU-Lehrstuhl Dezentrale Energiesysteme, einer der Autoren der Studie.
Nötig ist alles, weil in keinem anderen Bundesland der Ausbau erneuerbarer Energien so vorangetrieben wird wie in Brandenburg, das dafür 2008 und 2010 von der Bundesregierung mit dem „Leitstern“ ausgezeichnet wurde. Doch fällt etwa Strom aus Windenergie nicht gleichmäßig an, sodass es zu kurzen, extrem starken Einspeisungen in Netze kommt, die dafür nicht ausgelegt sind. Schon jetzt müssen Betreiber an jedem zweiten Tag gegensteuern, um die Netze stabil im Gleichgewicht zu halten, erklärt Professor Harald Schwarz vom Lehrstuhl Energieverteilung der Cottbuser BTU. An etwa zehn Tagen pro Jahr müssen nach seinen Worten schon jetzt Zwangsabschaltungen von Anlagen angeordnet werden, Tendenz steigend. Eine Prognose, wann ohne rechtzeitige neue Trassen die kritische Marke für einen „Black-Out“ erreicht sein könnte, mit der Folge mehrtägiger Stromausfälle in der gesamten Region Berlin-Brandenburg, wollte Schwarz nicht abgeben. „Das Problem wächst auf“, sagte er.
Erst recht weil ständig neue Windparks ans Netz gehen. Und das Wirtschaftsministerium geht von einem noch rasanteren Wachstum bei der besonders umstrittenen Windenergie aus, was politischen Zündstoff birgt: Die Studie auf Grundlage aktueller Daten aus den Regionen erwartet, dass in Brandenburg 2020 rund 9500 Megawatt Windstrom produziert werden - fast ein Drittel mehr als bislang geplant. 7500 Megawatt sieht die bisherige Energiestrategie 2020 vor, die gerade überarbeitet wird. Derzeit werden 4500 Megawatt von landesweit rund 2500 Windrädern produziert. Schon die haben wegen der „Verspargelung“ der Landschaft zu einer Volksinitiative geführt. Im Landtag gibt es bereits politische Frontlinien. Als einzige Partei fordert Brandenburgs CDU unter Fraktions- und Landeschefin Saskia Ludwig einen Baustopp für neue Windräder nahe von Ortschaften.
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